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Fortschritt oder Steintafel? – Sichere Archivierung von Videodaten (1/3)

Ob Filmeditor, Kamera-Abteilung oder Postproduktionshaus: Heutzutage kommt niemand mehr um das Thema langfristige Datensicherung herum. Uwe Agnes auch nicht. Hier sein Bericht aus dem Film & TV Kameramann 4/2016.(Bild: Uwe Agnes)

Gegenstände sind in mancher Hinsicht wie Staub. Sie scheinen sich von selbst zu vermehren, wenn man für eine Weile nicht hinsieht. Sie geraten in Vergessenheit, ballen sich zu Haufen zusammen und lauern in fernen Ecken, bis ein bestimmtes Ereignis sie wieder an einen Ort diesseits unserer Wahrnehmungsschwelle befördert. Beim Staub ist es das mehr oder weniger regelmäßiges Saugen; bei Gegenständen braucht es dafür manchmal einen Umzug.

Wenn das eigene Schnittstudio die Räumlichkeiten wechselt, muss nicht nur die Technik von hier nach dort geschafft und möglichst schnell wieder in Gang gebracht werden. Es geht dann auch um die Dokumentation vergangener Projekte aus vielleicht den letzten 15 Jahren: Schnitt- und Sichtlisten, mit Ikea-Bleistiften hingeworfene Konzepte für 45-Minuten-Dokumentationen auf rückseitig bedrucktem Schmierpapier, und nicht zuletzt Kassetten verschiedenster Art mit dem ursprünglichen Drehmaterial und Masterbändern.

Hier werden die Mengen, die sich angesammelt haben, erst so richtig begreiflich, wenn man sie physisch bewegen muss. So breiten sich die Früchte langen Film & TV-Schaffens real fassbar vor einem aus, organisiert in weißen Pappkisten verschiedener Jahrgänge und Größen, beschriftet mit für die Allgemeinheit nicht ohne weiteres verständlichen Akronymen von drei oder vier Buchstaben Länge.

Damit ist schon einmal eines der wichtigsten Kriterien für ein ordentliches Archiv nicht erfüllt, denn dort muss es jedermann möglich sein, ein beliebiges Dokument in angemessener Zeit wiederzufinden, auch wenn er es nicht selbst eingelagert hat.sichere-archivierung-von-videodaten-2

Manchmal fällt trotz größter Sorgfalt eine Kiste hinunter, der Inhalt ergießt sich über den Boden und zeigt eine erstaunliche Vielfalt an Kassettentypen und -größen, vom VHS-C-Band über Mini-DV, Betacam SP, DVCpro und XDCAM Professional Discs bis hin zu D9-Bändern. Allein der letzte Fund, eine große Kiste mit Drehkassetten in VHS-Größe aus dem Jahr 1998, würde beträchtliche Probleme bereiten, wollte man jemals wieder auf den Inhalt zugreifen. Denn das unglückselige Format, einst von JVC als Konkurrenz zu Sonys Digital Betacam entwickelt, ist längst und gründlich vom Markt verschwunden – und mit ihm die Player und Recorder.

Im Grunde wäre es kein großer Verlust, die Bänder unbesehen in den Sondermüll zu geben, wäre da nicht die vertraglich festgelegte Pflicht, Aufnahmematerialien von Auftragsproduktionen im eigenen Haus für die Sendeanstalt zu archivieren. Alternativ könnte man es wie der Kollege halten, der hunderte von U-Matic-Bändern als Starthilfe nach Vietnam verschenkte. Vielleicht wäre es auch aus reiner Neugier die Mühe wert, mit Bändern und Produktionsnummer an der Warenannahme der Sendeanstalt aufzutauchen und zu sehen, was dann passiert.

Migrationsprobleme

Die Archivierung von Datenträgern meint im Grunde stets die Aufbewahrung für die Ewigkeit, und während dieses durchaus langen Zeitraums muss bei Bedarf der Zugriff auf die ursprünglich enthaltenen Daten gewährleistet sein. Sowohl Lagerdauer als auch Lesbarkeit sind bei Archivalien wie dem über 2.000 Jahre alten Stein von Rosetta kein größeres Problem – wenn man seine Lesebrille dabei hat und entweder Hieroglyphen, Altgriechisch oder Demotisch versteht.

