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Immer ein Geheimnis im Bild

DoP Matthias Fleischer über “Die kleine Hexe”

Für die Bildgestaltung von “Die Kleine Hexe” erhielt Matthias Fleischer seinen zweiten Bayerischen Filmpreis. Gisela Wehrl sprach mit dem DoP über die kreative Arbeit bei geringem Budget, wie digital und analog gut zusammengehen sowie über die Wahl seiner Werkzeuge.

Herzlichen Glückwunsch! Im Interview zur Preisverleihung hast du von einer “sehr arbeitsintensiven Reise” gesprochen. Woher kam das?

In der durchtechnisierten Drehwelt ist es schwer, eine zauberhafte, kindgerechte und fantasievolle Welt aufrecht zu erhalten. Dieser ganze Ballast hinter der Kamera sollte für die Zuschauerinnen und Zuschauer gar nicht spürbar werden. Dazu stellte die Größenordnung des Projekts eine ziemliche Herausforderung dar. Trotz eines moderaten Budgets lassen sich Hexenwerk und Zauberzeug nicht so einfach herstellen.

Sobald an eine Idee ein Preisschild gehängt worden war, mussten wir oft noch mal überlegen, wie wir das günstiger lösen können – dann planst du es reduzierter und analoger und bekommst wieder einen Preis dran. So wird immer und immer wieder überarbeitet, bis die Realität das Budget trifft – und dann kann endlich gedreht werden.

Hast du da ein konkretes Beispiel?

Für den Hexentanzplatz konnten wir kein geeignetes Originalmotiv finden; aber selbst wenn – es wäre abwegig gewesen, sieben Tage nachts unter Wind und Wetter Ende Oktober draußen zu drehen – zum Teil mit nicht mehr ganz jungem Cast. In Niedersachsen, wo wir auch gefördert worden sind, gibt es kein Studio, erst recht nicht in der Größenordnung, die wir brauchten. Es war klar, dass wir eine sehr hohe Halle brauchen, damit wir Mondlicht von weit oben erzählen können, und damit wir überhaupt Platz für Green- oder Bluescreen haben. Als wir dann durchgerechnet haben, wie viele Kubikmeter Felsen wir dort einbauen müssten, war uns sehr schnell klar, wir müssen das noch mal reduzierter denken. Also haben wir die Felsen immer näher gerückt, da die Strukturen kleiner werden mussten, die Lücken dazwischen aber nicht zu groß.

Matthias Fleischer und Crew überprüfen das Bild der Kran-Kamera am Monitor.
Matthias Fleischer und Crew überprüfen das Bild der Kran-Kamera am Monitor. (Bild: Foto: Studiocanal GmbH / Claussen+Putz Film / Walter Wehner)

Trotzdem war es immer noch ein unglaublich großer Aufwand, der weit in die Sechsstelligkeit ging. Der Zugang für die Technik war durch die gebauten Felsen aus statischen Gründen nicht ganz einfach. Zum Beispiel brauchten wir einen ziemlich großen Teleskopkran, damit wir von außen in den Set hineinlangen konnten. Das hat uns ermöglicht, recht schnell und flexibel mit zwei Kameras zu drehen.

Bei allen Reduktionen, woran hast du festgehalten?

Die Hauptaufgabe war immer zu gucken, dass wir genügend Ebenen im Bild haben. Mike (Schaerer, der Regisseur, Anm. d. Red.) hat einen ganz wichtigen Begriff eingebracht: “die Ansichtigkeit”. Für Mike ist die Ansichtigkeit die Klarheit und schnelle Erfassbarkeit des Bildinhalts. Je ansichtiger ein Bild ist, desto schneller kann man es als Zuschauer dechiffrieren und begreifen – und dann, salopp gesagt, auch gleich wieder ad acta legen.

Wir wollten diese Ansichtigkeit unbedingt vermeiden und immer ein kleines Geheimnis im Bild lassen. Ob das ein Part ist, der in die Dunkelheit fällt oder in die Unschärfe, oder ob ein größerer Teil des Bildes verdeckt ist, dass man das Gefühl hat, dahinter geht es noch weiter: man kann das Bild gar nicht erfassen, kann sich darin treiben lassen und in der zauberhaften Welt der Hexen verlieren.

Worauf hat sich das Vermeiden der “Ansichtigkeit” noch ausgewirkt?

