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DoP Markus Schindler im Interview

Die Kamera als Instrument

Markus Schindler, Kameramann, Regisseur und vor zwei Jahren Gewinner beim Deutschen Kamerapreis, hat eine besondere Vorliebe für 16-mm-Film. Grund genug für unseren Autor Gerdt Rohrbach, sich für unser Heft 10.2023 näher mit ihm zu befassen. Er lernte dabei einen Menschen kennen, der Emotionen, Intellekt und Ästhetik aufs Beste in Einklang bringt.

Kameramann Markus Schindler vor einem Wasserturm in den USA
Foto: Georg Lanz

Es ist nicht ganz selbstverständlich, wenn ich mit dem Kameramann eines Filmes über inhaltliche Aspekte spreche, denn er macht Bilder und keine Texte. Wenn ich mir aber Ihren Film „Steig“ ansehe, so drängt sich die Frage auf, in welchem Maße Sie sich mit den Themen der Filme, für die Sie die Kamera führen, identifizieren.

Für mich liegt der Fokus und die Kraft bei jedem neuen Projekt nicht im Finden der schönsten Bilder, sondern der richtigen, oder, wie es Werner Herzog nennt, der adäquaten Bilder. Und dafür sollte man tief eintauchen in die Materie, um ein Gefühl der Visualität zu bekommen oder eine starke Haltung zu entwickeln. Im Herzen bin ich vor allem ein Filmemacher, der es liebt im Team zu arbeiten, Ideen und Konzepte gemeinsam zu entwickeln. Und beim Drehen bin ich einfach zu gerne selbst an der Kamera. Um dieser Funktion gerecht zu werden, haben wir deshalb bei mei- nem Debüt-Kinofilm „Ausgrissn“ den Credit „Bildregie“ benutzt. Der Film „Pantha Rhei“ war mein Bewerbungsfilm an der HFF München und der Film „Steig“ meine Erst-Jahres-Arbeit. Zu dieser Zeit wurden immer wieder in meinem Heimat-Landkreis Gipfelkreuze von einem Unbekannten mit einer Axt attackiert. Ich habe das Thema meinem Regie-Kommilitonen vorgeschlagen und wir sind im Februar 2017 bei einem Schneesturm auf den 2.102 Meter hohen Scharfreuter getiegen.

Mir gefällt an diesem Film Ihr Mut zu diesem Thema, und dass Sie ihn in Schwarz-Weiß gedreht haben. Mit welchem Equipment haben Sie „Steig“ gedreht?
Schwarz-Weiß ist die Vorgabe der Filmhochschule für alle Film-01-Projekte. Es hat aber zusätzlich unheimlich gut in die Welt aus Schnee und Eis und zu diesem Fall gepasst. Wir haben damals auf einer Panasonic GH4 gedreht mit einem ZEISS Batis 18 mm / T 2.8 mit Autofokus und einem Hand-Gimbal. In unseren Gesprächen im Vorfeld konnten wir zu unserem Erstaunen feststellen, dass es viele Menschen gibt, die noch nie auf einem Berg waren und noch nie das Erlebnis hatten, ein Gipfelkreuz zu erreichen. So war die Debatte, warum es denn überhaupt welche gibt, nicht wirklich auf Augenhöhe zu führen. Unsere Idee war es deshalb, den Aufstieg subjektiv mittelbar zu gestalten. Ich habe dann ganz bewusst trotz Gimbal meine Schritte in die Kamerabewegung eingebaut, und wir haben mein Atmen als Ton mit aufgezeichnet, um von der großen Anstrengung zu erzählen.

Schlechtwetter-Bergtour als Projekt an der HFF München: Filmstills aus „Steig“
Schlechtwetter-Bergtour als Projekt an der HFF München: Filmstills aus „Steig“ (Fotos: Markus Schindler)

In Ihrem Film „Der gegenwärtige Augenblick“ über Nicolas Humbert, Jelena Obermeier und den
Hund Sam, den Sie auf Material von ORWO Filmotec gedreht haben, fiel mir ein starkes Flickern auf. Was hat es damit auf sich?
„Der gegenwärtige Augenblick“ war meine eigene Kamera-Regiearbeit. Der Film befasst sich mit den experimentell-essayistischen Filmen von Nicolas Humbert und basiert auf persönlichen Gesprächen mit ihm über seinen künstlerischen Lebensweg. Eine weitere Quelle der Inspiration war das Buch „Der entscheidende Augenblick“ von Henri-Cartier Bresson. Wir hatten die Möglichkeit, mit der ARRI IIC auf 3 × 60 m ORWO UN 54, also einem panchromatischen 35 mm Schwarz-Weiß-Negativ-Film zu drehen und diesen dann im Fotolabor selbst zu entwickeln. Mir hat die Idee gefallen, das Ganze als absolute Improvisation anzugehen und auch zufällige Einflüsse wie Kalkflecken auf dem fixierten Negativ mit in die Gestaltung des Films einzubauen. Scannen konnte ich das Material dann durch großartiges Sponsoring von Natalie Helgath bei ARRI Media.

