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ARD und ZDF übertragen zehn Deutsche Meisterschaften an zwei Tagen

100 Kameraleute für die “Finals”

“Die Finals”: zehn Deutsche Meisterschaften, die erstmals parallel an einem Wochenende in Berlin ausgetragen wurden – als es noch sportliche Großveranstaltungen gab. Auch für Produktion, Technik und Redaktion von ARD und ZDF waren diese Tage eine sportliche Herausforderung. Dabei entstanden 20 Stunden Live-Programm, das durchschnittlich mehr als 1,5 Millionen Zuschauer sahen. Wir berichteten in unserer Ausgabe 11.2019.

Schneller. Höher. Weiter. Dieser sportliche Leitgedanke galt am ersten Wochenende im August bei gleich zehn Sportarten. Erstmals wurden die Deutschen Meisterschaften im Bahnradsport, Bogenschießen, Boxen und Kanu, in der Leichtathletik, beim Modernen Fünfkampf, Schwimmen sowie Turnen, Triathlon und Trial parallel ausgetragen. ARD und ZDF produzierten dabei an sieben Sportstätten insgesamt 20 Stunden Liveprogramm.

Das ZDF zeichnete für die gesamte Fernsehproduktion verantwortlich und richtete am Südeingang vor dem Olympiastadion einen TV-Compound als National Broadcast Center (NBC) ein. Dort standen drei Produktionsfahrzeuge vom ZDF als mobile Produktionsmittel für Schnitt und die Satelliten-Übertragung sowie Container für Produktion, Redaktion und Technik. Dort liefen auch über Glasfaserleitungen alle Bild- und Ton-Signale aus den anderen sechs Sportstätten ein. Dem ZDF-Regisseur Christian Thielmann hatte dabei die Auswahl aus den Bildern von gleich 100 Kameraleuten, die jeweils an beiden Tagen die gleichen Kameras an zehn Produktionsorten bedienten. Aus dem NBC wurden die Sendesignale über HD-SNG sowie über eine Glasfaserleitung ins Sendezentrum nach Mainz übertragen und dort in die jeweiligen Sendewege eingespeist. Den Zuschauern standen neben dem Programmbild acht Livestreams der verschiedenen Sportarten zur Verfügung, sechs davon zeitgleich.

Schienen an der Spree

Um das zu gewährleisten, befanden sich an den einzelnen Produktionsorten 12 Ü-Wagen des ZDF, der ARD-Sender und von Dienstleistern, wo 15 Regisseure die Bilder aus den Sportstätten gestalteten. Für besondere Einstellungen kamen 14 Drahtlos-Kameras, zwei Kameras auf Schienen, zwei Kamera-Drohnen, ein 80-Meter-Steiger am Olympiastadion und fünf Superslomo-Kameras zum Einsatz. An der Kanu-Regattastrecke an der Spree waren gleich zwei von diesen Spezialkameras zu finden. Neben einem Kamerakran, zwei drahtlosen Schulterkameras im Zielbereich und zwei Kameras mit Boxoptiken auf Podesten an der Start- und Ziellinie gab es eine Drohnenkamera und eine Schienenkamera. Die Firma Rail & Tracking Systems (RTS) hatte hinter der Oberkante der Kaimauer einen TrackRunner 7000 mit einem 7- kW-Servo-Antrieb sowie einem 150 Meter langen Schienensystem aufgebaut. “Die Schienen sind eine Eigenentwicklung von RTS und bestehen aus Aluminiumprofilen mit innenliegendem Kabelführungskanal”, erläutert Kai Gundacker, Kamera-Operator und System-Techniker bei RTS. Die einzelnen Schienenelemente sind zwei Meter lang, 38 Zentimeter breit und 17 Zentimeter hoch. Sie können direkt auf den Untergrund aufgesetzt werden. Mit Hilfe von Schraubfüßen lassen sich eventuelle Bodenunebenheiten ausgleichen. Zusammen mit einer Sony HDC-2400 und einem Fujinon HA22x7.3BERM-Objektiv, die in einem gyroskopisch stabilisierten 5-Achsen-Remotehead Nettmann Stab-C Compact montiert waren, kann der TrackRunner eine Höchstgeschwindigkeit von 12,5 Meter/Sekunde erreichen, auf die er aus dem Stand innerhalb von zwei Sekunden beschleunigen kann.

Auch bei den Schwimmwettbewerben kam ein Schienenkamera-System zum Einsatz. Am Beckenrand lief ein TrackRunner 5000 mit einer Schienenlänge von 54 Metern. Zusammen mit der Sony HDC-P1 Kamera und der Canon Optik HJ14ex4.3B IRSE erreicht das Schienensystem mit dem gyroskopisch stabilisiertem 3-Achsen- Remotehead Shotover G1 eine Höchstgeschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde. “Theoretisch wäre eine kabelgebundene Bild- und Kameradatenübertragung durch das RTS Cable Management System möglich. Es wurde allerdings entschieden, die Bild- und Kamerasteuerung drahtlos zum Ü-Wagen des Dienstleisters zu übertragen”, erläutert Kai Gundacker. Ein Techniker und einen Kamera-Operator waren für den zweitägigen Aufbau und den ferngesteuerten Betrieb der TrackRunners verantwortlich.

