DoP Anna Baranowski und Filmemacher Michael Moritz reisten durch Asien und filmten ihre Abenteuer mit kleiner Ausrüstung. Doch dann überraschte der Lockdown die beiden in Nepal und sie wurden zwangsläufig Mitglieder einer dörflichen Notgemeinschaft. Wie ihre filmische Reise erst im kompletten Stillstand richtig Fahrt aufnahm, haben uns die beiden für unsere Ausgabe 11.2022 erzählt.
Seit einigen Jahren geht eine Welle von Reisedokus durch die Kinos und Streaming-Portale. Fast ist so schon ein eigenes Genre entstanden, mit einem sich wiederholenden Narrativ und einem ähnlichen Look: Junge Menschen, oft Paare, machen sich zu Fuß, per Anhalter, im Zug oder auf dem Rad, aber möglichst nicht mit dem Flugzeug auf den Weg. Sie filmen mit kleiner Ausrüstung, scheinbar en passant und sind gleichzeitig Protagonisten und Beobachter. Weil sie spontan und offen auf Situationen und Menschen zugehen, gelingen ihnen Bilder und Szenen, die man in herkömmlichen Reportagen kaum zu sehen bekommt.
Die Filme sind in ihrer kaleidoskopischen, bunten, schnellen, manchmal auch etwas oberflächlichen Erzählweise unterhaltsam, manchmal aber auch berührend. Denn sie vermitteln die Botschaft, dass es, trotz all der Krisen und Katastrophen da draußen, überall auch echte Gastfreundschaft, Solidarität und Mitmenschlichkeit gibt. Oft entstehen um die Reisen und die Filme eigene Vlogs, Bücher, Crowdfunding-Kampagnen, Communities. In jedem Fall haben die Projekte Erfolg am Markt. Den Reisefilm „Weit“ sahen bis Ende 2021 in Deutschland 553.543 Kinobesucher.
Auf Reisefilme spezialisiert
Auch „Namaste Himalaya“, den Reisefilm der Kamerafrau Anna Baranowski und des Filmemachers und Autors Michael Moritz, könnte man zunächst in dieses Genre sortieren. Dass der Film trotzdem als Ausnahme zwischen all diesen „Neuen Reisefilmen“ steht, formal und erzählerisch, hat ganz persönliche Gründe.
Baranowski und Moritz hatten sich bei Dreharbeiten kennengelernt. Für arte und das ZDF begleitete die Kamerafrau mit einer Flycam und einer kleinen Sony Alpha 7III eine Gruppe von sechs Pilgern, darunter Moritz, auf dem Jakobsweg. „Im Laufen habe ich Interviews geführt und gefilmt. Dabei haben wir uns ineinander verliebt. Was natürlich ein absolutes No Go für die Regisseurin war. Sie sagte: ,Lass dich nie auf einen Protagonisten ein. Das ist ein Dokumentarfilm. Du veränderst die Story‘“, berichtet Baranowski mit einem kleinen Lachen.
Michael Moritz begab sich direkt nach der Jakobsweg-Produktion auf eine lange geplante Weltreise, bei der er auch filmen wollte. Weil Moritz selbst keine Kamerausbildung absolviert hatte, brachte ihm Baranowski für die Reise mehr über die Kameraarbeit bei und gab ihm ihre alte Olympus OMD E5 II mit auf den Weg. Zudem beschloss sie, immer dann zu ihm zu stoßen, wenn ihre Kamerajobs dies zulassen würden. So trafen sich die beiden bald wieder auf der Route Richtung Asien.
Minimalausrüstung
Bei ihren gemeinsamen Drehs arbeiteten die beiden aus- schließlich mit der Olympus, einer GoPro 4, einem Røde-Video-Mikrofon und einer Drohne DJI Mavic Air. „Ein winziges Besteck, das in jeden Trekkingrucksack passt“, urteilen sie rückblickend. Zudem hatten sie als einziges Objektiv ein Leica MFT mit 25 mm Festbrennweite und T1.4 dabei. „Wir haben alles aus der Hand mit manuellem Fokus gedreht. Ein Wahnsinn, wie ich es heute finde. ,Namaste Himalaya‘ ist wahrlich ein handgemachter Film geworden“, sagt Michael Moritz.
Für ihren gemeinsamen Reisefilm hatten sie kein entwickeltes Konzept, sondern nur den Vorsatz, sich immer wieder neu auf Menschen und deren Geschichten einzulassen. „Dem steht beim Reisefilm allerdings immer der Reisepass im Weg, mit den eingestempelten Visa. Die lassen einem immer nur wenig Zeit im Land. Du triffst also dauernd Menschen mit tollen Geschichten, musst aber weiter, weil deine Zeit abläuft“, bedauert Michael Moritz.
Stillstand
Kurz nach der gemeinsamen Ankunft in der nepalesischen Stadt Pokhara nahm ihre Reise dann eine unerwartete Wendung. Die Corona-Pandemie brachte das Land zum Stillstand. Die Grenzen wurden geschlossen. Mit dem Lockdown kam auch ihre Reise zum Erliegen. Weil die beiden nicht in der Stadt gefangen bleiben wollten, schlichen sie sich an verschiedenen Sperren vorbei bis zu einem kleinen Dorf nahe Pokhara. Dort mieteten sie sich eine Hütte und harrten der weiteren Entwicklung, immer in der Erwartung, dass der Lockdown nicht lange dauern würde. Als der jedoch andauerte, fällten sie die Entscheidung, vor Ort zu bleiben, selbst als fast alle anderen Reisenden das Land mit den Evakuierungsflügen ihrer Regierungen verließen. Sie verstanden, dass sie durch Zufall in einer weltweit einzigartigen Situation in einer ganz besonderen Umgebung gelandet waren und so die Chance bekommen hatten, die Menschen dort in ihrem ganz besonderen Umgang mit der Krise beobachten zu können. Da wussten sie allerdings noch nicht, dass aus den erwarteten wenigen Wochen dann fünf Monate werden sollten.
Weil fast alle Nepali in Großfamilien leben, fiel das junge westliche Paar erst recht auf und als die Restriktionen etwas gelockert wurden, wurden sie von einzelnen Dorfbewohnern eingeladen. Sie wurden zum Essen an den Tisch gebeten oder zum Arbeiten mit aufs Reisfeld und in den Garten genommen. „So kamen diese tollen Protagonist:innen im Grunde von selbst auf uns zu. Wir mussten sie nicht suchen“, erinnert sich Anna Baranowski. Bei ihren Begegnungen und Einladungen begannen sie bald, behutsam und punktuell zu filmen. Heute denken sie, dass auf diese Weise nicht nur die Menschen, sondern auch die Geschichten zu ihnen kamen, sich ihnen aufdrängten und von ihnen erzählt werden wollten.
Michael Moritz empfand diese Art des Arbeitens entspannend. „Ich hatte zuvor auf der Reise immer eine Distanz gefühlt, wenn ich den Leuten die Kamera ins Gesicht hielt“, erinnert er sich. Jetzt hatten sie zum ersten Mal Zeit für ihre Interviewpartner, konnten vorm Drehen zunächst ausführlich reden und zuhören, bevor das Gerät eingeschaltet wurde. „Außerdem waren die Nepali eher erfreut, dass sich jemand für sie und ihre Geschichten interessierte, waren also dankbare Protagonisten”, schwärmt Michael Moritz. „Der Film kam also eher zu uns. Wir sind nicht mit einem Drehbuch dorthin gegangen. Für eine Pandemie gibt es auch kein Drehbuch.“ [15265]