Der Hamburger Kameramann Torben Müller ist jemand, der seine Zuschauer bewusst aus der Komfortzone ihrer Sehgewohnheiten reißt.Was er dazu alles anstellt und was er damit bewirken will, hat Gerdt Rohrbach im Gespräch mit ihm für unser Heft 6.2021 in Erfahrung bringen können.
Wofür wirst du von deinen Auftraggebern gebucht? Mein Arbeitsschwerpunkt liegt im nicht-fiktionalen Bereich. Neben den klassischen Dokumentarfilmen und Doku-Serien sind es auch Projekte, die eine szenische Herangehensweise erfordern. Gerne arbeite ich mit einem kleinen Team, schnell und spontan. Und dennoch sollen die Vorstellungen des Regisseurs hinsichtlich Kamera, Bewegung und Licht umgesetzt werden. Hinsichtlich der Genres bin ich nicht festgelegt, aber mit der Zeit haben sich bestimmte Vorlieben etabliert.
In deiner Filmographie habe ich eine stattliche Anzahl von Landschaftsporträts gefunden, Berichte über antike Straßen und dann natürlich die große Reihe über die Bahnhofspaläste. Hast du auch persönlich eine Vorliebe für diese Thematiken?
Ja, absolut! Für mich gibt es nichts Faszinierenderes als zu reisen, Länder zu erkunden, denn es gibt nichts Interessanteres, als solche Dinge zu dokumentieren und damit auch zu erhalten. Natürlich fasziniert auch die Exotik fremder Länder. Darüber ist es einfacher, sich inspirieren zu lassen. Das Unbekannte lässt sich auch leichter abbilden. Andererseits kann es auch eine Herausforderung sein, die vertraute Umgebung, in der man sich täglich bewegt, neu zu entdecken und gestalterisch anders darzustellen. Küsten üben auf mich eine besondere Anziehungskraft aus. Ich bin immer gerne am Meer und ich bin umso glücklicher, wenn ich dort mit der Kamera arbeiten kann.
Kannst du das noch etwas vertiefen?
Vielleicht hängt so etwas auch mit der Herkunft zusammen. Ich kenne viele Freunde und Kollegen, die aus den Bergen kommen, und für die es nichts Größeres gibt, als auf einem Gipfel zu stehen. Bei mir ist es eher der Blick in die Weite. Es muss nicht unbedingt das Meer sein, die Wüste übt eine ähnliche Wirkung auf mich aus. Der Blick darauf kann enorm beruhigend sein.
Du hast auch eine Ausbildung zum Fotografen absolviert. Wie profitierst du heute als Kameramann im digitalen Zeitalter von dieser Ausbildung?
Als ich anfing, mich mit Fotografie zu beschäftigen, widmete ich mich vorwiegend der Schwarz-Weiß-Fotografie. Dabei ist man an den großen Namen nicht vorbeigekommen. Ansel Adams wurde zu meinem Idol. Ich habe seine Lehren über „Das Negativ“ und „Das Positiv“ richtiggehend aufgesogen. Er hat mir die Augen geöffnet, wie Motiv und Kontrastumfang zusammengehören. Das ist eine geniale Herangehensweise, die mich sehr geprägt hat. Noch heute denke ich so, auch wenn ich in Farbe drehe.
Darin steckt wohl auch sehr viel Liebe zum Handwerk?
Absolut! Er ist in erster Linie ein handwerklicher Fotograf. Das Gestalterische folgt dem.
Du hast ja auch noch mit 16-mm-Film gearbeitet. Was schätzt du daran heute, obwohl du ja jetzt ausschließlich digital drehst?
Ich schätze daran, dass man sehr einfach arbeiten kann. Man brauchte nicht für jede Gelegenheit besondere Settings: Bei 16 mm musste man im besten Fall noch mal die Bildrate einstellen. Der Look wurde vom Filmmaterial bestimmt. Und dann ist da das bewusstere Drehen. Man ist vom Material her limitiert und das erfordert Disziplin. Das kann auch dazu führen, dass man effizienter arbeitet.
