Was ist die besonderen Anmutung eines Filmbildes? Diese Frage beantworten die meisten mit einer sehr subjektiven Färbung. Die Ansichten von DoP Moritz Mössinger zum Thema waren jedoch im Gespräch in Ausgabe 5.2020 mit Gerdt Rohrbach naturwissenschaftlich und technisch begründet.
Moritz Mössinger begann seine akademische Ausbildung zum Kameramann an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Dort gefiel ihm zwar das kreative Arbeiten, doch insgesamt war ihm der Abschluss zum Medieningenieur zu techniklastig. So wechselte er an die Screen Academy nach Edinburgh. Hier konnte er das realisieren, was er sich schon seit langem gewünscht hatte: Kurzfilme drehen und als Kameraassistent und Beleuchter viel Zeit am Set verbringen. Zurück in Deutschland schloss er sein Studium mit einer Bachelor-Arbeit über „Vintage-Objektive an digitalen Kameras“ ab und ging zum Masterstudium an die Hamburg Media School.
Woran aus dieser Zeit erinnerst du dich am liebsten?
Unter anderem an meinen ersten Kurzfilm an der HMS. Es galt im Rahmen des Studiums drei Filme mit fünf, zehn und 20 Minuten Länge zu realisieren, den ersten davon auf 35-mm-Schwarz-Weiß-Material. Wir hatten acht 400- Fuß-Filmrollen Kodak Double X. Das Material hat nur 250 ASA und der Blendenumfang dürfte bei etwa acht Blenden liegen. Durch die Arbeit mit dem recht unempfindlichen Filmmaterial konnte ich lernen, mich allein auf meinen Belichtungsmesser und meine Augen zu verlassen. Mein Film spielte überwiegend in einer Bar bei Nacht, so dass wir sehr aufwendig Licht setzen mussten. Wir hatten drei Drehtage, aber erst nach fünf Tagen konnte ich zum ersten Mal meine Muster sehen. Am Anfang habe ich noch Fotos mit einer DSLR gemacht, um einen Eindruck des Bildes zu bekommen und dem Coloristen einen Richtwert für die Dailies zu geben. Nach und nach konnte ich aber meinem Gefühl vertrauen. Auf diesen Film bin ich heute noch stolz, da ich mich trotz der Unsicherheiten getraut habe, sehr kontrastreich zu leuchten.
Außerdem erinnere ich mich gerne an meine Studiengangsleiter Judith Kaufmann und Achim Pulheim, zwei sehr unterschiedliche Kameraleute und tolle Menschen. Beide waren für uns Studenten 24 Stunden am Tag erreichbar. Wenn wir Fragen hatten, rief Judith uns noch nachts vom Set aus an, um uns Tipps und Unterstützung zu geben.
Einer deiner Filme endet mit dem Satz: „Fashion changes – style endures“. Wie kann man deinen Stil in Worte fassen?
Da ist die Situation etwas paradox, denn einerseits will man natürlich seinen eigenen Style entwickeln. Andererseits ist es mein Wunsch, mich bei jedem Projekt weiter zu entwickeln und die richtige Bildsprache für das Konzept zu finden. Als Style kann ich bestenfalls die Herangehensweisen beschreiben, weniger das, was man am Ende sieht. In erster Linie möchte ich emotionale Bilder machen und dafür anhand von Farbe und Bewegung und Licht die passenden Mittel finden.
Auch über die Nähe oder Entfernung zum Darsteller möchte ich die Emotionen und den Inhalt direkt auf den Zuschauer übertragen können. So gibt es Projekte, in denen ich versuche, monochrom zu arbeiten, aber genauso andere mit großen Farbkontrasten oder in Schwarz- Weiß. Nach einer Zeit mit vielen Projekten mit Schulterkamera als Stilmittel folgten einige mit einem Schwerpunkt auf Steadicam oder Dolly. Über die Kamera fühle ich mich beim Operaten sehr mit dem Schauspieler verbunden. Ich bin mehr Teil einer Szene.
Ein Stilmerkmal von mir ist vielleicht, dass ich immer wieder mit Seitenverhältnissen experimentiere. Von anamorphem Cinemascope, Super 16, 1:1.66 oder auch 4:3. Ich halte das Seitenverhältnis für ein sehr wichtiges Stilmittel.
Wie stehen die Auftraggeber zum Seitenverhältnis?
Generell dominiert im Fernsehen das Format 16:9, wobei ich immer öfter auch auf 1:2 stoße. Es scheint das akzeptierte Cinemascope zu sein. Was inzwischen wohl als Kompromiss zwischen 1:2.39 und 16:9 gesehen wird, ist interessanterweise das von Vittorio Storaro etablierte Univision-Format. Als ich meinen Abschlussfilm in 4:3 gedreht habe, führte das überraschenderweise zu hitzigen Diskussionen. Im Abschlussgespräch hieß es: „Das ist Neunziger Jahre! Wir sind doch froh, dass wir das los sind!“ Dabei ist für mich das Seitenverhältnis keine Frage von Fortschritt, sondern eine Frage der Filmaussage. Warum soll ich das Seitenverhältnis eines Spielfilmes rein an die technischen Vorgaben eines Abspielgerätes binden?
