Wir stellen die Preisträger des 31. Deutschen Kamerapreises vor (1)
Der Schönheit misstrauen – DoP Christine A. Maier
von Uwe Agnes,
Auch in diesem Jahr musste der Deutsche Kamerapreis ohne eine öffentlichkeitswirksame Gala zur Preisverleihung auskommen. In unserer Ausgabe 10.2021 haben wir wieder eine Serie begonnen, in der wir die Preisträgerinnen und Preisträger des 31. Deutschen Kamerapreises im Gespräch vorstellen. Den Anfang macht Christine A. Maier, ausgezeichnet mit dem Preis für die beste Kamera bei einem Kinospielfilm.
Christine A. Maier wurde 1969 in Graz geboren und studierte Kamera und Bildgestaltung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Seit Ende der 1990er Jahre arbeitet sie als Kamerafrau für Kinospielfilme, aber auch TV-Filme wie die ARD-Reihe „Tatort“. Schon für ihren ersten abendfüllenden Spielfilm „Nordrand“ (1999) bekam sie mehrere Auszeichnungen. Ihr Film „Grbavica“ erhielt den Goldenen Bären der Berlinale 2006, für „Licht“ wurde Christine A. Maier 2017 mit dem Österreichischen Filmpreis für die beste Kamera ausgezeichnet. 2020 zeichnete die Akademie der Künste Berlin Christine A. Maier mit dem Kunstpreis im Bereich Film und Medien aus. „Quo Vadis, Aida?“, den sie unter der Regie Jasmila Žbanić, drehte, hatte im Wettbewerb in Venedig seine Premiere und erhielt bei den diesjährigen Oscars eine Nominierung für den besten internationalen Film. Christine A. Maier lebt in Berlin.
Erst einmal einen herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Kamerapreis – schade, dass es auch dieses Jahr keine Gala gab, da wäre wir uns sicher über den Weg gelaufen! Was hat es für dich bedeutet, für die beste Kamera bei einem Kinospielfilm ausgezeichnet zu werden? Ich bin Österreicherin, aber ich lebe und arbeite meistens in Deutschland. Es war unglaublich schön, den Preis zu gewinnen, ich habe mich sehr darüber gefreut.
„Quo Vadis, Aida“ behandelt mit dem Genozid von Srebrenica 1995 ein schwieriges Thema. Du warst ja unmittelbar nach dem Friedensschluss von Dayton selbst in Bosnien. Wie kam es dazu? Ich studierte damals an der Wiener Filmakademie, wo ich zusammen mit Barbara Albert und Maria Arlamowsky 1995 das StudentInnenfilmfestival organisiert habe. Ich hatte damals einen Dokumentarfilm des WDR gesehen, der hieß „Susanne im Keller“, über eine junge Frau in Sarajevo, die genauso alt war wie wir damals und aufgrund der Belagerung im Keller wohnen musste. Der Film beschrieb ihren Alltag in dieser Stadt, die nur ein paar Autostunden von Wien entfernt ist. Diese Dokumentation hat mich dermaßen berührt, dass ich vorgeschlagen habe, Filme und Studierende aus Sarajevo nach Wien einzuladen. Uns ist es damals aber aufgrund der politischen Lage nicht gelungen, Studierende nach Wien zu bekommen, aber wir konnten eine Schwerpunktreihe mit damals aktuellen Film- und Videoarbeiten aus Bosnien zusammenstellen. Der Erlös aus unserem Festival ging an die Filmhochschule in Sarajevo.