Das war schon bei der Wahl der Optiken und des Kameraaufnahmeformats entscheidend. Wir hatten uns zunächst mit Anamorphoten auseinandergesetzt, wo durch diese zweifach verzerrte optische Geometrie das Bild durch die Brennweitenverdopplung eine andere Perspektivdarstellung und in der deutlicheren Unschärfe eine fast malerische Textur bekommt.

Gegenschuss zum Foto links, rechts der Remotehead-Operator an der Monitorcombo, der Kran führt die Kamera auf dem Felsen.
Gegenschuss zum Foto links, rechts der Remotehead-Operator an der Monitorcombo, der Kran führt die Kamera auf dem Felsen. (Bild: Foto: Studiocanal GmbH / Claussen+Putz Film / Walter Wehner)

Wir haben dann doch sphärisch drehen müssen, aber für einen möglichst analogen Eindruck haben wir mit den alten Cooke-S2-Linsen sehr schöne Effekte erzielt. Jede Brennweite des Sets unterscheidet sich ein bisschen, unter anderem in Schärfeverlauf und Vignettierung. Bei einigen Brennweiten ist zum Beispiel der Vordergrund im Zentrum scharf, der Mittelgrund fällt deutlich aus dem Fokus, aber links und rechts hinten ist der Hintergrund auch wieder vergleichsweise scharf, vergleichbar mit einer Tilt-Optik.

Darüber – und durch den Dreh auf möglichst großer Sensorfläche – haben wir die Schärfentrennung zusätzlich unterstützt. Die ALEXA 65 schied aus produktionstechnischen Gründen leider aus, so wurde schlussendlich die ALEXA Mini im “Open Gate Mode” belichtet. Und Gedanken um die „Ansichtigkeit“ haben sich natürlich genauso Masken- und Szenenbild und alle Gewerke gemacht.

Alte Linsen sind sehr eigentümlich.

In den früheren Filmen war mir das noch nicht so deutlich bewusst wie bei “Die Kleine Hexe”: Die ganzen digitalen Elemente, die für den Film entstehen, wie zum Beispiel ein Besen, der ins Feuer fliegt, werden alle nach mathematischen Modellen gebaut. Wenn man dem Computer sagt, ich werde diese Linse verwenden mit dieser Perspektive und dieser Schärfentrennung, rechnet der das aus, geht aber erst mal davon aus, dass die Linse eine nahezu ideale Geometrie hat – dass sich die Strahlen in der Mitte treffen, ohne Farbsäume, Randunschärfen oder Flares, dass alles im Grunde genommen perfekt ist.

Je älter, je ungenauer, je analoger die Linse funktioniert, desto aufwendiger für die VFX-Abteilung, weil sie jedes digital mathematisch saubere CGI-Element an das akquirierte Material vom Set anpassen müssen. Auf der anderen Seite bekommt man nur so die schönen Zufälligkeiten und optischen Imperfektionen ins Bild.

Die VFX-Abteilung entwickelte mit am Konzept für den Raben Abraxas. Wie warst du in diesen Prozess eingebunden?

Bevor ich im Dezember 2015 zu dem Projekt kam, testete VFX-Supervisor Nils Engler unter anderen schon, wie man das Federkleid des Raben digital generieren kann und welche Größe er haben muss. Bei unserer ersten Auflösung überlegten Mike und ich, in wie vielen Shots wir den Raben brauchen und in welcher Form. Sitzt er in der Einstellung einfach nur da oder fliegt er durchs Bild und so weiter.  Als wir das durchgerechnet haben, war klar, dass wir im Leben nicht bezahlen können, das alles digital zu machen.

Und dann kam sehr schnell die Idee auf, wieder analoger zu denken und ein Animatronic zu bauen. Knapp zwölf Wochen vor dem Dreh haben wir uns entschieden, auf ein dreigeteiltes System zu setzen: Zum einen der computergenerierte Rabe, dann eine sogenannte “Rod-” oder Stabpuppe, die man mit einem filigranen Stangensystem per Hand steuern kann und das dritte Standbein war dann die Animatronic-Puppe. Das hatte einen großen zusätzlichen Vorteil. Die Figur des Raben hat durch Rob Tygners geniales Spiel mit der Puppe ganz früh eine Art “Seele” bekommen. Das war ein großes Geschenk für den Film.