Etwas anderes ist es, wenn ich einen Auftrag für eine Werbung bekomme, die unter anderem auf Instagram oder Online ausgewertet werden soll. Hier verstehe ich, dass 9:16 oder 1:1 als Formatoption gefordert sind. Es widerstrebt mir, das Format 16:9, das aus den Herstellungsbedingungen von Platinen herrührt und nicht aus einem künstlerischen Gestaltungswillen, als das Filmformat schlechthin anzuerkennen.
Beim Seitenverhältnis, aber auch bei Licht und Beleuchtung, argumentieren Auftraggeber sehr häufig mit den Sehgewohnheiten ihres Publikums.
Low Key oder High Key sind elementare Mittel der Bildsprache. Ich bin sehr dafür, dass man diese Möglichkeiten voll ausnutzen kann. Unterwirft man sich da irgendwelchen Ängsten, beschneidet man die Möglichkeiten künstlerischer Kreativität. Es kommt immer wieder vor, dass Low-Key-Szenen im Nachhinein wieder heller gegradet werden oder im Nachhinein Beschwerden aufkommen. Ein gutes Beispiel ist hierfür die 3. Folge der letzten Staffel Game of Thrones, die extrem dunkel und stimmungsvoll war. Wenn ich dann die Diskussion mitverfolge, dass einige Szenen auf dem Laptop oder Fernseher im hellen Zimmer aufgrund der Dunkelheit nicht erkennbar waren, so leuchtet mir das zwar ein, aber ich denke, es liegt immer noch im Ermessen der Filmemacher. Wenn man sich ausnahmslos der widrigsten vorstellbaren Wiedergabesituation unterwerfen muss, kann man eigentlich aufhören, Filme zu machen. Es gibt Leute, die beim Fernsehen bügeln. Das ist natürlich die Entscheidung eines jeden Zuschauers, ich möchte meine Ansprüche aber lieber an denjenigen ausrichten, die sich einen Film bewusst anschauen und im besten Fall vom Inhalt so gepackt sind, dass sie für 90 Minuten nicht an ihr Handy oder die Waschmaschine denken.
Man sollte keinen Zuschauer vernachlässigen, aber auch seine Fähigkeiten, ein Bild und eine Geschichte emotional zu verstehen, nicht unterschätzen. Die Entscheidung, wie weit man in der Bildsprache eines Projektes gehen kann, hängt in meinen Augen maßgeblich mit der Zusammenarbeit zwischen Regie und Kamera zusammen. Wenn eine radikalere Bildsprache den Inhalt unterstützt, muss man gemeinsam mutig sein und die Vision letztendlich auch umsetzen.
Wie kann das konkret aussehen und was kann ein Kameramann dagegen tun, damit seine Handschrift nicht im Grading verloren geht?
Im digitalen Cinema ist die Bedeutung des Grading extrem hoch. So wie man sagt, dass der Film im Schnitt entsteht, wird in meinen Augen das Bild erst im Grading wirklich fertiggestellt. Was hier gemacht wird, entscheidet über jedes meiner Bilder. Ich arbeite mit viel Leidenschaft am Set. Ich liebe es, ein Bild zu kreieren, ich verlasse mich auf mein Auge. Ich setze Licht, und ich weiß, wie die Helligkeiten und Farben von dem jeweiligen Kameramodell wiedergegeben werden. Nur so kann ich sichergehen, dass im Grading auch das entsteht, was ich mir vorgestellt habe. Heutzutage sind LUTs als Möglichkeit, schon am Set ein gegradetes Bild zu sehen, ein immer größeres Thema geworden. Wenn ich zum Beispiel mit der ARRI ALEXA drehe, verwende ich immer noch die Rec.709-Classic-LUT im Sucher, da ich mich dadurch blind auf meine Erfahrung verlassen kann. Ich weiß, wo die Helligkeiten sitzen. Es ist alles eine Frage der Gewohnheit. Wenn ich mich für ein analoges Material wie Kodak 250D entscheide, weiß ich, wie es mein Bild wiedergibt. Sobald ich über meinen Sucher externe Custom-LUTs einspiele, verändert es das Gefühl, ein Bild zu belichten. Das hat auch etwas, um es hart zu sagen, mit dem Verlust von Kontrolle und Vertrauen ins Bild zu tun. Ich möchte mich dadurch nicht ablenken lassen. Ich bevorzuge es deshalb, über die Dailies und dann im Grading den Look zu finalisieren, aber nicht über eingespielte LUTs am Set. Vermutlich werde ich in Zukunft jedoch zunehmend damit experimentieren, um die Möglichkeiten zu erforschen. Wichtig ist mir, nie durch die technischen Parameter die Bildsprache bestimmen zu lassen, sondern sie als Werkzeuge auf dem Weg zu einem guten Bild verwenden zu können.
