Eigenbau-Rückprojektion für Nachtdreh im Kurzfilm „Soko Loco“
Die grüne Nacht
von Timo Landsiedel,
Bei ihrem aktuellen Kurzfilm „Soko Loco“ setzten Regisseur Joscha Seehausen und DoP Marius Milinski nicht auf visuellen Realismus, sondern auf Spielfreude. Das fällt vor allem in einer Nachtszene im Auto auf. Für den Dialog richteten die beiden eine Rückprojektion nach alter Schule ein.Wir sprachen für unsere Ausgabe 10.2023 mit den beiden Filmemachern über ihre eigenwilligen visuellen Ideen, die Vor- und Nachteile des unabhängigen Produzierens und die Effektivität ihres Rückpro-Eigenbaus.
Die beiden Schwestern Julia und Sandra haben bisher bei ihrem Arbeitgeber nicht so viel zustande gebracht. Das ist blöd, denn sie arbeiten bei der Kölner Polizei. Nun sitzen beide in ihrem Mini und streiten sich. Denn nicht nur ist der Name ihrer Sonderkommission selten dumm, sie fürchten auch, ihre eigenen Eltern könnten hinter den Überfällen auf Bankautomaten stecken, die sie dort aufklären sollen.
Der Kurzfilmplot von Regisseur und Autor Joscha Seehausen und dessen DoP Marius Milinski klingt ein wenig wie die Absurditäten, die beide in den zahlreichen Comedy-Formaten ihres Drehalltags umsetzen dürfen. Doch wie auch ihr Kurzfilmdrama „Walküren“, der nach dem Drehbeginn in 2020 erst in diesem Frühjahr in die Festivalschleife gehen konnte, soll auch „Soko Loco“ ästhetisch ein Gegenentwurf sein zu dem, was sie täglich drehen.
Diesmal jedoch sollte es eine Komödie werden. Der Gedanke, Filmförderung zu beantragen, war schnell vom Tisch. „Das ist ein Prozess, der so sechs bis zwölf Monate dauert“, sagt der DoP. „,Soko Loco‘ war ein kurzfristiges Projekt, wir hatten die Kapazitäten frei, das Drehbuch war fertig – dann wollten wir das auch jetzt machen.“ Nach der ersten Kalkulation wussten die beiden: Das können sie stemmen.
Visuelle Ideen
DoP Milinski nutzte als A-Kamera eine Canon C300 Mk III aus dem eigenen Technikfundus. Vieles von der eingesetzten Filmtechnik stammte ebenfalls aus dem eigenen Besitz. Die Verleiher Camcar und ARRI Rental in Köln unterstützten die Crew mit Licht und Griptechnik, die noch fehlte. „Zum Beispiel haben wir uns für die Nachtszene eine 4-kW-Leuchte aus- geliehen, um einen ordentlichen Wumms zu haben“, berichtet der Kameramann. An der Kamera nutzte Milinski die Sigma FF Cine-Primes, die den Vorteil haben, dass sie zwischen 20 und 85 mm durchgängig T1.5 aufweisen. „Megaamtliche Objektive“, lobt Milinski. Bei bestimmten Motiven kamen auch die Canon C70 und die Canon R6 zum Einsatz. Für eine Montagesequenz wurde ein DJI-RS2-Gimbal eingesetzt, um zügig die sieben Motive abdrehen zu können. Hier war die Canon R6 die beste Wahl.
„Soko Loco“ zeichnete sich dadurch aus, dass sich Regisseur Seehausen und DoP Milinski stärker als bei vorigen Projekten ganz auf ihren Fachbereich konzentrieren konnten. Für Milinski hieß das früh, seine Ideen und Inspirationen im Shotdeck zu sammeln. Seehausen gab ihm mit dem Vertrauen aus den vorigen Kollaborationen einen Blankoschein. „Wir wissen aber vor allem, was der jeweils andere mag“, sagt Milinski. „Marius sagte aber: Wir müssen das jetzt nicht drehen wie den typischen Krimi“, ergänzt Seehausen. „Denn das gibt’s ja schon. Wir wollen ja auch zeigen, was seine Note und was visuell interessanter ist.“ DoP Milinski schlug daher vor, den Realismus auszuklammern und danach zu suchen, was gute Bilder erzeugt. „Zum Beispiel der exzessive Einsatz von Nebel, der inhaltlich überhaupt nicht motiviert ist. Das spielt ja nicht in einer Moorlandschaft, aber es sieht einfach gut aus und es erzeugt einfach eine Stimmung, eine Emotion, und das finde ich aus meiner Regiesicht supergeil“, so Joscha Seehausen. Es ging beiden darum, etwas ganz Eigenes zu machen und nicht dem Standard zu folgen, den sie beruflich oft bedienen müssen.
