Steadicam & Co.
Prinzipiell hat sich an der Steadicam-Technik seit ihrer ersten Vorstellung vor fast 40 Jahren nicht mehr viel geändert. Bis Ende der 1990er Jahre gab es immer wieder sprunghafte Verbesserungen in der Ausführung von Rig, Westen und Stabilisierungsarm.
Seit der Jahrtausendwende stagniert die Technik, von keinen Verbesserungen mal abgesehen, auf einem hohen Niveau. Wir haben am Rande eines Workshops im vergangenen Jahr fünf Instruktoren gefragt, was sich in den letzten Jahren in der Praxis geändert hat.
… aus Italien arbeitet seit dem Jahr 2000 bei nationalen und internationalen Spielfilmen als Kamera- und Steadicam-Operator, z.B. bei Paolo Sorrentinos IL DIVO
Über Workshops:
Bei Workshops hat sich in den letzten Jahren die Beziehung zu den Studenten stark verändert. Früher haben wir nur mit Film gearbeitet aber seit die Videotechnik so wichtig geworden ist, sind die Studenten oft die besseren Experten. Heute muss man in den Workshops nicht mehr so intensiv auf die Grundprinzipien des Steadicam eingehen, die sind vielen inzwischen bekannt, und viele Teilnehmer bringen Erfahrung mit. Die Ansprüche an die Workshops sind gestiegen, das macht es für uns Instruktoren schwieriger, aber auch viel interessanter. Wenn es so weitergeht, haben wir das nächste Mal vielleicht nur noch zwei Anfänger im Workshop.
Über Veränderungen der Arbeit:
Durch den Wechsel von Film auf Elektronik hat sich viel verändert. Ich hoffe, dass die Entwicklung nicht so weitergeht und die Geräte immer kleiner werden und dann meine Ausrüstung überflüssig wird. Abgesehen davon bin ich für jede Herausforderung bereit. Persönlich bin ich – aber das muss ich noch herausfinden – nicht so besonders in 3D interessiert. Ich finde es nicht besonders attraktiv. Was ist schön an Kamerabewegungen? Man hilft dadurch, dass man sich um Objekte bewegt, deren Körperlichkeit zu beschreiben, und erzeugt damit auf einem flachen Schirm eine räumliche Illusion. Die Arbeit des Kameramanns und Steadicam-Operators wird bei 3D weniger wichtig werden.
Über lange Einstellungen:
Natürlich träumt jeder Steadicam-Operator davon, dass er eine lange Einstellung drehen kann. Ganz eigennützig gesehen weiß jeder Operator, der eine lange Einstellung drehen kann, dass er dadurch etwas bekommt, um sich selbst besser zu promoten. Leider kommen solche Gelegenheiten nicht sehr oft vor. Einmal habe ich eine 87 Minuten lange Einstellung gedreht, einen kompletten Film (Valzer, Regie: Salvatore Maira, Bild: Maurizio Calvesi, AIC, Italien 2007). Es war klar, dass bei dieser Länge und mit einer komplizierten Choreografie ein Operator allein diese Länge nicht in höchster Qualität bewältigen kann.
Auf den Vorschlag des DP haben wir zuerst versucht, das Rig auf einem Sockel abzustellen und dann den Wechsel zu machen, aber das hat nicht funktioniert, weil die stetige Kamerabewegung plötzlich unterbrochen wurde. Dann haben wir mit einem Seilzug von oben versucht das Rig über einen Hacken einzuhängen während der Operatorwechsel stattfand. Auch diese Variante hat nicht funktioniert. Die Lösung war dann ein dritter Operator. Er greift das Rig während der Fahrt und trägt es ein Stück in der Hand, während Operator 1 sich ausklinkt und Operator 2 das Rig übernimmt. Dieser Wechsel funktioniert am besten in einer schnellen Bewegung, und man braucht ein Stück Wegstrecke dafür.
… Ist ein britischer Kamera- und Steadicam-Operator mit 25 Jahren Berufserfahrung bei internationalen Großproduktionen
Über Veränderungen:
Steadicam stimuliert die Vorstellungskraft der Regisseure. Das hat sich nicht geändert, seit Steadicam erfunden wurde. Und so ergeben sich immer wieder neue Herausforderungen. Ich würde nicht sagen, dass es einfacher geworden ist. Die Kameras wurden eine Zeit lang leichter, aber das ist jetzt nicht mehr der Fall. Jetzt haben wir schwerere Kamerasysteme und der Operator muss hart arbeiten.
