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Dr. Julia Effertz etabliert Intimitätskoordination an deutschen Sets

Eine Komfortzone herstellen

Dr. Julia Effertz ist eine der wenigen Intimitätskoordinatorinnen Deutschlands. Wo die Stuntkoordination dafür sorgt, dass Schauspielende sich nicht körperlich verletzen, stellt Effertz sicher, dass vor der Kamera niemand seelisch Schaden nimmt. Wir haben von Julia Effertz für unser Heft 6.2021 erfahren, warum das enorm wichtig für alle Menschen am Set ist, wieso das in letzter Zeit so starke Nachfrage erhält und wie sie arbeitet.

(Bild: Teresa Marenzi)

Jeder von uns will sicher arbeiten. Wenn es vor der Kamera körperlich wird, sorgt die Stuntkoordination dafür, dass bei einem Kampf jede Bewegung genau abgesprochen ist. Das stellt niemand in Frage. Doch es gibt auch weniger sichtbare Verletzungen, die vor der Kamera geschehen können. Es geht um intime Szenen, in denen Schauspielende ihre Rolle sehr nah an ihre private Person und den privaten Körper lassen. Geht hier etwas schief, kann es zu lebenslangen Traumata kommen. Diese Gefahr ist lange nicht wahrgenommen worden. Erst in jüngster Vergangenheit rückt das Thema Intimitätskoordination in den Fokus.

Die Analogie zu Stuntkoordination ist gar nicht weit hergeholt. „Wie auch bei einer Kampfszene braucht es jemanden, der eine intime Szene absichert, Bewegungsabläufe choreografiert und dafür sorgt, dass die Schauspieler safe sind und die Szene trotzdem super aussieht“, sagt Intimitätskoordinatorin Julia Effertz.

Auch Netflix setzte bei „Bridgerton“ auf Intimitätskoordination.

Intimität fundamental für Geschichten

Effertz selbst kennt die Situation der Darsteller gut. Sie ist ausgebildete Schauspielerin, steht seit dem Jugendalter als Sprecherin vor dem Mikro und arbeitet seit vielen Jahren auf Bühnen und vor der Kamera. Zudem promovierte sie in Literaturwissenschaft und ist als Drehbuchautorin und dramaturgische Beraterin tätig. Auf deutschen TV-Bildschirmen war sie zuletzt in der Genreserie „Sløborn“, der Comedyserie „Der Lack ist ab“ sowie in „Soko Wismar“ zu sehen.

Intime Szenen sind für Effertz wichtige Elemente des Storytellings. „Intimität selbst, Liebe, Zärtlichkeit, Küssen, Knutschen, Sex sind ja ein ganz essenzieller Bestandteil Auch Netflix setzte bei „Bridgerton“ auf Intimitätskoordination. unseres Menschseins“, sagt Julia Effertz. „Wir sind soziale Wesen, also ist das auch fundamental für unsere Geschichten.“

Um 2004 herum halten erste Intimacy Coordinators Einzug an Sets und Theatern in den USA. Das waren damals vor allem Crewmitglieder, die aus der Stunt- und Kampfchoreografie kamen. Durchgesetzt jedoch hat sich diese Art der Koordination von Szenen erst im Backlash der Causa Weinstein. Die Studios wollen sich gegen Schadenersatzklagen absichern. Also setzte man ab 2017 stark ansteigend auf Intimacy Coordinators. Die US-Gewerkschaft SAG-Aftra machte entsprechende Richtlinien zum Branchenstandard.

Privatperson und Figur trennen

Julia Effertz wurde selbst in dieser Zeit auf das Thema Intimitätskoordination aufmerksam. 2018 war die Schauspielerin auf den Filmfestspielen in Cannes. Das gesamte Festival sprach über Harvey Weinstein, es gab zahlreiche Panels und Vorträge zu dem Thema. Einen dieser Vorträge hielt die Britin Ita O‘Brien. Die Intimitätskoordinatorin und Schauspielerin stellte an der Croisette ihre 2017 entwickelten Guidelines für „Intimacy on Set“ vor. „Das hat mir sofort eingeleuchtet, weil ich als Schauspielerin weiß, wie heikel solche Szenen sein können“, erinnert sich Julia Effertz.


Wie können Kameraleute die Arbeit der Intimitätskoordination am Set unterstützen? 

1. Am Ende jeder Einstellung einer Nacktszene: Kamera wegschwenken
Julia Effertz erklärt: „Am Ende der Szene ist die Figur vorbei und die Schauspieler sind wieder sie selbst – auch in ihrer Nacktheit. Da gilt es, die Intimsphäre der Schauspieler:innen zu schützen. Deshalb bitte ich die Bildgestalter:innen, die Kamera wegzuschwenken, um die Nacktheit der Schauspieler vom Monitor zu nehmen.“

2. DoP gegen Ende der intimen Proben hinzuziehen
„Ich freue mich immer besonders, wenn Bildgestalter:innen mit gucken können, wie die Schauspieler:innen die Szene ausgeformt haben. Hier können schon früh Auflösungsideen besprochen werden und gemeinsam kann die Essenz dieser Intimität bildtechnisch herausgearbeitet werden“, sagt Julia Effertz.

3. Eine klare Shotlist erstellen und mit der Intimitätskoordination teilen
„Es ist klasse, wenn ich eine Shotlist bekomme und die im Idealfall vor dem Drehtag auch mit den Schauspieler:innen kurz durchsprechen kann“, so Julia Effertz. „Das hilft den Schauspielern sehr, weil sie sich ernst- und wahrgenommen fühlen und einbezogen werden in diesen Prozess.“


„Auch hier bei uns in Deutschland ist das ein systemisches Problem, aber ich realisierte, dass das hier noch gar kein Thema war. Ich wollte hier positive Veränderung schaffen.“ 2019 bot Ita O‘Brien erstmals in London eine Fortbildung für die Intimitätskoordination an. So nahm Effertz an der einjährigen Fortbildung teil. Die Zusatzausbildung ist berufsbegleitend. Entgegen des Vorurteils, dass der Job von Frauen für Frauen sei, gibt es Effertz zufolge auch viele Männer, die als Intimitätskoordinator arbeiten. Aktuell nimmt Effertz zudem noch an einem Mentoring- und Weiterbildungsprogramm in Los Angeles bei der Intimacy Professionals Association (IPA) teil. Seit 2020 arbeitet sie an deutschen TV- und Kinosets als Intimitätskoordinatorin.

Eine Grundlage ist das Verstehen, wie Menschen vor der Kamera überhaupt arbeiten. „Das ist die Krux des Schauspielers, sein Instrument ist nicht die Gitarre, die man weglegen kann, sondern der eigene Körper“, sagt Julia Effertz. „Diese Trennung innerlich zu vollziehen, das ist wirklich Hochleistungssport. Man spielt etwas, aber es hat nun mal auch einen Effekt auf einen im Privatkörper, in der Psyche.“ [14601]


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