Je höher aber die Informationsdichte der Materialien steigt und je jünger sie sind, desto kürzer wird die dokumentierte oder auch nur extrapolierte und somit vermutete Lebensdauer. Dass beispielsweise Farbfilm eine begrenzte Haltbarkeit hat, weiß jeder, der schon einmal Familienfotos aus den siebziger Jahren betrachtet hat. Bereits damals zerbrach man sich den Kopf, wie diese Materialien für die Nachwelt zu sichern seien.

Die seinerzeit gültige Empfehlung, Farbfilm in chemisch wesentlich stabilerem Schwarz-Weiß-Silberhalogenid in drei Farbauszügen zu lagern, um Archivsicherheit zu erzielen, muss man vor dem Hintergrund sehen, dass der elektronische Speicherplatz für den Informationsgehalt eines Kleinbild- Dias fünfstellige D-Mark-Beträge kostete. Sie ist deshalb natürlich mittlerweile überholt, illustriert aber noch heute, dass es unter Umständen einen beträchtlichen Aufwand bedeuten kann, Bestände aus der jüngeren Vergangenheit zu sichern, weil diese nach oft schon bestürzend kurzer Zeit physikalisch nicht mehr lesbar sein können.

Zurück zur Steintafel

Im Gegensatz zu unseren kurzlebigen Datenträgern haben die Inschriften auf dem Stein von Rosetta die Jahrtausende gut überstanden. Aber Steinplatten sind groß, schwer und unhandlich, sie haben eine geringe Informationsdichte, und sind somit kein probates Medium zur Archivierung im 21. Jahrhundert. Es gibt jedoch Entwicklungen, die das Prinzip der Steintafel in die heutige Technologie übersetzen.

Das deutsche Unternehmen Syylex z. B. hat ein Verfahren entwickelt, bei dem Daten mit einem lithografischen Verfahren in einen Glasträger geätzt werden und danach von jedem DVD- oder Blu-ray-Player wiedergegeben werden können. Nach Herstellerangaben sollen diese sogenannten „Glassmasterdiscs“ bei einem Speicherplatz von etwa 5 GB pro Disc einige tausend Jahre unbeschadet und ohne Datenverlust überstehen können.

Es gäbe also durchaus die Technologie für Datenträger mit praktikabler Speicherkapazität und einer Lebensdauer, die der von Sumerischen Tontafeln gleichkommt. Allerdings gibt es besonders bei digital gespeicherten Daten das Problem, dass sie nicht mehr zugänglich sind, obgleich das Trägermedium selbst noch erhalten ist.

Beim Stein von Rosetta wäre das der Fall, wenn er, wie es sich gehört, unbeschadet an seinem Platz im Museum steht, man aber leider niemanden auftreiben kann, der Hieroglyphen, Altgriechisch oder Demotisch versteht. Ebenso ist eine D9-Kassette ohne den passenden Player nichts wert, und für eine beliebige Datei auf einer noch so haltbaren Glassmasterdisc gilt das Gleiche, wenn es keine Software mehr gibt, die mit dem Format dieser Datei etwas anfangen kann.

Es ist also in diesem Fall eine gute Idee, die vorhandenen Daten von einem Format ins andere zu wandeln und bei der Gelegenheit auf einem neuen Datenträger zu speichern, dessen Lebensdauer-Uhr gerade erst zu ticken beginnt.

Wenn man dann noch solche Dateiformate wählt, die auf offenen Standards basieren und bei denen man davon ausgehen kann, dass sie aufgrund dieser Transparenz langlebiger sind, lassen sich die Zeiträume zwischen diesen Datenmigrationen noch einmal verlängern.

Morgen gibt es dann den zweiten Teil unseres Berichts über die Speichermedien für Filmmaterial.

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