Anfang 1996 hatten Barbara Albert und ich dann die Gelegenheit, mit Nikolaus Geyrhalter nach Sarajevo zu fahren. Wir starteten eine Sammelaktion in Wien und fuhren vollbepackt mit Filmbüchern, gespendeten Kameras, Filmmaterial und Videokassetten mit dem Auto nach Sarajevo. Es war eine intensive Reise. Wir sind nach zwei Tagen in Sarajevo angekommen und die erste Frau, die wir auf der Straße angesprochen haben, um zu fragen, ob das hier die Hochschule sei, war Jasmila Žbanić. Sie hatte an diesem Abend eine Theaterperformance für ihre Abschlussprüfung, die wir uns dann gleich anschauten. Da wir nicht wussten, wo wir übernachten würden, hat sie uns in das Apartment ihrer Mutter eingeladen, wo wir für die nächsten zehn Tage im Wohnzimmer geschlafen haben. Das war der Anfang einer großen Freundschaft. Während unseres Aufenthalts in Bosnien waren wir damals auch in einem Lager für Geflüchtete in Tuzla, wohin Frauen und Kinder aus Srebrenica geflohen waren. Aber das Ausmaß dessen, was passiert war, war uns nicht annähernd bewusst.
Wie haben diese Erlebnisse deine Arbeit und Herangehensweise bei „Quo Vadis, Aida“ beeinflusst?
Auf diesen ersten Reisen gab es schon so viele Bilder und gleichzeitig war es beinahe eklatanter was man alles nicht sah, wenn man damals durch die Dörfer und Städte fuhr. Aber der wirkliche Einfluss kam später, als Jasmila Žbanić „Red Rubber Boots“ gedreht hat. In dem Film geht es um die Suche der staatlichen Kommission nach vermissten Personen und das Ausfindigmachen der Massengräber. Ich habe die Dreharbeiten drei Tage lang begleitet. Wir sind in diesen drei Tagen durch die schönsten Landschaften gefahren. Ich konnte eine Zeit lang der Schönheit einer Landschaft nicht mehr trauen. Mein Blick hatte sich dadurch verändert. Das war vor allem ein körperliches Gefühl. Während unserer Motivsuche zu „Quo vadis, Aida?“ war die Erinnerung an dieses Gefühl sehr präsent. Es gab viele Orte, die auch heute noch besetzt sind. An einigen dieser Orte haben wir gedreht.
Nicht zuletzt aus diesen Erfahrungen habe ich ein sehr ambivalentes Verhältnis zu militärischen und heroischen Darstellungen von Krieg. Deshalb waren Jasmila und ich uns bei „Quo Vadis, Aida?“ einig, dass wir nicht der Faszination des Krieges mit unseren Bildern anheimfallen wollten. „Quo Vadis, Aida?“ hat eine lange Vorgeschichte. Ich war bei diesem Projekt schon früh eingebunden und kannte alle Phasen des Drehbuchs, das sich bis zum Schluss verändert hat. Jasmila hat jahrelang viel darüber recherchiert, wir haben in dieser Zeit viel historisches Bildmaterial gesammelt und ausgewertet. Es war von Anfang an klar, dass es nicht möglich sein wird, die ganze Breite und Dimension dieser Geschehnisse in einem Spielfilm zu fassen. Jasmila hat früh beschlossen, sich auf die drei Tage im UN-Compound zu beschränken und die Geschehnisse anhand des Schicksals der Hauptfigur Aida und ihrer Familie zu erzählen. Gleichzeitig haben wir versucht, die individuelle und die kollektive Ebene der Ereignisse im Film nicht getrennt voneinander zu zeigen, um die Dimension fühlbar zu machen, die es hatte. Das war uns vor allem im Umgang mit den großen Komparserie-Szenen wichtig. Wir wollten keine gesichtslosen Massen zeigen, sondern Menschen, die genauso wie Aida und ihre Angehörigen, ihre eigenen Schicksale haben.Ein Element, das wir auch immer wieder verfolgt haben, war das bewusste Heraustreten aus der Erzählung, um einen Raum zu öffnen, der von Anfang an den Blick des Zuschauers über das Narrative hinaus erweitern sollte. Dies zeigt sich zum Beispiel gleich zu Beginn im ersten Bild: Wir sehen eine Familie.