Wie würdest du den Unterschied zwischen einem analogen und einem digitalen Bild in Worte fassen?
Das Filmbild hat für mich eine organische Schönheit, es hat Textur. Ich weiß, dass die lichtempfindlichen Silber-Halogenide niemals an der gleichen Stelle liegen können. Das sorgt aber dafür, dass lebendiges Korn entsteht. Und dann kommt dazu, dass das Material 25-mal pro Sekunde bewegt, gestoppt, belichtet und weitertransportiert wird. Man kann hier wirklich von Bewegtbildern sprechen. Im Vergleich zu digitalen Bildern wirkt das vielleicht etwas unperfekt, das ist aber das, was auch den Charme des Films ausmacht
Hast du unter den digitalen Kameras eine Lieblingskamera?
In beiden Welten ist die richtige Kamera abhängig von den Anforderungen, die sich aus der Drehsituation ergeben. Bei Dokus spricht ja vieles für eine leichte und handliche Kamera. Eine noch größere Rolle spielt für mich eine gute Bedienbarkeit. Das schließt die Objektive mit ein. Was die visuelle Anmutung anbelangt, hat ARRI einen Sensor geschaffen, der noch heute Maßstäbe setzt. Mit der neuen ALEXA Mini LF ist momentan eine großartige Kamera auf dem Markt, die mit ihrem Sensor alle Wünsche nach besserer Auflösung und Farbspektrum abdecken kann.
Gilt das besonders für den Natur und Landschaftsfilmer?
Genau! Und dann sind da die Hauttöne. Wenn man Menschen vor der Kamera hat, und das ist ja bei den Landschaftsporträts auch immer der Fall, dann macht sich die ALEXA Mini besonders gut.
Bei einem deiner Filme über die antiken Römerstraßen bin ich auf eine Passage gestoßen, in der das gleiche Bild, das vorher in einer digitalcleanen Art und Weise aufgenommen wurde, plötzlich wie ein völlig unbearbeitetes 16mm oder gar Super-8-Bild erscheint. Wird darüber dem analogen Film nicht ein Malus verpasst?
Ein ähnliches Feedback haben wir von einigen Zuschauern auch erhalten. So was könne man doch heute besser machen. Wir wollten diese Filme aber wie ein Road Movie aus den 1970er Jahren aussehen lassen. So hatten wir uns dafür entschieden, den Look von Super-8-, 16-mm- und 35-mm- Film zu integrieren und zwar in einer Bildqualität, wie wir sie heute noch aus jener Zeit kennen. Heutzutage kann man ein Filmbild natürlich perfekt scannen, damals aber war die Körnigkeit des Materials und die Qualität der Abtastung wesentlich geringer.
Wie wurden diese Einstellungen gedreht? Wir haben nicht einfach vorhandene Filter über das Bild gelegt, sondern alle Effekte sind tatsächlich analog. Die Schrammen, Lichteinfall und auch das Korn entstanden, indem gescanntes Filmmaterial in das Material eingebaut wurde.
Ein weiteres Stilmittel in deinen Filmen ist der Umgang mit Schärfe und Unschärfe. Ich erinnere mich in „Milano Centrale“ an eine Einstellung, bei der der Vordergrund und die Bildränder scharf sind, während das Geschehen im Zentrum unscharf bleibt. Was war die Absicht bei diesem Umgang mit der Unschärfe?
Dieses Stilmittel haben wir besonders dann eingesetzt, wenn wir eine historische Begebenheit darstellen wollten. Die Akteure, die wir vor der Kamera haben, sind ja nicht die eigentlich historischen Figuren. Und wir fanden, dass die Unschärfe viel mehr Raum für Imagination lässt. Es verlangt dem Betrachter sicher einiges ab. Durch unsere Seherfahrung komplettieren wir ja ein unvollständiges Bild. Das macht unsere Bilder interessanter als die Bilder, die auf den ersten Blick schon alles erzählen. [14603]