DoP Matthias Fleischer (rechts) dreht die Hexen am Studioset "Blocksberg".
DoP Matthias Fleischer (rechts) dreht die Hexen am Studioset “Blocksberg”. (Bild: Foto: Studiocanal GmbH / Claussen+Putz Film / Walter Wehner)

“Das Kleine Gespenst” gab es nur als CGI, der Rabe war als zwei verschiedene Puppen am Set. Wo war für dich der Unterschied?

Ich bin bei visuellen Effekten ein großer Freund davon, alles, was sich „in camera“ lösen lässt, auch “in camera” zu lösen. Bei dem Raben war ich deswegen so glücklich, weil wir ein so tolles Team dahinter hatten. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich einen komplett digitalen Raben unterm Strich besser gefunden. Aber da das Puppenspiel schon eine eigene Visualität, einen eigenen Charakter vorgelegt hatte, musste die ganze VFX sehr daran arbeiten, dagegen nicht abzufallen – konnte gleichzeitig natürlich von der tollen Spielvorlage profitieren.

Auf die Frage, was einen guten Kameramann ausmacht, hast du mal geantwortet, die Filmsprache zu verändern. Wie gelingt dir das?

Zum Beispiel, indem man manche Dinge nicht genauso macht, wie man sie immer macht – die eigene Filmsprache zu verändern, neue Inspirationen aufzunehmen, über bisherige Schatten zu springen. Ich versuche, in der Vorbereitung  meine Intuition neu anzulegen und Reflexe anders zu trainieren – sozusagen “das Buch in den Bauch zu bekommen”. So bleibt dann von den Tausend möglichen Lösungswegen viele Fragen und Antworten später oft nur der eine übrig, der die aktuelle Aufgabe für den jeweiligen Film adäquat löst.

Dass man Bilder, die man sorgfältig komponiert hat, wieder zerstört, um aus der Ansichtigkeit wegzukommen. Sich Dinge selber ins Bild zu stellen, Dinge nicht so genau auszuleuchten und lieber der Vorstellung der Zuschauer zu überlassen. Dazu gehört auch das Anwenden von analogen Effekten und das Schaffen von Illusionen. Das Hexenhaus zum Beispiel wirkt im Wald klein und ist eben das Haus einer kleinen Hexe. Drin ist es aber erstaunlich groß. Die Lösung war, dass wir das Hexenhaus im Wald um den Faktor 1,5 kleiner gebaut haben als den Studiobau. Selbst das unterschiedliche Format der Fenster fällt niemandem auf. Regeln oder physikalische Grundbegriffe zu dehnen oder nicht zu befolgen, das gehört alles mit dazu.

Über dein Team hast du gesagt, “ohne euch kann ich nicht arbeiten”.

Im Rahmen der verfügbaren Zeit kann man nur eine bestimmte Summe X von Entscheidungen treffen und Vorbereitungen anstoßen. Je kompetenter und je passender ein Team mit einem arbeitet, desto treffender können sie dann die Filmsprache weiterführen. Was nützt mir die größte Intuition oder der schönste Sinn für Rhythmus, wenn ich einen Bühnenmann habe, der fährt wie ein Trampel?

Matthias Fleischer mit seinem zweiten Bayerischen Filmpreis.
Matthias Fleischer mit seinem zweiten Bayerischen Filmpreis. (Bild: Foto: Tobias Isemann/Bayrische Staatskanzlei)

Chris Scheibe war sensationell, mir mit seinem Gespür die Sanftheit und Behutsamkeit in den Bewegungen zu ermöglichen, die wir für den Film brauchten. Oberbeleuchter Uwe Greiner hat es sehr toll verstanden, unter anderem das Hexenhaus und den Blocksberg in seiner Zauberhaftigkeit zu beleuchten. Mein Kameraassistent Sascha El Gendi hat ein sicheres Gefühl dafür, wann es wichtig ist, auf jemand anderen zu fokussieren, denn derjenige, der gerade redet, ist ja nicht immer der interessanteste. Und bei meinem Operator Michael Ole Nielsen kann ich bei den Mustern nicht mehr unterscheiden, ob er da geschwenkt hat oder ich. Alle bringen so viel mit hinein – eigentlich haben alle einen Preis verdient!

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Der Film “Die Kleine Hexe” wurde von der Deutschen Filmakademie in der Kategorie “Bester Kinderfilm” für einen Deutschen Filmpreis nominiert.

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