Wir stellen die Preisträger des 31. Deutschen Kamerapreises vor (2)
Die Zeit im Nacken – DoP Tim Kuhn
von Uwe Agnes ,
Unsere Serie mit den Gewinnerinnen und Gewinnern des 31. Deutschen Kamerapreises ging in unserer Ausgabe 11.2021 weiter mit Tim Kuhn. Er bekam den Preis für die beste Kamera Fernsehfilm / Serie.
Tim Kuhn, 1980 in München geboren, fand bereits während seines Studiums der Geschichte Lateinamerikas zum Film und bereiste zunächst als Kameraassistent und später als Kameramann viele Länder Europas, Asiens, Südamerikas und des Nahen Ostens. 2008 begann er ein Kamerastudium an der HFF München und realisierte schon währenddessen mehrere preisgekrönte Filme, Serien und Werbespots. Sein Film „Tackling Life“ wurde 2019 als bester Dokumentarfilm mit dem First Steps Award ausgezeichnet. Die ARD-Serie „Hindafing“, bei der er für die Bildgestaltung verantwortlich war, erhielt den Romy als beste TV-Serie. Zu seinen letzten Projekten gehört auch der viel beachtete „Polizeiruf 110: Sabine“. Den Deutschen Kamerapreis für die beste Kamera Fernsehfilm / Serie erhielt er für seine Arbeit bei „Breaking Even – Böhmen am Meer“.
Wie geht es dir damit, den Deutschen Kamerapreis gewonnen zu haben?
Ich habe mich natürlich sehr gefreut! Jeder in diesem Beruf kennt das: Man geht durch viele Aufs und Abs und manchmal fühlt sich alles unmöglich und anstrengend an. Dann kommt plötzlich so ein Preis, mit dem man überhaupt nicht gerechnet hat! Das ist extrem motivierend und lässt die Anstrengungen verblassen.
Es ist einfach – ganz profan – befriedigend, wenn Leute die eigene Arbeit anerkennen, denn in der steckt ja viel Vorarbeit und Überlegung. Insgeheim wünschen wir uns doch alle, gesehen zu werden. Das muss nicht einmal unbedingt von einer Jury sein. Besonders war für mich zum Beispiel als ich nach dem „Polizeiruf 110: Sabine“ als Kameramensch plötzlich Leserbriefe bekommen habe! Das war für mich das Schönste überhaupt, dass Zuschauer so begeistert von dem Film waren, dass sie sich dafür interessiert haben, wie man so etwas eigentlich macht.
Du hast deine Karriere beim Dokumentarfilm begonnen – was hat dich dann in den fiktionalen Bereich verschlagen?
Ich hatte vor dem Studium an der HFF zwei Jahre assistiert und war so mit dem Dokumentarbereich in Berührung gekommen. Da ich ja auch aus dem Geschichtsstudium kam, lag mir der Dokumentarfilm erst mal am nächsten. Dafür habe ich mich dann auch in München beworben. Damals war das noch so: Man hat sich mit Schwerpunkt Kamera für entweder Spielfilme oder Dokumentarfilme beworben. Ich bin dann in der Dokumentarfilmklasse aufgenommen worden und habe angefangen, erste Dokumentarfilme auf Schwarz-Weiß- Film zu drehen. Irgendwann lernte ich dann die Regisseure aus der Spielfilmabteilung kennen und fing an, szenische Projekte zu drehen. Ehrlich gesagt, bin ich da so ein bisschen hineingerutscht, es war gar kein bewusst gelenkter Prozess, dass ich Spielfilm machen wollte.
Aber mit der szenischen Arbeit kam auch Lust und Freude an der Kontrolle über die visuelle Narration, auf das Einfluss nehmen. Das übt ja eine große Attraktion aus, wenn man die Welt, die entsteht, mit erschaffen kann. Im Dokumentarfilm gab es für mich eine Grenze, die ich nicht überschreiten konnte, weil ich den Figuren oder Protagonisten treu bleiben wollte. Wenn man hier mitgestalten will, stilisiert man sehr schnell oder baut ungewollt Distanz zu den Protagonisten auf.
Dennoch ist ist Dokumentarfilm immer noch etwas, das mich beflügelt. Ich denke, ich habe eine gute Beziehung zu Menschen, und der Dokumentarfilm ermöglicht es, in diese ganz eigenen Welten der Menschen intensiv einzutauchen. Ich glaube, dass ich hier viel über das Filmemachen gelernt habe. Aber die Kontrolle über die Bildgestaltung beim Spielfilm hatte für mich eben eine ganz eigene Faszination.
Du arbeitest bei deinen Spielfilmprojekten oft mit dem Regisseur Boris Kunz zusammen, so auch beim preisgekrönten „Breaking Even“. Wie entstehen eure Projekte?
Als Erstes bekomme ich immer die Bücher, über die Boris und ich dann sprechen – was interessiert ihn und was könnte der Film sein? Wie viel wir reden und wie viel Zeit wir mit Referenzen verbringen, hängt sehr davon ab, was die Zeit für die Vorbereitung hergibt. Wenn diese knapp ist, dann hilft natürlich auch ein gewissen Vertrauen und sich Zurufen. Ich versuche zum Beispiel immer, bei den Proben mit den Schauspielern dabei zu sein und mich recht früh mit dem Szenenbild abzustimmen, so dass dann mit Szenenbild und Regie eine Art Dreieck entsteht. Diese Zusammenarbeit ist mit das Wichtigste. Der Kern eines Films ist für mich jedoch nach wie vor das Schauspiel.
Das Nächstwichtige ist dann die Auflösung. Ich versuche immer, so viel Zeit wie möglich darauf zu verwenden, zu verstehen, wo und wie die Kamera helfen kann oder wo sie sich auch mal zurücknehmen muss. Ich finde, das ist ein total interessanter Prozess, um den ich mich am meisten küm- mere und aus dem sich dann später alles ergibt: das Licht, das Gefühl für die Räume, was man wann wie sehen soll. Theoretisch kann man durch die Auflösung auch Kosten sparen, wenn man zum Beispiel schon vorher bestimmt sagen kann: In diesem Motiv brauchen wir keine 360-Grad- Ausstattung. Ökonomisch zu drehen hat auch etwas mit Haltung zu tun. Wie begegne ich dem Film? Was ist uns wichtig? Was wollen wir erzählen? All diese Antworten finden sich in der Auflösung. [14905]