Wir stellen die Preisträger des 31. Deutschen Kamerapreises vor (7)
Schnitt als Erzählung
von Uwe Agnes,
In unserer Reihe mit den Gewinnern beim 31. Deutschen Kamerapreis blicken wir dieses Mal in den Schneideraum: Bettina Böhler bekam den Preis für den besten Schnitt bei einem Dokumentarfilm.
Bereits mit 18 Jahren begann die 1960 in Freiburg geborene Bettina Böhler mit dem Schnitt. Sie zählt zu den führenden Filmeditorinnen Deutschlands, hat mehr als 80 Spiel-, Dokumentar- und Fernsehfilme montiert und arbeitete mit Regisseuren wie Christian Petzold, Valeska Grisebach, Margarethe von Trotta und Christoph Schlingensief zusammen. Bettina Böhler war 20 Jahre lang Dozentin an der DFFB Berlin und ist Mitglied der Europäischen Filmakademie, der Akademie der Künste Berlin und der Academy of Motion Picture Arts and Science. 2007 wurde sie mit dem Bremer Filmpreis für langjährige Verdienste um den europäischen Film ausgezeichnet. 2012 erhielt sie für „Barbara“ und 2017 erneut für „Wild“ eine Nominierung beim Deutschen Film- preis für die beste Montage. 2020 wurde ihre erste Regiearbeit „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ beim Deutschen Filmpreis für den Besten Dokumentarfilm nominiert.
Du warst in deiner Karriere schon zweimal für den Deutschen Kamerapreis im Bereich Schnitt nominiert. Bei dieser Ausgabe hat es tatsächlich funktioniert.
Es freut mich natürlich, dass es jetzt geklappt hat! Offensichtlich musste ich erst einmal einen eigenen Film machen, damit ich dann eine Auszeichnung für den Schnitt beim Deutschen Kamerapreis bekomme, aber es ist natürlich eine schöne Auszeichnung.
Du sprichst es gerade an: Bei „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ hast du nicht nur den Schnitt, sondern auch die Regie gemacht. Hat dir der sonst übliche Austausch im Schnitt gefehlt?
Das war sicher erst einmal gewöhnungsbedürftig. Aber die Entscheidung, diesen Film als Editorin und Regisseurin zu machen, war auch nicht einfach, als die Anfrage dazu von Frieder Schlaich kam, der dieses Archiv über Christoph Schlingensief aufgebaut hat. Wir kennen uns schon sehr lange und er wusste ja auch, dass ich mit Christoph gearbeitet hatte und dachte sich deshalb, dass ich wohl die Richtige wäre, bei dem Film auch die Regie zu machen.
Nach kurzem Überlegen habe ich mich dann dazu entschlossen und natürlich war das für mich eine neue Situation, immer mit mir selbst ein Zwiegespräch darüber zu führen, wie ich das Konzept baue und welches Material ich mit hineinnehme. Denn bei dieser Menge an Leben und Material, das Christoph Schlingensief über 40 Jahre aufgebaut hat, musste ich mir natürlich im Vorfeld gut überlegen, worauf ich den Fokus lege.
Ich hatte aber auch eine dramaturgische Beratung durch Angelina Maccarone, die das Projekt im Grunde von Anfang an begleitet hat. Es war schon gut, dadurch ein Feedback zu bekommen und eine Außensicht zu haben, gerade auch weil sie noch nicht so viel vom Werk kannte. Denn wenn man so in ein Material einsteigt, recherchiert und sehr viel weiß, dann muss man ja trotzdem immer sehen, was weiß ich und was versteht aber dann der Zuschauer, der eben nicht dieses Hintergrundwissen hat? Das ist immer eine Gratwanderung.
Wie bist du an diese Fülle an Material herangegangen? Das zu sortieren und auszusuchen war sicher eine Geduldsprobe.
Montage ist auch immer eine Geduldsarbeit, wie wir wissen! Ich habe ja jahrzehntelang trainiert, mich an an Material zu setzen, insofern war das eigentlich für mich normal und Routine – aber trotzdem: Bei dieser Fülle an Werken und verschiedenen Kunstrichtungen, die Christoph Schlingensief letztendlich erschaffen hat in seinem Leben, musste ich mich thematisch ja fokussieren. Aber ich habe mich schon in der Vorarbeit zum Konzept relativ schnell für das Thema „Deutschland“ entschieden, weil das sein Hauptthema war. Er hat sich sein Leben lang an diesem Land abgearbeitet und bei der Sichtung der Werke ist mir das immer wieder sozusagen ins Auge gesprungen. Diese Auseinandersetzung mit Deutschland im 20. Jahrhundert zieht sich durch sein ganzes Werk, angefangen mit dem zweiten Weltkrieg, dann diese Nachkriegsgeneration, die Wende – eben die politi- schen Entwicklungen in 60 Jahren Deutschland. Damit hat er sich beschäftigt und der Gesellschaft in Bezug auf diese Geschichte den Spiegel vorgehalten.
Die Jury des Deutschen Kamerapreises lobt deinen „stringenten Blick auf das Material“ und nennt dich eine „große Erzählerin“.
Letztendlich stelle ich bei jeder Arbeit immer wieder fest, egal ob beim Spielfilm oder Dokumentarfilm: Es geht einfach um das Erzählen. Mit jedem Schnitt muss man eine Erzählung herstellen. Das ist auch das Faszinierende an dieser Arbeit, weil die Erzählung das ist, was den Zuschauer dabei hält. Man will eine Geschichte erzählt bekommen, gerade auch im Dokumentarfilm. Ich finde es sehr interessant, dass da viele einen Riesenunterschied zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm konstruieren. Diesen Unterschied mache ich in diesem Sinne nicht, weil es eben immer um Erzählungen geht.
Und das hat mich natürlich auch angetrieben, weil ich bei diesem Film über Christoph sein Leben erzählen wollte, eingebunden und widergespiegelt durch die Werke, die er geschaffen hat. Jedes Leben hat eine innere Dramaturgie auch bei jemandem, der nicht Künstler ist und der nicht so ein Werk erschafft, und es ging darum, diesen Faden und diese Erzählung zu finden und zu verfolgen und Sachen dramaturgisch gegenüberzustellen, wodurch dann noch einmal eine andere Ebene entsteht. Es war aber auch eine Herausforderung, einen Film über jemanden zu machen, der nicht mehr lebt und der sich auch nicht wehren kann gegen diese Erzählung, die man jetzt über ihn macht. Das war eine Riesenverantwortung, die mir während der ganzen Arbeit immer sehr bewusst war. [15063]