In dieser Hinsicht tun uns viele Kamerahersteller leider gar keinen Gefallen. Man versteift sich oft auf gewisse technische Spezifikationen, indem man nach dem Motto „neu ist besser“ gewisse technische Parameter als „besser“ vermarktet. Auflösung, Lichtempfindlichkeit und Kontrast werden somit oft falsch interpretiert. Eine höhere Lichtempfindlichkeit kann hilfreich sein, ist jedoch kein Argument für weniger Aufwand oder kürzere Zeiten für die Lichtsetzung. Die höhere Auflösung hat in den letzten Jahren für einen großen Bedarf an alten Objektiven und optischen Filtern gesorgt, mit denen eben dieser Auflösung entgegengewirkt werden kann. Für mich zeigt dies, dass der Hyperrealismus, den diese Schärfe erzeugt, nur selten wirklich gewünscht ist.
Da dominiert möglicherweise eine Wertschätzung von Realismus, wo es doch in der Kunst nicht um realistische Abbildung, sondern um das Erscheinen einer Idee geht.
Ganz genau! Dies betrifft zum Beispiel auch das Grading und damit den Dynamikumfang. Da HDR-Wiedergabemedien auf den Markt kommen, die einen höheren Dynamikumfang abbilden können, also nicht nur tiefes Schwarz, sondern auch große Helligkeiten, ist das plötzlich das neue Verkaufsargument nicht nur für Geräte, sondern auch für Filme.
Bei HDR muss man aber bedenken, dass das Auge, etwa in Low-Key-Situationen bei Nacht, immer zum hellsten Punkt im Bild gezogen wird. Wenn man eine dunkle Szene in einer Gasse mit einer Straßenlaterne im Hintergrund dreht, hilft der helle Referenzpunkt, dass man Schwarz überhaupt als Schwarz erkennt. Wenn diese Helligkeit aber so intensiv wiedergegeben wird, dass man immer auf diesen Punkt schaut und nicht auf die Akteure, dann ist das kontraproduktiv.
Wenn man die faszinierenden Möglichkeiten eines HDR- Bildes also nicht als eine Facette im Werkzeugkasten eines Kameramenschen sieht, sondern zwangsläufig versucht, die maximalen Pegel eines HDR-Bildes auszunutzen, dann widerspricht das der Intention der Szene und der Zuschauer wird möglicherweise vom Geschehen abgelenkt. Andererseits ist es natürlich toll, wie sich die Technik weiterentwickelt und sich Möglichkeiten, ein Bild zu erschaffen, ständig erweitern. Der Segen neuer Möglichkeiten verlangt jedoch auch ein ständiges Testen und Experimentieren.
Du hast einen preisgekrönten Werbefilm über den neuen Porsche 911 auf Super 16 gedreht. Welche Gestaltungsmöglichkeiten bietet dir analoger Film?
Das Tollste ist für mich die Farbigkeit und die Farbseparation etwa von Haut und Hintergrund. Jeder Farbton ist klar vom anderen abgegrenzt. Das wird im digitalen, logarithmischen Bild stark eingegrenzt! Da gibt es ein paar Horrorszenarien, wie zum Beispiel eine helle Hautfarbe vor hellem Holz. Diese Farbtöne sind beim digitalen Bild schwer zu separieren, während es beim analogen Bild eine klare Farbtrennung gibt.
Dann sind da die generelle Farbsättigung, die tiefen Schwärzen und die Abbildung von Highlights. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zum digitalen Bild, bei dem die Highlights und Lowlights in den Farbkanälen stark komprimiert werden, um auf ein klares Schwarz und ein klares Weiß zu kommen, beim analogen Filmbild Farbigkeit eben nicht verloren geht. Zum Beispiel wird bei der ARRI ALEXA erst durch ein leichtes Abblenden gegenüber der normalen Belichtung auf Blende eine stärkere Farbigkeit erreicht. Bei analogem Film findet die Entwicklung von Farbmolekülen im Entwicklungsprozess durch das Einfallen von Licht erst statt. So bekommt man auch ein High-Key-Bild satt bunt. Hinzu kommt, dass analoger Film eine fast endlose Belichtung in den Highlights hat. 16 Blenden im Dynamikumfang sind durch nichts zu knacken. Wenn man also die Gesichtshaut im Schatten korrekt belichtet, wird man die Highlights im Hintergrund nicht verlieren. Bei einer digitalen Kamera sollten zu hell belichtete Hauttöne vermieden werden, da das Bild sonst schnell „digital“ oder „ausgebrannt“ wirkt. Da digitale Kameras oft weit in die Schatten sehen, kommen diese dann voll zur Geltung, wenn man viele dunkle Bildanteile besitzt.
Wann arbeitest du analog und wann digital?
In erster Linie ist es von der gewünschten Bildsprache, aber auch von den Produktionsumständen abhängig. Analogen Film setze ich dann ein, wenn ich weiß: Hier habe ich dadurch einen klaren Mehrwert. Für mich ist Film ein künstlerisches Stilmittel. [12473]