Spannung vermeiden

Ein besonderes Augenmerk galt der 230-Volt-Stromversorgung des TrackRunner-Systems in der unmittelbaren Nähe des Wassers. “Dort haben wir alle Sicherheitsbestimmungen der DIN VDE 0100, der DGUV Vorschrift 3 DA für elektrische Anlagen und Betriebsmittel sowie die Arbeitssicherheit strikt eingehalten”, erklärt der RTS-Techniker. Die Kurzfassung der Vorschriften: Für die Nutzung von elektrischen Anlagen bei Schwimmbecken werden in drei Bereiche eingeteilt. Der Bereich 0 umfasst das Innere des Beckens und die Überlaufrinne. Bereich 1 umfasst den Raum vom Beckenrand bis zu einem Abstand von zwei Metern und einer Höhe von 2,5 Metern über der höchsten Standfläche. Hier erfolgte die Installation des Schienensystems. Schalter, Steckdosen und Steuergeräte sind im Bereich 0 und 1 nicht erlaubt. Der Bereich 2 umrahmt Bereich 1 in einem Abstand von 1,5 Metern. Kamera-Operator und Schienen-Techniker sitzen mit der Steuerung daher außerhalb des Bereiches 2 auf einen etwa 40 Zentimeter hohen Podest. Die Errichtung von Steckdosen und Schaltern im Bereich 2 sind nur erlaubt, wenn die weiteren Vorschriften dafür eingehalten werden und eine Schutztrennung der Stromquelle vorhanden ist, die nur ein einziges Verbrauchsmittel versorgen darf und außerhalb des Bereichs 0, 1 und 2 errichtet werden muss.

Der RTS TrackRunner am Beckenrand beim Schwimmwettbewerb (Bild: Creative Art Production (CAP))

Den Auftritt des Schwimmstars Florian Wellbrock, begleiten ein Steadicam-Operator und ein Schärfe-Assistent ab der Kulisse. Der Weltmeister im Freistil über die 1500 Meter startet auf Bahn vier. Nach dem Start und dem Auftauchen der Schwimmer übernimmt die Kamera auf dem RTS TrackRunner das laufende Bild und fährt exakt parallel und auf gleicher Höhe sowie erschütterungsfrei in der totalen Einstellung mit. Ein ARD-Reporter kommentiert das Finale, während die Regie die zum Text passenden Bilder schneidet. Nach der ersten Wende und dem Absetzen vom Verfolgerfeld schwimmt der 22-Jährige bereits vorne. Die fahrende Kamera zoomt auf den Schwimmer bis zur nächsten Wende, wobei das Bild auch in der folgenden Bahn in der halbnahen Aufnahme weiterhin absolut stabil und scharf bleibt. Wellbrock schlägt nach 14:57.30 Minuten an und gewinnt das Rennen. Der Zweitplatzierte erreicht das Ziel erst 35.21 Sekunden später. Sobald der Sportler wieder genug Luft zum Sprechen hat und aus dem Wasser steigt, folgt ein Flash-Interview am Beckenrand, was ein Kameramann mit einer Schulterkamera, LED-Kopflicht und Mikrofon-Handsender aufnimmt.

Unterdessen findet bei den Leichtathletik-Wettbewerben im Olympiastadion das Finale des 5000-Meter-Laufes der Frauen statt. Eine Grass-Valley-Kamera mit langbrennweitiger Boxoptik steht auf einem flachen Podest in der Verlängerung hinter der Bande der blauen 100 Meter-Tartan-Bahn für Solow-Motion-Einstellungen bereit. Ein Kameramann mit einer Grass Valley LDK 8000, Gigawave-Sender und Easyrig 3 Kamerastabilisierungssystem steht auf dem Rasen im Zielraum. Er wird unter anderem die Glocke zeigen, mit der ein Kampfrichter die letzte Runde einläutet und versuchen, die Reaktionen der Sportlerinnen nach dem Zieleinlauf einzufangen. Auch Konstanze Klosterhalfen ist am Start, das „Jahrhunderttalent der deutschen Leichtathletik“, wie sie ein ZDF-Kommentator bezeichnet. Unter dem Jubel des aufspringenden Publikums überrundet die Läuferin nach etwa neun Minuten fast das gesamte Feld und beendet den Lauf nach 14:26.76 Minuten. Während Konstanze Klosterhalfen bereits Interviews im Stadion gibt und dazu die Slomo-Aufnahmen des Rekordlaufes auf den Videowalls zu sehen sind, müssen sich ihre Konkurrentinnen im Zielraum noch erholen. die Siegerin soll am Abend auch im “Aktuellen Sportstudio” des ZDF auftreten.

