Hal Hickel, Animation Director bei Industrial Light & Magic, über die Innovationskraft der VFX-Schmiede
Griff nach den Sternen
von Timo Landsiedel,
Die Sternenkrieger sind in aller Munde. „Star Wars: The Rise of Skywalker“ kam im Dezember, die Star-Wars-Serie „The Mandalorian“ lief kürzlich auf dem in den USA gestarteten Streamingkanal Disney+ an. Oscargewinner Hal T. Hickel ist der Animation Supervisor der Serie und seit rund 20 Jahren bei der Effekteschmiede Industrial Light & Magic tätig. Timo Landsiedel sprach für unser Heft 12.2019 mit ihm über die Atmosphäre bei ILM, ob Star Wars noch Spaß macht und warum die Arbeit an „Rogue One“ so bahnbrechend war.
Ein paar langhaarige Nerds mieteten 1975 eine leer stehende Lagerhalle in Van Nuys im kalifornischen San Fernando Valley. Ihr Boss, ein bärtiger Brillenträger namens George Lucas, revolutionierte mit ihrer Hilfe in den kommenden Jahren nicht nur das Science-Fiction-Genre, sondern die Fertigung von visuellen und praktischen Effekten für die gesamte Filmindustrie. Lucas entwickelte für seine Space Opera „Star Wars“ in den kommenden zwei Jahren nie zuvor dagewesene Tricks und legte den Grundstein für innovative Lösungen am Puls der Zeit. Zur ersten Gruppe der Effekt-Spezialisten gehörten John Dykstra, Dennis Muren, Joe Johnston, Richard Edlund und auch Phil Tippet. Alle sind mit Oscars ausgezeichnet worden, manche sogar mehrfach. Der Name des Unternehmens ist bis heute Industrial Light & Magic.
1978 vergrößerte man sich und zog um nach San Rafael nördlich von San Francisco. Von hier war es dann nur noch eine halbstündige Autofahrt bis zum heutigen Wirkungsort im wunderschönen Presidio, einem Stadtteil San Franciscos. Hier steht inmitten von majestätischen Fichten und historischen Bauten aus der Zeit der spanischen Besiedlung vor über 200 Jahren das Letterman Digital Arts Center, die heutige Heimat von Industrial Light & Magic und Lucasfilm.
Angst bringt Innovation
Betritt man das Foyer hinter dem kitschigen Brunnen mit einer Yodastatue aus Bronze, so sieht man sich lebensgro- ßer Repliken von Darth Vader und R2D2 gegenüber. An der Anmeldung auf der rechten Seite kommt niemand ohne Einladung und Termin vorbei. Denn in diesem Ge- bäude wird an der Story von Star Wars geschrieben, an den Bildschirmen entstehen die Effektwelten, Raum- schiffe, Kreaturen und immer wieder bahnbrechende Technologiesprünge, deren Innovation nachhaltig die Branche beeinflussen.
Einer dieser Innovatoren ist Hal T. Hickel. Er holt uns persönlich im Foyer ab. Hickel ist gut gelaunt, wirkt bescheiden, führt uns durch die geräumigen, von historischen Filmpostern aus Lucas’ Privatsammlung gesäumten Gängen. Der Animation Director von ILM leitet seit mehr als zehn Jahren die Animationsabteilung der Effekteschmiede. Er stieß 1996 zum Team, studierte zuvor Film Graphics am Californian Studio of Arts, war als Animator bei Pixars „Toy Story“ dabei und arbeitete 1999 an seinem ersten Star-Wars-Projekt mit, an der Senatsszene aus „Episode 1 – Die dunkle Bedrohung“. „Es ist immer noch etwas Besonderes, wenn ein Star-Wars-Projekt auf dem Tisch liegt“, sagt Hickel. Er selbst war 13 Jahre alt, als 1977 der erste Film ins Kino kam und ist seitdem ein Fan. Hickel hat ein sehr ungewöhnliches Arbeitsethos: „Wenn ein Projekt einen Aspekt hat, der uns etwas Angst macht, weil wir noch nicht wissen, wie wir das bewerkstelligen sollen, ist das ein gutes Zeichen!“ Kommen Projekte von außen auf das Team zu, wird auch Hickel hinzugezogen und darf seine Einschätzung abgeben, ob die Herausforderung für die Animationsabteilung interessant wäre. Am liebsten haben es die Kalifornier, wenn sie von einem Studio als Generaldienstleister engagiert werden. Üblich ist es für die Majors, die kreativen Fäden selbst in der Hand zu halten und alles zentral zu verwalten. ILM bekommt es manchmal hin, dass die Studios ihnen die Verantwortung und Koordination über die restlichen VFX-Anbieter überlassen. Denn kein Unternehmen kann Blockbuster mit der heutigen Fülle von über 2.000 VFX-Shots noch alleine stemmen. ILM wendet dann die eigenen, hohen Ansprüche auch auf andere Studios an und stellt so sicher, dass alles wie aus einem Guss wirkt.
