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Lookentwicklung zwischen DoP und Colorist

Look als Dialog

Die Coloristin Lou Temmesfeld und DoP Matthias Bolliger schauen im Dialog gemeinsam auf den Modebegriff der „Look-Entwicklung“. Im zweiten Teil liegt der Schwerpunkt auf den Stärken der neuen Baselight-Version, den Problemen bei vorgefertigten LUTs und den Austausch zwischen den Gewerken. 

Filmstill PARA
Das pilzbefallene Cooke S2/S3 50-mm-Objektiv wurde zur Look-Ikone für „PARA – Wir sind King“. (Foto: Matthias Bolliger)

Der Dialog zwischen Coloristin Louise „Lou“ Temmesfeld und DoP Matthias Bolliger zur Look-Entwicklung geht weiter! Diesmal geht es neben dem Austausch zwischen DoP und Colorist um die Möglichkeiten von Baselight, vorgefertigte LUTs und die Einzigartigkeit der menschlichen Kreativität. Wir haben das Gespräch aufgezeichnet.

Matthias Bolliger: Was kannst du als Coloristin über den „Wirbel“ um Filmlights Baselight Version 6 mit Blick auf unser Thema Look-Development sagen? Gibst du uns einen kurzen Abriss?

Louise „Lou“ Temmesfeld: Glücklicherweise hatte ich die Gelegenheit, schon im letzten Sommer die Version 6 in ihren Beta-Stadien zu testen. Mir wurde dabei schnell klar, dass die Neuerungen ein Gamechanger sein werden. Das sage ich nicht nur als Coloristin, die gerne mit Baselight arbeitet – ich arbeite übrigens auch mit DaVinci Resolve – son- dern weil ich das System schlichtweg getestet habe. Ich kenne natürlich technische Grenzen, die man für die Erstellung eines differenzierten, besonderen und vor allem konsistenten Looks bis dato noch umschiffen musste. Manche Tools reichen für den besonderen Touch nicht immer aus, müssen kombiniert und stellenweise justiert werden. Ein Beispiel ist der sogenannte Hue Shift, das Resolve-Pendant zu den HueKurven. Das Rot etwas orangener? Die meisten greifen zu diesen grundlegenden mTools des täglichen Bedarfs – völlig fein. mNur arbeiten diese Tools nicht deckungsgleich zu unserem Seh-Empfinden. Das liegt daran, dass die Mathematik, die hinter diesen Tools steckt, nicht reflektiert, was eine Coloristin oder ein Colorist mit der Umdrehung am Regler meint beziehungsweise erwartet in Bezug auf das visuelle Resultat. Deswegen kann es passieren, dass – extremst vereinfacht erklärt – ein Sprung von Wert 2 zu Wert 4 im visuellen Resultat nicht gleich empfunden wird wie ein Sprung von Wert 6 zu Wert 8, obwohl es mathematisch betrachtet die gleiche Addition plus 2 ist.

Porträtfotos von Louise Temmesfeld und Matthias Bolliger
Louise „Lou“ Temmesfeld (Foto: Jochen Hinrich-Stoeldt) und Matthias Bolliger (Foto: Kasper Fuglsang)

Bislang haben wir uns gut daran gewöhnt, wie die Tools nun einmal arbeiten. Wenn ich jedoch in einem Tool mit akkurater grafischer Darstellung meines Gamut das Rot ganz konkret anfassen kann und sage, wo es zu liegen hat, nämlich auf einem ganz speziellem Farbort näher bei Orange und das Resultat dieser Operation mit dem übereinstimmt, was ich visuell erwarte, dann sprechen wir über eine neue Liga der digitalen Farbgestaltung. Wenn zusätzlich benachbarte abschattierte Farben um mein Rot nicht flächig zulaufen, auseinanderbrechen, visuell ungewolltes Farbrauschen verursachen oder sonstige Artefakte im Bild erzeugen, sondern sich visuell angenehm in die Licht-Schatten-Welt integrieren, sogar bei extremer Manipulation, dann sprechen wir von erstklassigem Engineering. Damit habe ich gerade eben den denkbar kürzesten Abriss eines einzigen Tools der­ Baselight Version 6 gegeben, nämlich X-Grade, welches im Handumdrehen viele Nutzer den alten Hue Shift vergessen lassen wird.