Sendungs-Puzzle

Die Sendung soll mit einer geplanten Länge von 99 Minuten live aus dem Zollernhof gesendet werden. Sport-Dekoration, Licht, Beschallung und Tribünen sind eingerichtet, als die Zuschauer im Studio eintreffen. Ein Tontechniker verkabelt den Moderator mit einem Nackenbügelmikrofon, Mikrofonsender und In-Ear-Empfänger. Drei Ikegami-Kameras auf Pumpstativen mit HD-Boxoptiken, eine Handkamera und eine Steadicam sind von der Bildtechnik justiert worden und auf Stand-by.

„Sportstudio“-Moderator Jochen Breyer im Gespräch mit den Schwimmstars Sarah Köhler und Florian Wellbrock (Bild: Creative Art Production (CAP))

“Die besondere Herausforderung ist heute, dass die beiden Voraufzeichnungen mit Publikum, bestehend aus Moderationen, Gesprächen mit Gästen, Instagram-Fragen, Zuspielfilmen und Trailer für die Finals so herzustellen und zusammenzusetzen sind, dass sie in der späteren Livesendung nahtlos integriert werden können”, erläutert der Leiter der Sendung Markus Lipfert. Die Live-Übertragung des “Aktuellen Sportstudio” im ZDF beginnt um 22.40 Uhr. Moderator Jochen Breyer steht auf dem Dach des Studios und beginnt mit der Begrüßung vor dem Brandenburger Tor mit nächtlichem Hintergrund. Dann folgt die MAZ der ersten Voraufzeichnung mit dem Beitrag über die Leichtathletik. Zwischenzeitlich haben Konstanze Klosterhalfen und Jochen Breyer auf dem hellgrauen Sofa im Studio Platz genommen. Nach einem achtminütigen Gespräch mit Zuspielfilmen die zweite Voraufzeichnung mit den Schwimmwettbewerben gesendet. Leichtathletin Konstanze Klosterhalfen kommt wenig überraschend nicht um das abschließende Torwandschießen herum. Anschließend läuft der Abspann als Position 72 des Sendeablaufes mit den Bildern der Sendung. Außer dem Studiopublikum hat wohl niemand bemerkt, wie aufwändig und herausfordernd die Zusammenstellung der Sendung als Puzzle für alle Beteiligten war.

Eigene Einflugschneise

Am Sonntagmorgen findet der Triathlon-Sprint der Männer statt. Er beginnt mit der Schwimmstrecke im Strandbad Wannsee. Dort sind drei Kameras mit Boxoptiken auf Gerüsten und auf der Terrasse, drei drahtlose Schulterkamera, davon eine auf einem Motorboot und eine Kameradrohne im Einsatz. Dafür setzt der Dienstleister TVN aus Hannover eine DJI Matrice 600 Pro Drohne für die Live-Bildübertragung ein. Daran befindet sich ein stabilisierter 3-Achsen Brushless-Gimbal, in dem eine Sony HD-Systemkamera mit einer 18 bis 105 Millimeter Zoom-Optik montiert ist. “Die Übertragung des Bildsignals der Drohne erfolgt über eine Empfangsantenne, die auf der Terrasse positioniert ist. Von dort aus erfolgt die Signal-Anbindung über eine Stagebox via Lichtwellenleiter (LWL) zum Ü-Wagen”, erläutert Bastian Berlin von der TVN. Für den Einsatz der Kameradrohne sind der Drohnen-Pilot, der Kameramann und ein Bildtechniker verantwortlich. Für die etwa zehn Kilogramm schwere Drohne ist ein abgesperrter Start- und Landeplatz mit eigener Flugschneise Richtung Wasser notwendig. Der Flug der Drohne muss in Sichtweite des Piloten stattfinden. Selbst beim herrschenden Wind von 3,6 Metern pro Sekunde fliegt die Kameradrohne absolut stabil und liefert entsprechend ruhige Aufnahmen. Die Bilder des Kameramannes, der mit einer drahtlosen Schulterkamera ohne kardanische Aufhängung auf einer Aluminiumkiste in einem schwankenden Motorboot sitzt, wirken bei leichtem Wellen auf dem Wannsee im Vergleich eher schwankend. Schon zehn Minuten nach dem Start ist das sportliche Spektakel am Wannsee beendet und die Triathleten beginnen den nächsten Abschnitt des Rennens: 20 Kilometer mit dem Rennrad durch den Grunewald.

Durchschnittlich sahen die “Finals” bei der 1,39 Millionen Zuschauer am Samstag und 1,60 Millionen am Sonntag. ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann sagte abschließend: “Wir freuen uns sehr, dass unser Konzept voll aufgegangen ist. Die Premiere der ‘Finals’ lag weit über den Erwartungen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dieses Multisport-Event eine Fortsetzung findet.” [10673]

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