Für den 22. November ist der Kinostart von „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ angekündigt. Wir sprachen in unserer Ausgabe 10/2018 mit Macher Philip Gröning darüber, warum man zwölf Tonspuren braucht, um Stille aufzuzeichnen, und wieso er ein „technischer“ Regisseur und DoP ist.
Sie sind auf dem Filmfest München mit einer Hommage geehrt worden. Wie hat Ihnen das gefallen?
Die Hommage fand ich schön und eine große Ehre. Am besten fand ich, dass ich meinen Film „Die Terroristen“ zum ersten Mal gut fand.
Den fanden Sie vorher nicht gut?
Ich mochte ihn nie so gerne, aber jetzt habe ich ihn noch einmal gesehen und fand ihn wirklich gut . Es war auch eine interessante Frage, welche Gültigkeit ein Film noch hat, wenn er zwanzig oder dreißig Jahre alt ist. Da war ich ganz zufrieden. Es war auch schön die Kamera zu sehen, die Anthony Dod Mantle damals gemacht hat. Das war ja , bevor ich selber an die Kamera gegangen bin.
Bei „Die Terroristen“ war die Zeit von der Idee zur Realisation relativ kurz, weil es Sie gedrängt hat, den Film fertigzustellen, damit die Idee nicht so lange liegt. Wie war das denn bei Ihrem aktuellen Spielfilm „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“? Wie lange hat das Thema gebraucht, bevor es zur Umsetzung kam?
(lacht) Ich habe nach den „Terroristen“ ein Interview gegeben, in dem ich gesagt habe, ich könne mir nicht vorstellen, dass man Jahre an einem Thema arbeitet, ein Drehbuch schreibt, sich in der Zwischenzeit vielleicht trennt, ein Kind bekommt und dann noch den Film macht. Aber genau das ist nach den Terroristen passiert – außer dass ich schon ein Kind hatte! Es gibt da einen Bruch. „Die Terroristen“ waren sofort nach der Idee gemacht, und alle Filme danach haben einen ganz merkwürdigen Abstand zwischen der Idee und dem Moment, wenn sie fertig sind. Das war bei „Die große Stille“ insgesamt fast 20 Jahre, nein, sogar 21 Jahre, und bei „Mein Bruder heißt Robert …“ waren es auch 18, 20 Jahre zwischen der allerersten Idee und dem fertigen Film. Das ist anstrengend.
Aber das hat sich aus den Schwierigkeiten ergeben, das Geld für den Film aufzutreiben und andererseits auch daraus, dass ich so perfektionistisch bin und wirklich will, dass der Drehort und die Dekoration genau stimmen. Das dauert alles wahnsinnig lange.
Gibt es bei der Themenfindung auch Ideen, die einfach ein wenig länger reifen müssen? Oder sind so lange Zeiten wirklich nur der praktischen Umsetzung geschuldet?
Das ist unterschiedlich. Bei „Die große Stille“ war es klar. Das Thema hätte ich damals, als ich es mir mit gerade einmal 25 Jahren ausgedacht habe, unmöglich technisch realisieren können. Es war damals gar nicht möglich, in so einem dunklen Kloster ganz alleine zu drehen. Das wäre nicht gegangen. Der Film musste auf HDCam gedreht werden und der Ton mit zwölf Spuren auf einem Festplattenrecorder aufgenommen werden. Sonst hätte das nicht funktioniert. Aber die Idee musste sicherlich auch reifen. Ich hätte mit 25 den Film wahrscheinlich grandios in den Sand gesetzt. Bei „Mein Bruder Robert …“ habe ich jetzt viel schönere Bilder gefunden und vielleicht auch tiefere und poetischere Erzählstränge. Aber ich hätte den Film auch machen können, als er mir eingefallen ist. Wenn ich ihn schon 1999 gedreht hätte, wäre er sicher anders geworden, viel schneller, hätte vielleicht weniger Tiefe und weniger Poesie. Aber es wäre auch kein schlechterer Film geworden.
Aber es wäre ein ganz anderer Film geworden.
Godard hat gesagt: Du kannst einen Film mit viel Geld oder Zeit machen oder mit wenig Geld und Zeit. Dadurch wird er nicht besser oder schlechter, es wird einfach nur ein anderer Film. „Robert“ ist jetzt so geworden wie er ist, ich finde ihn sehr stark, und das Publikum in München mochte ihn, glaube ich, auch. Aber er wäre vor 20 Jahren natürlich anders gewesen.