Um mich den Arbeiten von Nicolas anzunähern und sein Oeuvre zu verstehen, habe ich den Film mit bedeutenden Einstellungen aus seinem bisherigen Werk kreuzmontiert und Konstantin Esterl, ein be- freundeter Meister-Organist hat dafür eine eigene Orgel-Komposition erschaffen. Die haben wir dann in der St.-Bonifaz-Kirche in München aufgenommen. Der Film ist für mich ein sehr persönliches Werk und bedeutet mir viel.

Ein weiterer Film, der ebenfalls in Schwarz-Weiß gedreht wurde, trägt den Titel: „Faules Heu“. Auch hier beeindruckte mich zunächst die Story und der Text des Songs. Im Abspann habe ich erkannt, dass Sie selbst als Bassist Bandmitglied sind. Sehen Sie eine Ver- wandtschaft zwischen Musik und Kameraführung und wie ließe sie sich in Worte fassen?
Definitiv sehe ich die Analogie von Kameraführung und Musik. Meine gesamte Teenagerzeit bin ich als Gitarrist und Sänger einer Punkrock-Band durch die Jugendcafés und kleinen Konzerthallen Deutschlands getourt. Das hat mich nicht nur auf das Nomadenleben eines Filmschaffenden vorbereitet, sondern es hat mir auch die Grundlage geschaffen, Rhythmus zu spüren und beim Improvisieren auf mein Bauchgefühl zu vertrauen. Bei meinen dokumentarischen Arbeiten, wenn ich an einer wilden Handkamera Zoom, Blende, Fokus und alles gleichzeitig bediene, kommt es mir manchmal auch vor wie das Spielen eines Instruments.

Zu „Ausgrissn“: Eine wichtige Rolle in diesem Film spielt die Toilettenfrau im Keller der Gastwirtschaft, in der der Film der beiden Protagonisten gezeigt werden soll. Sie vollbringt Wunder. Das Wunderbare ist auch in anderen Filmen bei Ihnen ein wichtiges dramatisches Element. Üblicherweise kommt im Kino dazu VFX zum Einsatz. Nicht so bei Ihnen. Können Sie mir zu Ihrer Art der Visualisierung des Wunderbaren etwas sagen?
Die Magie im Film spielt für mich in der Tat eine große Rolle. Besonders geprägt hat mich hierbei die Strömung des magischen Realismus im Film, wie sie vor allem im lateinamerikanischen Kino der 1980er und 1990er Jahre entstanden ist. Das Fantastische ist seit jeher eine Grundformel aller Erzählungen. In dieser Tradition erzählen die Geschichten meist vom Alltag kleiner Leute und enthalten Elemente oder ganze Handlungsstränge, die über in der westlichen Denktradition gängige Vorstellungen von Realismus hin- ausgehen und surrealistische Impulse in die Geschichten hineintragen. Hierbei liegt für mich die Kraft mehr in der Erschaffung von Analogien und Metaphern, von Möglichkeiten und einem Interpretationsspielraum.

DoP Markus Schindler mit einer Blackmagic URSA.
DoP Markus Schindler drehte „Ausgrissn“ mit einer Blackmagic URSA. (Foto: Georg Lanz)

Ob jetzt die Klofrau – gespielt von Monika Gruber – eine Zauberin ist, eine Wahnvorstellung oder einfach nur eine gute Seele, ob ihr Taschenradio und das Funkmikrofon wie durch Zufall den Film starten, das alles bleibt unbeantwortet und im Raum der möglichen Erklärungen. Dabei wird die Fantasie der Zuschauer:innen angeregt und Unterhaltung entfaltet, oder, wie Adorno sagte: „Vergnügt sein heißt einverstanden sein.“

In „Ausgrissn“ fiel mir die Sequenz am Grand Canyon auf. Die Bilder sind von einer phänomenalen Schärfe. Dies mag sicherlich von der sehr trockenen Luft am Drehort gefördert worden sein, doch dem mensch- lichen Auge sind vor Ort derart scharfe Bilder nicht geläufig. Warum haben diese Landschaftsaufnahmen eine derartige Schärfe?
Die Aufnahmen sind digital in 4K mit der Blackmagic URSA auf einem Sigma 70-200 mm Zoom entstanden und durch das meisterhafte Grading des Coloristen Andi Lautil bei PHAROS erst zu dem geworden, was sie sind. Aber ja, es ist einfach ein Erlebnis, an der Grand Canyon Rim zu stehen und so eine unglaubliche Weite vor sich zu spüren. Das wollten wir natürlich teilen. Wir wollten den winzigen Menschen im Angesicht der gewaltigen Schöpfung suggerieren. [15377]


Möchten Sie mehr über den Kameramann und Regisseur Markus Schindler erfahren? Hier finden Sie das komplette Interview mit ihm!


 

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