In die Nacht
Ein gutes Beispiel dafür ist der Nachtdreh innerhalb des Mini Coopers und um das Auto herum. Für gewöhnlich wird Nacht in blauem Licht erzählt oder, wenn man Michal Ballhaus in „Gangs of New York“ folgt, in gelbem. Milinski berichtet mit sichtlicher Freude von einem völlig anderen Ansatz. „Es war mir ein Bedürfnis, die Nacht mal sehr grün zu erzählen“,
so der DoP. „Lass uns etwas anderes probieren, was vielleicht auch die Gefahr birgt, etwas komisch auszusehen, aber anders!“ Seehausen nickt. „Und das Spannende ist, wenn man das Material jetzt guckt: Das sieht ja gar nicht komisch aus“, so der Regisseur. „Man hat eher das Gefühl, das ist eine Welt, in die ich rein will, das zieht mich an.“ Der extreme Einsatz von Farben in der Lichtgestaltung zieht sich durch den Film. Der Banküberfall ist komplett in Rot gehalten. Das ist nicht logisch motiviert, betonen die Filmemacher, sondern rein visuell.
Eines der Außenmotive, in dem Nacht erzählt wird, ist die lange Diskussion im Auto. Die Außenelemente um den Mini herum waren in der echten Nacht gedreht worden, die meisten Aufnahmen im Inneren des Autos entstanden in einer rund 30 Meter langen tunnelartigen Industriehalle. Zuvor waren die Plates für den Hintergrund selbst gedreht worden, auch um keine Fremdrechte einkaufen zu müssen. Dafür drückte DoP Milinski während des vorigen Nacht-Außendrehs seinem Making-of-Fotografen David Leimanski die Canon C70 in die Hand. Der erledigte dann während des Drehs in die jeweilige Richtung um das Auto herum die Hintergrund-Plates. „Das geschah vor allem auch unter dem Aspekt, dass ja die Farben matchen müssen“, so der DoP. „Das hat total gut funktioniert, weil die Canon C300 und C70 den gleichen Sensor haben.“
Die Filmemacher hatten den Aufbau einmal vorher auf Herz und Nieren getestet, um Fallstricke zu vermeiden und Learnings mit ans Set zu nehmen. So wussten sie, dass die projizierten Aufnahmen keinen brauchbaren Schwarzwert besaßen. Den erzeugten sie durch ein Unterbelichten der Kamera im Hintergrund. Das bedeutete wiederum, dass sie im Vordergrund anders leuchten mussten.
Fake Close-ups
Es gab verschiedene Varianten der Plates, scharf und unscharf, mal mit längerer Brennweite, mal weitwinkliger. Milinski lud die Plates in Adobe Premiere Pro und gab das Bild über einen Wandler auf einen Beamer aus, der auf einem Stativ montiert war. „Dann konnte ich einfach in Premiere schauen, was ich grade brauche und was gut mit unserer Einstellung funktioniert“, sagt der DoP. Dadurch, dass er als Player Premiere nutzte, konnte Milinski auf seinem Vorschaumonitor die Farben prüfen und sie bei Bedarf mit wenigen Handgriffen im Farbkorrekturtool live angleichen. Denn der Beamer hatte natürlich auch eine farbverfälschende Wirkung. Als Leinwand nutzten die Filmemacher die Wand der Halle, da die Struktur meist ohnehin im Bokeh verschwand. Die Fläche war etwa 3 × 2 Meter groß. Zwar hatte das Team einen Butterfly mit einer Sunbounce-Fläche vorbereitet, die Helligkeit der Wand reichte aber für eine Reflexion aus. [15377]