Nun über ein Tool wie Chromogen zu sprechen, das letztend-ich wie im Werkzeugkastenprinzip aus noch einmal mehreren Unter-Tools besteht, die in ihrer Belastbarkeit kaum zu übertreffen sind, würde hier den Rahmen sprengen. In einem Beispiel eines Social-Media-Posts, veranschauliche ich die Funktionalität und Belastbarkeit des Sector Squash innerhalb des Chromogen-Werkzeugkastens. Sector Squash arbeitet nur auf einer Hälfte des Farbkreises, zum Beispiel in den blau-grünen Tönen. Ich kann sie erstaunlich weit manipulieren, das heißt in Helligkeit, Farbtonalität und ­ Intensität verändern, ohne dass die betroffenen Bildelemente auseinanderfallen. Keys/Mattes werden an mancher Stelle dadurch obsolet. Zudem gibt es für die Kontrast- und Temperaturregelung etliche neue Möglichkeiten in Chromogen. Ich kann mir meinen Look auf einem Operator/Layer-Node quasi zusammenstecken. Die Auswirkungen auf die Arbeit im meist zeitknappen Grading sind enorm.

Diese neuen Tools machen nicht nur die Lookentwicklung extrem vielfältig, sondern der Look kann in kompakter und übersichtlicher Weise durch die finale Grading-Timeline portiert werden. Sie gliedern sich im Color-Management-System von Filmlight ein. Andere erstaunliche Verbesserungen sind Timeline-Sortierungs-Feature und neue Render-Settings, die Auswirkungen auf ganze Workflow-Ketten haben können. Die Oberfläche von Baselight mag für manche Einsteiger etwas einschüchternd wirken, sobald man jedoch einmal in der Logik der Software ist, tun sich neue Universen auf, in denen man sich ab einer gewissen erlernten Bewegungsfreiheit lediglich nicht zu verlieren wissen muss.

Ist Colour-Management und eine saubere Dailies-Final-Pipeline für dich ein wichtiges Qualitätsmerkmal in der Zusammenarbeit mit der Postproduktion?

Filmstill "How to Bury a Fish"

Filmstill "How to Bury a Fish"
Für „How to bury a fish“ von DoP Oliver Kiedos testete die Coloristin Louise „Lou“ Temmesfeld Chromogen Sector Squash: oben Technical Grade, unten Sector Squash. (Foto: Oliver Kiedos / Louise „Lou“ Temmesfeld)

Matthias Bolliger: Da stellt sich zunächst die Frage was „sauber“ ist! Aber klar, ich brauche feste, berechenbare Parameter an der Kamera und in der Post, erst dann kann ich gestalterisch damit spielen und an Grenzen gehen. Daher ist eine entsprechende Post-Pipeline auch für mich elementar. Denn erst mit einem verlässlichen Back-End kann ich, auch wie zum Beispiel bei „PARA – Wir sind King“ geschehen, absichtlich mit Pilzsporen in der Linse drehen, denn ich weiß, dieser Look wird sich durch die ganze Postproduktionskette ziehen und ich kann mich darauf verlassen, dass das, was mich am Set gestalte, auch final on-screen oder auf der Leinwand zu sehen sein wird.

Texturen sind gerade im Colour-Grading mit Baselight das große Thema, warum ist das so? Welche Möglichkeiten der Gestaltung siehst du damit?

Louise „Lou“ Temmesfeld: Seitdem es die Foto- und Kinematografie gibt, gibt es auch das Bestreben, die Zweidimensionalität der Bildwiedergabe von einem dreidimensionalen Raumerlebnis über verschiedene Mittel zu überwinden. Sobald ich Texturen visuell gestalte, assoziiere ich auch eine gewisse Haptik im Filmbild, also eine Brücke zu etwas bereits Erlebtem, einer Oberflächenbeschaffenheit von Stoffen, Partikel oder der Optik selbst. Ein klassisches Beispiel sind diffuse Highlights. Sie können um helle Lichtpunkte herum eine gewisse Aura schaffen, die etwas über den Raum erzählt. Vielleicht ist die Luftfeuchtigkeit der Nacht hoch, weswegen die Straßenlaternen einen gewissen Halo bekommen. Schaffe oder verstärke ich diesen Halo durch Texture-Tools, so habe ich eine Dimension im Film mit- erzählt, die über ein rein zweidimensionales Bild eigentlich gar nicht erfahrbar ist, nämlich Luftfeuchtigkeit im Raum. Mit Texturen kann ich genauso gut einen gereiften Mann uralt aussehen lassen, indem ich seine Gesichtsfalten hervorhebe. In Baselight gibt es ein Tool, das solche Effekte erzeugen kann. Es liefert deutlich mehr, als nur Pixel-Kanten kontrastig anzuheben – ein Phänomen, an dem viele bei digitalen Nachschärfungsversuchen verzweifeln. Die Bildbearbeitung läuft heutzutage größtenteils digital ab. Wir arbeiten mit Chips und Computern. Die sind nicht gleichzusetzen in ihrer Funktionsweise mit unserem menschlichen Wahrnehmungsapparat, daher braucht es ausgeklügelte mmathematische Übersetzungen, damit etwas richtig aussieht. Das Texture Tool in Baselight arbeitet daher frequenzbasiert und unter Berücksichtigung optischer Eigenschaften. Es funktioniert in beide Richtungen: Es kann das Licht verschiedener Frequenzbänder entweder weiter diffus wirken lassen oder aber Reliefe bilden. Dadurch entsteht der Eindruck gestalteter Texturierung.

