Vom 13. bis zum 16. Oktober findet das Filmplus Filmfestival 2017 statt. Hommage-Kurator Werner Busch sprach vorab mit der Editorin Inge Schneider, die mit dem Ehrenpreis Schnitt ausgezeichnet wird. Den zweiten Teil des Interviews finden Sie hier. [ID 2471]
Das Kölner Filmfestival, dass seit 17 Jahren seinen Fokus auf Filmschnitt und Montagekunst legt, zeichnet damit das vielseitige künstlerische Lebenswerk der Berliner Editorin aus. Mehr als 45, zumeist dokumentarische Filme hat die in der ehemaligen DDR geborene Inge Schneider seit den 1980er Jahren montiert. Viele ihrer Filme sind zu modernen Klassikern geworden; darunter etwa “Prinzessinnenbad” (2007, Regie: Bettina Blümner), “Der Glanz von Berlin” (2001, Regie: Judith Keil, Antje Kruska) oder “Die Spielwütigen” (2004, Regie: Andres Veiel). Für letzteren wurde Schneider bei Filmplus 2004 mit dem ersten Bild-Kunst Schnitt-Preis Dokumentarfilm des Festivals ausgezeichnet. Im Jahr 2012 gewann sie ihn erneut für “Raising Resistance” (Regie: David Bernet, Bettina Borgfeld) und war auch für die Montage an “Prinzessinnenbad” nominiert. Werner Busch, der Kurator der Hommage-Sektion sprach mit der Editorin über ihre Filme und ihre Arbeitspraxis.
Besonders bei Langzeitbetrachtungen wie den “Spielwütigen”, der über sieben Jahre entstanden ist und vier junge Schauspielschüler begleitet, ist man als Editor mit besonders vielen Stunden Material und damit vielen möglichen Herangehensweisen konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?
Eine grobe Dramaturgie war bei den “Spielwütigen” durch das Vorspiel bei den Eltern gegeben, die Aufnahmeprüfung, die Abschlussprüfung und andere entscheidende Wendepunkte. Der Regisseur Andres Veiel und ich haben gemeinsam das gesamte Material gesichtet, da nicht alles digitalisiert werden konnte und es gab viele Protokolle mit Timecodes und Inhaltsangaben vor Schnittbeginn. Andres kam jeden Tag mit einem neuen Konzept in den Schneideraum, was mich sehr beeindruckt hat. Es gab viele Rohschnitt-Vorführungen mit unterschiedlichen Menschen, die Andres explizit ausgesucht hat. Das heißt, wir hatten zahlreiche Rohschnittfassungen, so dass der Schritt von der letzten Rohschnitt-Fassung zur finalen Fassung nur noch ein kleiner war. Den Feinschnitt habe ich dann in großen Zügen ohne Andres erstellt. Wenn die Dramaturgie steht, überprüfe ich noch ein letztes Mal, ob das in der Sequenz befindliche Material wirklich das Beste ist.
Gibt es so etwas wie eine Verantwortung des Editors gegenüber seinen Protagonisten im Dokumentarfilm? Gerade bei besonders jungen Menschen wie im “Prinzessinenbad” könnte ich mir eine besondere Last auf den Schultern des Editors vorstellen, wenn die minderjährigen Protagonisten besonders intime oder auch derbe Dinge äußern.
Während der Arbeit an einem Film entsteht eine starke Zuneigung zu den Protagonisten, die bestimmt einen Schutz darstellt. Natürlich verspüre ich immer eine Unsicherheit. Als es dann kurz vor der Mischung von “Prinzessinnenbad” zu einer Vorführung im Schneideraum mit Klara und Tanutscha kam und die beiden Hand in Hand auf ihren Stühlen saßen und gebannt auf den Monitor schauten, war ich sehr aufgeregt. Als der Film zu Ende war, umarmten mich die beiden. Das empfand ich als ein großes Geschenk.
Einen für mich sehr krassen Fall hatte ich bei dem Dokumentarfilm “Meine Freiheit, deine Freiheit” (2011, Regie: Diana Näcke). Salema, eine der beiden Protagonistinnen, kommt am Ende des Films aus dem Gefängnis und fängt wieder an, Heroin zu spritzen. Und wir haben eine Szene hineingenommen, in der sie sich die Spritze setzt. Am Anfang war ich total dagegen, das zu zeigen. Aber durch die wirklich sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Material und der Tatsache, dass das Leben der beiden Protagonistinnen während der Schnittzeit ja auch nicht stehenblieb, konnte ich fühlen, dass diese Szene für das Ende des Films sehr wichtig ist und doch gezeigt werden muss. Das war also ein langer Prozess, den ich da mitgemacht habe. Am Anfang konnte ich gar nicht hinschauen. Es ist so schrecklich, aber es ist auch so wahr. Man muss es einfach so hart zeigen.
Können Sie die Herausforderungen ihrer Arbeit an dem Dokumentarfilm „Raising Resistance“ beschreiben, der mit seinem weltumspannenden Problematiken rund um Ernährung und Globalisierung sicherlich nicht einfach war?
Im Prinzip nähere ich mich den Themen mehr aus der Sicht des zukünftigen Zuschauers. Ich informiere mich nicht vorher zum Thema, sondern durch die Arbeit mit dem Material. Wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich die Regisseure. Als mir das Projekt „Raising Resistance“ angetragen wurde, hatte ich ein wenig Angst vor so einem „Umweltfilm“. Ich schau mir solche Filme ja auch manchmal an und komme dann immer mit so einem Gefühl aus dem Kino: „Ach nee, dann macht ja gar nichts mehr Spaß.“ So etwas wollte ich nicht machen.
Schließlich habe ich doch zugesagt und hatte plötzlich einen Haufen Material. Zudem war das meiste in der Sprache Guaraní. Obwohl ich ein gutes Sprachgefühl habe, ist es sehr schwierig, einen Film in einer mir völlig unbekannten Sprache zu schneiden. Ich hab eine ganz bestimmte Art, wenn ich die deutsche Sprache schneide, da manipuliere ich dann schon ab und zu. Also nicht gegen das Dokumentarische, aber ich stelle mir die Sätze oft so zusammen, wie ich sie brauche, damit sie den inhaltlichen Kern des Ganzen besser treffen und im Idealfalle die folgende Szene zum Fliegen bringen.
Wenn ich dann von so viel Material in einer anderen Sprache überflutet werde, hab ich schon oft gedacht: Das machst du diesmal nicht, du lässt es einfach laufen. Du suchst keine neuen Worte, damit man noch einen Satz bauen und anhängen kann, weil man ihn einfach für den Übergang braucht, damit das nächste Bild optimal aufgeladen ist. Denn manchmal hab ich die Sätze nicht so, wie ich sie eigentlich aufgrund der erarbeiteten Dramaturgie bräuchte. Ich hatte mir also diesmal ganz fest vorgenommen, mit der Sprache nicht herum zu laborieren. Das ist zu kompliziert, dachte ich mir. Ich hab’s dann doch.