Ich würde gern noch kurz auf „Die große Stille“ zurückkommen. Warum brauchten Sie zwölf Tonspuren, um Stille aufzunehmen?
Ich habe „Die große Stille“ ja ganz alleine gedreht und es ist ein wenig in Vergessenheit geraten, welche Beschränkungen es beim Ton früher gab. Man kann heute mit Festplattenrekordern eine viel bessere Auflösung im Ton erreichen, ganz leise Ereignisse aufnehmen, die sich wirklich hinterher in der Mischung verwenden lassen, aber es fliegt einem nicht um die Ohren, wenn mal eine Tür zufällt. Das ist in den 1980er Jahren gar nicht möglich gewesen. Bei der Nagra musste man sich entscheiden, ob man auf die leisen Töne oder auf die lauten Ereignisse pegeln will.
Ein anderer Aspekt ist: Wenn man ganz alleine einen Film dreht, die Kamera und den Ton macht und dabei viele drahtlose Strecken benutzt, ist es extrem wichtig, dass man getrennte Spuren hat. Wenn ein Mikrofon oder ein Sender aussteigt, dieses schreckliche Störgeräusch macht und man dann nur zwei Spuren hat, dann ist gleich die Hälfte der Spuren zerstört und es bleibt nur eine brauchbare übrig. Wenn man zwölf Spuren hat, zerstört es eine und man hat immer noch die anderen elf.
Richtig – ich hatte nicht bedacht, dass Sie das alles alleine gedreht haben.
Das war ja das Interessante daran, was ich von vornherein wollte und was auch eine Auflage des Klosters war. „Das kriege ich schon hin“, dachte ich mir mit meinen 25 Jahren. „Da nehme ich eine 16er Aaton und eine Nagra und dann klappt das.“ Es wäre aber schiefgegangen!
Ist es nicht sehr anstrengend, wenn man am Set als Regisseur und Realisator keinen Austausch mit seinem DoP haben kann und alles mit sich allein ausmachen muss?
Das stimmt, es ist irre anstrengend. Es ist aber bei der „Stille“ notwendig gewesen. Der Film war ja so konzipiert, dass die Veränderung, die meine Wahrnehmung in dem Kloster durchmacht – dadurch, dass ich alleine dort bin, und so lebe wie die Mönche – dass diese Veränderung der Wahrnehmung durch die Bilder und Töne eine Veränderung der Wahrnehmung des Zuschauers bewirken wird. Und das hat sich auch so bewahrheitet. Wenn ich mit einem Kameramann dorthin gegangen wäre, hätte es nicht diese extreme Erfahrung von einerseits Einsamkeit und andererseits extremer Gegenwärtigkeit gegeben, weil wir uns zwischendurch immer hätten helfen können und miteinander reden können. Alleine zu drehen war da eine notwendige Bedingung. Sonst hätte meine Veränderung der Wahrnehmung nicht das Instrument sein können, mit dem ich den Zuschauer verändere.
Bei „Robert“ haben Sie Kamera und Schnitt auch selbst gemacht. Gab es dort auch inhaltliche Gründe dafür?
Den Schnitt habe ich tatsächlich mit Hannes Bruun zusammen realisiert. Ansonsten habe ich zwar die Hauptkamera gemacht, aber es ist fast immer mit zwei oder drei Kameras gedreht worden. Die wurden vom Oberbeleuchter Armin Sieghart, der auch schon bei „Die Frau des Polizisten“ im Team war, und der Kameraassistentin Melina Frommann geführt. Das war so ein Dreierteam, wobei sich Armin hauptsächlich auf das Licht und Melina auf die Technik konzentriert hat, aber danach haben sie dann auch eine Kamera in die Hand genommen. Das war ein tolles Team.
Aber es ist schon so, dass Sie dort DoP waren und das auch gerne sind?
Sehr gerne! Ich mache sehr gerne selber die Kamera, weil ich einfach das Gefühl habe, ich benutze die Kamera, wie ich einen Pinsel benutzen würde. Ich kann gar nicht genau vorher erklären, was ich machen werde. Man kann mir aber die Kamera in die Hand drücken und dann weiß ich genau, was ich machen will. Wenn ich als Regisseur abstrakt überlegen soll, wie ist die Auflösung und wohin geht die Kamera, dann bringt mich das durcheinander. Wenn ich aber die Schauspieler sehe und habe die Kamera, dann weiß ich sofort, was ich zu tun habe. [6479]
Warum sich Philip Gröning als “technischen” Regisseur begreift und wieso er mehrere Hektar Getreidefeld einfärben ließ, können Sie morgen lesen.