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Die langsamste Art des Filmemachens

Echte Ölbilder: „Loving Vincent“

“Wie gemalt” ist auch heute fast immer noch das ultimative Lob für eine Fotografie oder einen Film. “Loving Vincent”, das untypische Biopic über Vincent van Gogh, wurde tatsächlich in 65.000 Arbeitsschritten an echten Ölbildern gemalt. Gisela Wehrl sprach für unsere Ausgabe 1-2/2018 mit dem Team über die “Bildgestaltung”.

Für "Loving Vincent" entstanden 65.000 einzelne Gemälde.
Für “Loving Vincent” entstanden 65.000 einzelne Gemälde. (Bild: Foto: Loving Vincent Ltd./Weltkino)

Man kennt die Bilder aus den frühen Zeichentrickstudios. Über dutzende von Lichttischen gebeugt, sitzen Animatoren und zeichnen auf mehrere Lagen transparentes Papier. Langsam aber stetig entstanden die einzelnen Animationsabläufe. Die daraus hervorgegangenen Klassiker wie “Schneewittchen” und “Fantasia” kennt heute jeder. Mit fortschreitender Zeit schritt auch die technologische Entwicklung voran. Der Zeichentisch wich dem Computermonitor, der Stift wich Maus und Tastatur, schließlich wurden beide durch Tablets und Stylus-Stifte ergänzt oder gar ersetzt.

Jetzt kommt diese Technik für einen außergewöhnlichen Film zurück. “Loving Vincent” erzählt auf ungewöhnliche Weise Abschnitte aus dem Leben von Vincent van Gogh. Die Filmemacher ließen die einzelnen Bilder in 65.000 Ölgemälde- Schritten anfertigen. Die Animationstechnik basiert darauf, dass jeweils eine Art Mastershot der Einstellung übermalt beziehungsweise bearbeitet wurde. Ein gelber Klecks an die eine Stelle getupft, ein bisschen Hautton an der anderen abgeschabt. Und die einzelnen Zwischenschritte wurden dann mit einer Canon D6 als Standbild festgehalten.

Das Verfahren ist also der Puppenamimation nicht unähnlich, wo Figuren um kleinste Nuancen verrückt und dann fotografiert werden, vergleicht Hugh Welchman. Welchman, der gemeinsam mit Dorota  Kobiela die Regie bei “Loving Vincent” übernommen hat, produzierte auch die Oscar-prämierte Puppenamimation “Peter & the Wolf” von Suzie Templeton. Nur, dass die Technik bei “Loving Vincent” sogar noch langsamer ausfiel als bei der Puppenanimation. Während bei “Peter & the Wolf” ein Animator circa drei Sekunden täglich animieren konnte, waren es bei “Loving Vincent” nur dreieinhalb Bilder. Das Verfahren war also etwa neun Mal langsamer. “Wir hatten zweifelsohne die langsamste Methode, die je entwickelt wurde, um einen Spielfilm zu machen”, sagt Welchman.

GEMÄLDE FORMEN PLOT

Die Regisseure von „Loving Vincent“ Dorota Kobiela (rechts) und Hugh Welchman.
Die Regisseure von „Loving Vincent“ Dorota Kobiela (rechts) und Hugh Welchman.

Ursprünglich wollte Dorota Kobiela einen Kurzfilm über Vincent van Goghs Leben in Form von Ölgemälden erzählen und hatte außerdem geplant, diesen komplett selbst zu malen. “Als Hugh und ich über drei Stunden anstehen mussten, um in eine van-Gogh-Ausstellung zu kommen, überredete er mich dazu, wenigstens mal darüber nachzudenken, ob der Film nicht auch als Spielfilm funktionieren könnte”, sagt die Regisseurin.

Sie erstellte 2012 einen ersten Konzepttrailer und bekam daraufhin begeisterte Reaktionen. Für Kobiela und Welchman stand immer fest, dass van Goghs real existierenden Gemälde eine zentrale Rolle im Film einnehmen. “Ich wollte das Leben eines Künstlers durch seine Kunst erzählen”, sagt Kobiela und in van Goghs Arbeiten fand sie viel Material dafür: “Er hat sein Leben gemalt!” Die Bilder beeinflussten also ganz entscheidend das komplette Drehbuch, sowohl den großen Erzählbogen als auch einzelne Wendungen. Bei der Figur von Armand Roulin, für die sich die Regisseure als Hauptfigur entschieden, waren sie recht frei, denn eigentlich gab es für die reale Person nur zwei Fixpunkte, er hatte als Schmied gearbeitet und wurde später Polizist.

“Loving Vincent” fühlt nun quasi in Armands Leben die Lücke dazwischen: Ein Jahr nach dem Tod des Malers soll Armand einen Brief an dessen Bruder Theo ausliefern und er macht sich auf eine Art Detektiv-Suche, um herauszufinden, wie Vincent gestorben ist. Das entstandene Drehbuch ist zwar nicht hochkomplex, aber die klare Struktur lässt viel Raum, damit sich die visuelle Kraft von “Loving Vincent” entfalten kann, der eine ganz andere Kinoerfahrung bietet als sonst.

Jerome Flynn im Selbstporträt als Van Gogh, links im Szenenbild, mittig das Original, und rechts das neu gemalte Porträt.
Jerome Flynn im Selbstporträt als Van Gogh, links im Szenenbild, mittig das Original, und rechts das neu gemalte Porträt. (Bild: Foto: Loving Vincent Ltd./Weltkino)

Auch die einzelnen Etappen von Armands Suche wurden stark von van Goghs Bildern bestimmt. “Unsere Regel besagte, dass wir das exakte Framing von van Goghs Gemälden entsprechen wollen, wenn wir einen Charakter zum ersten Mal im Film begegnen”, sagt Welchman. So standen Kobiela, er und Co-Autor Jacek Dehnel vor der großen Herausforderung, die Geschichte immer wieder zu bestimmten Gemälden zu führen.

Als Seitenverhältnis wollten die Regisseure 16:9 wählen, sagt Kobiela: “Aber ein Großteil von Vincents Gemälden kommt dem Academy-Normalbild sehr nahe.” Die verschiedenen Gemälde mit ihren unterschiedlichen Größen und Formen wurden dann von Gemälde-Designern auf dieses Format gebracht. Einige Bilder wurden  aber von Tag auf Nacht oder in der Jahreszeit geändert, da der Film im Sommer spielt. Herbst- oder Wintergemälde wurden also als Sommerbilder neu kreiert.

Es gibt im Film 94 Gemälde, die in ihrer Form sehr nah am Original sind, und 31 weitere, die im Wesentlichen oder in Teilen mit den Originalen übereinstimmen. Bei den Szenen, für die es keine van-Gogh-Gemälde gibt, wollten die Regisseure nicht einfach Gemälde in seinem Stil neu erschaffen und entschieden sich hier schließlich für einen neuen Malstil in Schwarz- Weiß. Bei dieser Entscheidung spielte auch die Wirkung auf den Zuschauer eine wichtige Rolle, sagt Kobiela: “Wir dachten uns, dass Vincents intensive Farben über 90 Minuten zu viel für das Publikum werden könnten.”

Den zweiten Teil des Berichts zu “Loving Vincent” gibts morgen bei uns.

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