Welche Inspirationsquellen hast du für Looks, haben diese zwangsläufig immer etwas mit dem Medium Film zu tun? mHast du einen eigenen Stil? Hat Look für dich auch etwas mit Geschmack zu tun?

Filmstill "Chokehold"
Bei „Chokehold“ von DoP Luca Hain setzte Louise „Lou“ Temmesfeld Texturierung für die Charakterisierung einer muffige Wrestling-Umkleide ein. (Foto: Luca Hain / Louise „Lou“ Temmesfeld)

Matthias Bolliger: Oh, das sind gerade eine Reihe von Fragen – zunächst zu den Inspirationsquellen: Das kann alles Mögliche sein, ein Bildband, eine Ausstellung, der Alltag, aber eben auch andere Filmstills oder Filmszenen. Gerade während der Vorbereitung eines Projekts fühle ich mich oft wie ein Schwamm mit Antennen und nehme viele Inspirationen auf. Ich versuche, ein Moodboard mit inspirierenden Bildelementen zu kreieren, auf die ich im Laufe der Lookentwicklung wieder zurückgreifen kann. Nein, nicht alle Inspirationsquellen müssen etwas mit dem Medium Film zu tun haben, oft fühle ich mich gar freier, wenn es nicht Filmstills sind. Ob ich einen eigenen Stil habe, überlasse ich anderen zu beurteilen, ich habe allerdings ­ sicherlich Vorlieben, wie ich an ein Projekt herantrete und wie ich die Ideen gestalterisch umsetze. Somit ist für mich Look schwer subjektiv geprägt und hat klar etwas mit persönlichem Geschmack zu tun. Andersherum finde ich es fast eine Auszeichnung, mit unterschiedlichen Regisseuren zu unterschiedlichen Umsetzungen zu kommen, denn der Inhalt definiert die Form und nicht umgekehrt.

Ein DoP kommt mit einer externen Wunder-LUT und möchte diese für sein oder ihr Projekt einsetzen. Worin liegt für dich das grundsätzliche Problem mit dieser Arbeitsweise?

Louise „Lou“ Temmesfeld: Mir ist noch nie ein Wunder mit einer LUT passiert! Nun gibt es potenziell zwei Diskussionen, die sich bei einem solchen Szenario abzeichnen. Eine Diskussion ist eine rein technische, mdie andere ist eine artistische. LUTs sind technische Hilfsmittel. Ursprünglich aus dem Rechnungswesen kommend, übersetzen sie einen Wert A anhand einer Umsetzungstabelle, der Look-up-table, in einen Wert B – ein recht simples Prinzip. Wichtig ist zu wissen, auf welche Farbräume sich diese Umsetzung bezieht, das heißt welche Colormetrie war der Input, welche der Output? Wie waren diese kalibriert? Auf welcher Blende ist die LUT unter welchen Settings entstanden? Für welche Lichtsituation? Mit welcher Farbwelt am Set? Ist sie konsistent oder korrupt? Wenn ja an welcher Stelle? Sind technische Konversionen mit eingebacken? mDie sogenannten kreativen LUTs beantworten mir diese Fragen nicht, sondern setzen nur um. Von A nach B, mehr nicht. Häufig machen sie meist in ungeprüfter und unzulänglich beschrifteter Weise den Umlauf. Hinzu kommt, dass die meisten LUTs sich auf den SDR-Ausgabefarbraum Rec. 709 beziehen. So funktionieren sie nicht für HDR-Auswertungen, sind ein Bottleneck in Kinoproduktionen und erst recht bei einer Wide-Gamut-Archivierung. LUTs sind unbequem in bestehenden Colour-Management-Systemen. Im schlechtesten Fall können sie visuell korrupt sein, was ein hohes Risiko für den Coloristen ist. Sie können performance-intensiv sein, was heutzutage immer weniger ein Problem, jedoch kein auszuschließender Faktor ist. Kreative LUTs können vor allem aber kreativ einschränken, da sie das Material in Kontrast und Farbpalette bereits in eine sehr definierte Richtung umsortieren, die mir Flexibilität in der Farbgestaltung nimmt. Summa summarum: Ich muss diese fremde LUT erst einmal technisch ergiebig prüfen, um hinterher vielleicht festzustellen, dass sie für mich nicht zu gebrauchen ist.Die zweite Diskussion hingegen ist meines Erachtens nicht nur interessanter, sondern auch informativer und effizienter. Sie wirft die Frage auf, warum ein DoP diese LUT verwenden will? Diese Frage sollte nicht etwa den DoP in Rechtfertigungszwang versetzen, sondern dazu anregen, über den gewünschten Look, den bildtechnischen Kontrast und eine Farbpalette zu sprechen.