Oscar für Tentakelgesicht
Doch ausschlaggebend für einen Pitch für ein Projekt ist das nicht, so Hickel. Er mag vielmehr Regisseure, die seine Abteilung dazu bringen, die Grenzen zu überschreiten. Er arbeitete mehrfach mit Gore Verbinski zusammen, mit Guillermo del Toro, J. J. Abrams oder Jon Favreau. Für Verbinskis „Fluch der Karibik 2“ wurden er und das VFX- Team mit dem Oscar für Visuelle Effekte ausgezeichnet. „Gore kam zu uns und sagte, er wolle eine zentrale Figur im Film haben, die 100 Prozent digital sein wird – und wirklich überzeugen muss.“ Die Rolle des Davy Jones wurde am Set von dem Briten Bill Nighy gespielt. Er trug eine Art grauen Schlafanzug mit Trackingpunkten, auch sein Gesicht war von den Punkten überzogen. Diese dienen dem Tracking durch die Software iMocap. Sie erstellte auf Grundlage der Daten aus Nighys Performance ein Gitternetz, das als Basis für die Keyframe-Animation des Teams von Hickel fungierte. Alle 46 Tentakel des Tintenfischgesichts der Figur wurden einzeln per Hand animiert. Das war 2006.
Zwei Jahre später kam der erste „Iron Man“ in die Kinos. Hickel und seine Kollegen waren vor allem für die digitale Version des Iron-Man-Anzuges verantwortlich. Für gewöhnlich läuft der Prozess so ab, dass zunächst Konzeptzeichnungen erstellt werden. Diese hatten mit dem Comic schon eine höchst umfangreiche visuelle Referenz, was den Designprozess nicht unbedingt vereinfacht. Auf Grundlage dieser Zeichnungen entsteht dann eine Statue des Objekts, eine sogenannte Maquette. Diese wird dann für das CG-Modell eingescannt oder gar noch einmal abgeformt und mit Texturen und Details versehen, um als Licht- und Texturreferenz für die Animatoren und Shader herzuhalten.
Animation rettet Leben
Im Fall von Iron Man hatte das legendäre Stan Winston Studio den Anzug designt. Hier ergab sich schon bei den ersten Kostümproben des echten Anzugs mit Robert Downey Jr. ein Problem. Im gebauten Kostümanzug musste er nämlich auch Kämpfe bestreiten. Doch schon bei leichten Bewegungsübungen wurde klar: Das erstellte Design limitierte den Schauspieler nicht nur, sondern er hätte sich bei konsequent ausgeführten Kampfbewegungen mit Teilen der Rüstung in Hals und Kopf geschnitten. Das wollte vor allem Robert Downey Jr. gerne vermeiden. Für Kämpfe musst man daher eine digitale Lösung finden. Also setzte sich das Animationsteam daran, mit dem vorhandenen Design eine operable CG-Version des Anzugs zu erstellen. Operabel hieß in dem Fall, dass die Bewegungen realitätsgetreu waren, aber dennoch logisch die Physik des echten Anzugs erweiterten. In den nachfolgenden Filmen arbeitete Downey Jr. am Set fast ausschließlich mit einem Trackingsuit oder rudimentären Anzugsteilen auf den Schultern. [11029]