Über lange Einstellungen:
Bei einer langen Einstellung auf einem großen Set trifft der Operator alle Entscheidungen im Moment selber. Das ist dann nicht wie bei einer Fernsehshow, wo man über die Intercom mit der Regie spricht und seine Anweisungen bekommt. In demAtonement-Shot gab es drei Dinge, die genau am Bildrand passieren sollten. Es werden Pferde erschossen, und wenn man mit dem Steadicam rückwärts geht, dann weiß man nicht genau, wann sie ins Bild kommen. Der Regisseur wollte, dass die Aktion genau am Rand des Bildes passiert, nicht in der Bildmitte, damit es nicht so präsentiert ausschaut.
Er wollte erreichen, dass das Publikum aufschreckt und sich fragt, wurde da nicht gerade ein Pferd erschossen, und dann sollte sich die Kamera auch schon wieder wegbewegen. Deshalb musste die Aktion genau im richtigen Augenblick passieren. Ich bekam ein Signal vom Grip durch ein Zeichen an der Schulter. Bei Atonement war ich der A-Kamera-Operator. Steadicam war nur eine meiner Aufgaben. Die meiste Zeit habe ich den Remotekopf bedient und die A-Kamera geschwenkt.
… BVK, arbeitet als DP und als Steadicam-Operator. Erfahrungen mit Steadicam hat er seit Anfang der 1990er Jahre. Er wohnt in Berlin.
Über zu lange Einstellungen:
Bei der Planung langer Einstellungen mit Gängen und mit Kranfahrten, bei denen der Operator aufsteigt und anderswo abgesetzt wird, da gibt es immer wieder Vorschläge, wie man es noch toller treiben kann, aber die Brot und Butter Einstellungen sind in der Regel nicht anspruchsvoller geworden. Ich habe eine wunderbare Einstellung in dem Film Sonnenallee gedreht, mit Reingehen, Aufsteigen auf einen dreiteiliger Kran, an der Außenmauer Hochfahren bis aufs Dach und wieder Aussteigen. Das hat viel Spaß gemacht, aber dann hörte ich noch am Set: Das schneiden wir sowieso.
… hat als Kamera- und Steadicam-Operator lange Erfahrung mit internationalen Großproduktionen und arbeitet auch als DP.
Zur Arbeitsaufteilung:
Worauf ich hier im Workshop noch hinaus will, ist über die Politik am Set zu sprechen. Wie verhält man sich als Operator gegenüber den Anforderungen, die gestellt werden. Es gibt ja Aufgaben für das Steadicam, die sich auf andere Weise besser lösen lassen und es gibt eine Art, diese Meinung zu vertreten. Darüber müssen wir hier noch sprechen.
… arbeitet seit 1997 als DP und Steadicam-Operator. Er wohnt in München.
Zur Technikentwicklung:
Die technischen Ausrüstung ist einfacher geworden, man kann das Rig schneller aufbauen. Alles ist nüchterner und klarer durchdacht. Für den Umbau von auf Low-mode habe ich noch vor zehn Jahren eine halbe Stunde für veranschlagt, auch wenn es schneller ging. Heute brauche ich da keine fünf Minuten mehr. Es gibt nicht mehr viele Proben, man muss die Kamera aufs Rig packen und losrennen. Es ist nicht so beliebt, dass man sich lange lange Sachen ausdenkt. Man geht die Einstellung durch, nimmt die Schärfe und schickt man die drei Komparsen von da nach da. Man kann noch kleine Korrekturen machen, und dann muss man es drehen. Steadicam ist ein alltägliches Werkzeug geworden, viel selbst verständlicher. Man wird nur ganz selten noch gefragt: Kannst du es nochmal machen, oder: Brauchst du eine Pause? Das ist heute nicht mehr häufig.
Zu Workshops:
Das Anspruchsdenken der Studenten ist deutlich höher geworden. Die hatten alle schon viel mehr Kontakt mit dem Gerät. Viele haben sich schon jahrelang etwas angeeignet. Da wird man als Instruktor mehr gefordert. Wir kommen heute viel schneller an den Punkt, wo wir dann schon komplexe Szenen proben. Bei diesem Workshop geht es mehr um die besseren Bilder, wie kardriere ich besser oder wie bekomme ich mehr Spannung ins Bild. Die technischen Fragen sind, auch weil die Technik soviel einfacher geworden ist, nicht mehr so im Vordergrund.
Fotos und Interviews: © Hans Albrecht Lusznat (www.lusznat.de) beim Steadicam-Workshop von Betz-Tools 2012
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