Wie hat sich das auf deine Kameraarbeit ausgewirkt? Wir wollten nicht, dass die Kamera den Stil einer Kriegsberichterstattung hat, also eine Art von Agitation simuliert. Einer unserer schwierigsten Fragen, die wir uns gestellt haben, war, wie machen wir den Krieg fühlbar ohne direkte Gewaltdarstellungen. Uns ging es darum, was Gewalt für ein einzelnes Leben bewirkt, dazu brauchen wir den Moment der Gewalt nicht zu sehen. Deshalb beschreiben wir das Davor und Danach. Ein wichtiges Element, das wir erreichen wollten, war die Momenthaftigkeit der Bilder, deshalb haben wir uns gegen eine allzu unruhige Handkamera entschieden. Wir haben viel mit Steadicam oder mit dem Dolly gedreht, um uns auf den Moment konzentrieren zu können.
Mit welcher Technik hast du gearbeitet? Ich war auf der Suche nach einer Kamera, die hochempfindlich ist, weil ich wusste, dass wir kein allzu großes Lichtequipment haben würden. Das Gesicht von Aida war unser Hauptfokus. Damit das Porträt eine größere Präsenz bekommt, habe ich mich nach einigen Tests für das Large Format im Seitenverhältnis 1:1,85 entschieden.
Ich habe mich dann für die Sony VENICE entschieden, weil ich das Gefühl hatte, die Plattform passt. Ich konnte mit der VENICE auf 2.000 ISO drehen, was ich oft gemacht habe. Die ersten drei Drehwochen haben wir in einer Fabrikhalle gedreht. Es hat so stark geregnet, dass es innen fast Nacht war, da war die hohe Lichtempfindlichkeit der Kamera sehr hilfreich. Für die Handlung war es sehr wichtig, Sommer und Hitze zu erzählen und keinen klandestinen Ort, denn „es geschah am helllichten Tag“– das war uns sehr wichtig.
Ein weiterer Grund war die Farbtiefe in den Hauttönen, die sowohl in der Über- als auch in der Unterbelichtung eine hohe Breite hatte. Dadurch hatte ich das Gefühl, einem Gesicht mehr Dimensionalität zu verleihen. Ein anderer Vorteil dieser Kamera ist die Möglichkeit, durch das RIALTO Extension System die Kamera sehr klein zu bauen, was wir öfter bei intimen Situationen eingesetzt haben.
Mit welchen Objektiven hast du gedreht?
Ich habe mit den ARRI Signature Primes gedreht. Ich hatte auch die neuen Cooke S7 getestet, die sehr schmeichelhaft sind und einen schönen Raum haben, aber im Vergleich zur Direktheit der Signatures wären sie für dieses Projekt die falsche Wahl gewesen. Außerdem waren auch Gewicht und Größe ausschlaggebend, wir wollten eine kleinere Optik.
Was hat dich bei diesem Projekt besonders beeindruckt?
Das Wagnis und die Courage von Jasmila Žbanić, des Hauptproduzenten Damir Ibrahimovic und der acht Co-Produzent:innen, diesen Film überhaupt zu machen. Jasmila ist ein Mensch, der versucht, Dinge immer wieder anders zu denken. Sie hat es geschafft ihre Perspektive und ihren Respekt zu diesem Thema zu erzählen und zu vermitteln.
Es war für uns alle ein außergewöhnlicher Film: die Umstände, das Thema, die Drehorte und die Menschen in Mostar und Stolac, die auch ihre eigenen Geschichten hatten, die Hitze, die Tatsache, dass wir ein Team waren, das aus neun Nationen bestanden hat. All die verschiedenen Sprachen am Set und wir waren dennoch wie ein Körper. Es war eine emotionale, intensive Begegnung, die man nur selten hat. Mit Oberbeleuchter Thomas Hollaus, Steadicam-Operator Valera Petrow, Key Grip Aldin Arnautovic, Operator Eldar Emric, Kamerassistent Nino Volpe, Faris Dobraca DIT Rainer Fritz und Colorist Claudiu Doaga hatte ich ein großartiges Team. [14820]