Wie genau übersetzt du deine visuelle Vorstellung mit anderen Departements am Set wie Production Design, Kostüm- und Maskenbild oder dem Oberbeleuchter? Welche Hilfsmittel nutzt du dafür?

Matthias Bolliger: Das ist in der Tat stark departmentabhängig. Ich probiere, meine Ideen oft anhand von Referenzen einzubringen. So kann ich auch individueller auf Rückfragen und Anmerkungen eingehen oder überhaupt ein Gespräch anstoßen. Elemente dazu können einzelne Bilder aus der Moodsammlung, dem Look-Book oder gedrehten Screentests sein. Gerade mit Production-Design ist dies auch ein langer, eingehender und durchgängiger Prozess in vielen Einzelphasen und Etappen. Das Szenenbild-Departement ist dann auch oft die erste Abteilung, die mit einem Moodboard die Kommunikation zum world building öffnet. Das finde ich gerade am Anfang jeder Produktion ein enorm zentrales Element. Danach bleibe ich mit dem Production-Design über die ganze Zusammenarbeit im Austausch und Kontakt, von ersten Ideen bis hin zu den letzten Mustern.

Gibt es Optionen an deinem Grading-Tool, die du vermisst und geändert haben möchtest? Und wie denkst du, sieht die digitale Farbkorrektur in zehn Jahren aus? Wagst du für uns einen vagen Ausblick?

Louise „Lou“ Temmesfeld: Was fehlt, merkt man meist erst bei bestimmten Anwendungs- oder Grenzfällen. Grundsätzlich kann ich mich bei Baselight nicht beklagen, insbesondere bei der neuen Version 6 mit seinen mächtigen Lookdevelopment-Tools. DaVinci Resolve hat ebenfalls kräftig aufgeholt. Heutzutage ist es bereits ein umfangreiches Unterfangen, alle Tools innerhalb eines Grading-Systems wirklich zu durchdringen. Nicht für jedes Bedürfnis eines Coloristen oder Use-Case muss es ein spezifisches Tool geben. Dennoch hat insbesondere die VFX in den letzten Jahren Impulse für Grading-System-Hersteller gegeben, bestimmte Tools ebenfalls in ihrer Grading-Software zu integrieren wie beispielsweise Camera Shaking, Perspective Tracking oder Paint-Tools. Grading-Tools entwickeln sich stetig weiter und implementieren inzwischen auch künstliche Intelligenz. Auf die Frage, wo das Colour-Grading in zehn Jahren steht, kann ich nur vermuten, dass KI sich weiter in die Prozesskette der Postproduktion hineinbewegen wird. Das manuelle Tun und händische Einrichten, insbesondere rudimentärer Aufgaben, wird teilautomatisiert oder automatisiert ablaufen. Wir Coloristen werden eine KI im besten Fall als Co-Piloten neben uns sitzen haben und ihr Befehle erteilen, die in einer nicht mehr mitzuverfolgenden Geschwindigkeit um- gesetzt werden. Sicher werden auch Datenbanken zu schon bestehenden Looks angefragt werden, um Roh-Entwürfe zu präsentieren und grobe Richtungen auszuprobieren.

Der Mensch als geistiger Schöpfer wird dennoch gefragt bleiben, denn er ist das notwendige Delay in der Kette, um Ideen überhaupt reifen lassen zu können und um diese ge- danklich zu abstrahieren. Ich denke, dass eine ästhetisch anspruchsvolle Bildgestaltung, die durch eine menschlich-kreative Wertschöpfungskette gegangen ist, der Reiz bleiben wird, weshalb auch zukünftig Menschen vor den Schaukästen stehen bleiben und sich von menschengemachten Bildern auf besondere Art angesprochen fühlen. [15451]

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