„Aus dem Nichts“: Interview mit DoP Rainer Klausmann
von Interview: Birgit Heidsiek,
Mit Fatih Akin hat der Schweizer Kameramann Rainer Klausmann seit „Solino“ zahlreiche Projekte umgesetzt, darunter dessen Meisterwerk „Gegen die Wand“, die Komödie „Soul Kitchen“ und jüngst die Romanverfilmung „Tschick“. Ihre aktuelle Kollaboration „Aus dem Nichts“ ist jetzt im Kino. Birgit Heidsiek sprach für die aktuelle Ausgabe 12/2017 mit Klausmann über die intensive Arbeit an dem Drama.
Der deutsche Kino-Thriller „Aus dem Nichts“ von Fatih Akin wird als deutscher Beitrag in das Rennen um den Auslands-Oscar geschickt. Bei den 70. Internationalen Filmfestspielen in Cannes wurde die Hauptdarstellerin Diane Kruger für ihre Rolle in diesem Drama als beste Darstellerin ausgezeichnet. Der Schweizer Kameramann Rainer Klausmann, der seit fünfzehn Jahren mit Fatih Akin zusammenarbeitet, berichtet im Interview über die Dreharbeiten, die in Hamburg und Griechenland stattfanden.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Fatih Akin aus?
Er schickt mir die ersten Drehbuchfassungen und wir diskutieren darüber. Fatih Akin ist nicht nur ein Regisseur, sondern auch ein guter Freund von mir. Daher kann ich offen sagen, was ich denke und habe keine Scheu, Kritik zu üben. Wir streiten uns manchmal heftig, ohne dass wir nachtragend sind. Er verfügt über eine gute Streitkultur. Wir besprechen gemeinsam, wie die Geschichte erzählt werden sollte. Fatih Akin ist ein sehr optisch denkender Mensch mit vielen Ideen. Er hat sehr viele Filme gesehen und wir schauen uns auch gemeinsam Filme an, um abzustimmen, in welche Richtung etwas gehen und wie das Licht aussehen sollte.
Wie sah Ihr Ansatz bei „Aus dem Nichts“ aus, die verschiedenen Lichtstimmungen zu erzeugen?
Ich habe kein festes Konzept, weil mich das zu sehr einschränken würde. In diesem Fall haben wir für jedes Drittel ein Grundkonzept entwickelt und dafür diverse Kameras getestet und Objektive ausprobiert. Für den ersten Teil haben wir die ARRI Alexa im Super-16-Modus verwendet, damit die Bilder nicht so schön und glatt wie in einem Werbespot aussehen, sondern etwas schmutziger.
Der zweite Teil im Gerichtssaal ist visuell an die deutsche DIN A4-Norm angelehnt, denn alles ist gerade, steril und es passiert jeden Tag dasselbe. Wir haben immer das gleiche Licht, die gleichen Anwesenden, und der Richter sitzt am selben Ort. Deshalb haben wir dafür die gleichen Kadragen gewählt, denn das Gericht ist ein Ort, an dem es darum geht, ganz genau zuzuhören. Wir haben diese Szenen bewusst statisch aufgenommen, denn die Zuschauer sollen bei der Verhandlung im Gericht nicht durch Kamerafahrten abgelenkt werden.
Welchen Einfluss kann die Kamera auf das Storytelling nehmen?
Mit der Kamera lässt sich viel beeinflussen, deshalb muss entschieden werden, was erzählt werden soll. Ich fotografiere jeden Film auf eine andere Art und Weise, was sich durch die Themen ergibt. Bei diesem Film war es uns wichtig, eine Werbeästhetik zu vermeiden. Es ist nicht die Aufgabe eines Kameramanns, ein schönes Bild zu machen. Er muss den Film so fotografieren, dass die Zuschauer so von der Geschichte und den Schauspielern gefesselt sind, dass sie das Gefühl haben, einen tollen Film gesehen zu haben, wenn sie das Kino verlassen. Ich gehe wegen einer Geschichte ins Kino und wähle die Filme nicht danach aus, wer die Kamera geführt hat.
Wie sah Ihr Ansatz für die Schlüsselszene aus, in der Diane Kruger von dem Anschlag erfährt?
Im Drehbuch lag sie in dieser Szene etwas länger am Boden. Beim Dreh haben wir festgestellt, dass das gar nicht nötig ist. Wir haben diese Einstellung auf den Punkt gebracht, denn jeder begreift sofort, was passiert ist. Es war nicht erforderlich, Leichen zu zeigen, die am Boden liegen. Wir erzählen hier die Geschichte einer Mutter, in der es darum geht, was mit den Hinterbliebenen passiert. Die zentrale Frage in „Aus dem Nichts“ ist, ob es erlaubt ist, Selbstjustiz zu üben. Das wird immer eine Fragestellung sein, solange Menschen derartige Anschläge ver- üben. Wir haben die Szene in der Nacht gedreht und mussten die Straße sowohl für Anfahrten der Autos als auch für die Passanten sperren. Der Regieassistent Scott Kirby hat das sehr gut gemeistert.
Wie verlief die Zusammenarbeit mit Diane Kruger?
Fatih hat sie schon Wochen vorher in Hamburg mit diesem Milieu vertraut gemacht, damit sie sich mental in diese Rolle hineinversetzen konnte. Wir sind vor Beginn der Dreharbeiten nachts mit ihr in St. Pauli durch die Bars wie „Zum Goldenen Handschuh“ gezogen, damit sie das selbst kennenlernt und nicht nur im Drehbuch liest.
Hatte sie keine Angst, erkannt zu werden?
Nein, mit ihrer Frisur und in der Lederkleidung sah sie wie eine Frau aus, die dort zuhause ist. In diesen Bars haben wir nicht nur morgens um drei Uhr einen Whiskey getrunken, sondern später auch gedreht. Fatih wusste, welche Lokale am besten in die Geschichte passen. Dadurch waren wir uns am Drehort nicht so fremd, was ein großer Vorteil war.
Wie gestaltete sich der Dreh mit ihr?
Diane Kruger ist eine Schauspielerin, die intensiv über ihre Filmfigur nachdenkt. Wenn sie sich auf eine Rolle einlässt, entwickelt sie selbst Ideen dazu und bleibt ganz nah an der Figur. Dadurch sind alle ständig gefordert, mitzudenken, denn das Drehbuch ist nicht die Bibel, die Wort für Wort gedreht werden muss. Sie spielt einfach gut, und es ist ihr wichtig, dass ihr Verhalten für die Geschichte und die Figur stimmt.