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Wir stellen die Preisträger des 33. Deutschen Kamerapreises vor (4)

Der Preis der Freiheit

In unserer Reihe mit den Gewinnerinnen und Gewinnern beim 33. Deutschen Kamerapreise geht es weiter mit Tim Kuhn. Er bekam den Preis in der Kategorie Fiction Screen für seine Kamera bei „Luden – Könige der Reeperbahn“.

Tim Kuhn
Foto: Susanne Schramke

Tim Kuhn, geboren in München, studierte zunächst Geschichte Lateinamerikas in Deutschland, Spanien und Ecuador. Während des Studiums und nach dem Abschluss arbeitete er als Kameramann in Europa, Asien, Südamerika und dem Nahen Osten. 2008 begann er das Kamerastudium an der Hochschule für Fernsehen und Film München und realisierte seitdem mehrere preisgekrönte Filme, Serien und Werbespots. 2015 drehte er seinen Diplomfilm „Der Ausflug“ in Polen und schloss 2018 sein Studium ab. Sein Film „Tackling Life“ wurde 2019 als bester Dokumentarfilm mit dem First Steps Award ausgezeichnet. 2021 erhielt Tim Kuhn für seine Arbeit an der Serie „Breaking Even“ den Deutschen Kamerapreis. Er lebt und arbeitet in Hamburg, Berlin und München.

Bevor wir ins Gespräch einsteigen, erst einmal einen herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Kamerapreis, und zwar zum zweiten Mal!
Vielen Dank! Beim ersten Mal wurde ich ja während des „Coronajahres“ ausgezeichnet und da gab es „nur“ eine Online-Verleihung. Deshalb war es für mich ganz wundervoll, die Verleihung jetzt auch einmal live auf der Bühne zu erleben! Außerdem hat es mich auch bestärkt – einmal zu gewinnen, könnte auch Glück sein, aber zweimal bedeutet halt irgendwie: „Der Junge kann schon was.“

Es war kein Zufall.
Es war kein Zufall, genau. Es war einfach kein Zufall und das ist schön.

2021 hast du mit „Breaking Even“ gewonnen, das ein ganz unterschiedliches Projekt war.
Es ist natürlich schön, wenn stilistisch unterschiedliche Arbeiten prämiert werden. „Breaking Even“ war zwar auch düster, aber ein bisschen slicker und aufgeräumter, würde ich sagen.

Während „Breaking Even“ also sehr stylish war, gerade im Umgang mit der Architektur, hat die Jury bei „Luden – Könige der Reeperbahn“ reportageartige Elemente entdeckt.
Viele würden das vielleicht als Beleidigung empfinden, aber ich finde das grandios! Ich habe das für mich übersetzt als eine Art Beiläufigkeit. Und genau die wollte ich erreichen. St Pauli war zwar in den 1980er Jahren ein Ort, der in der biederen BRD als Ort der Freiheit galt, aber der Preis, den man dafür gezahlt hat, war tägliche Gewalt und in den Niederungen der Gesellschaft herumzuhängen. Das wollten wir zeigen: Dass es in diesem Milieu auch schöne Aspekte und viel Geld gab, aber dass es eben geprägt von Gewalt und Brutalität war. Für die Freiheit musste man einen Preis zahlen.

Filmstill aus „Luden – Könige der Reeperbahn“
„Luden – Könige der Reeperbahn“ (Foto: Tim Kuhn)

Deswegen wollten wir da auf jeden Fall mit einer Haltung herangehen und nicht nur einfach schicke Autos und attraktive Frauen zeigen. Darum ging es nicht. Und das Reportageartige gehört, glaube ich, dazu. Ich hatte nicht das Gefühl, „geile Bilder“ machen zu wollen, in denen ein Zuhälter mit drei Frauen die Straße herunterkommt und man denkt „Was für ein tolles Leben hat der denn!“ Es sollte sich eher so anfühlen wie schnell aus dem Augenwinkel betrachtet und vielleicht auch wie etwas Normales, also keine Überhöhung, sondern eine Erdung der Figuren.

Die Vorlagen für unsere Figuren waren meist getriebene Menschen. Die gibt beziehungsweise gab es ja alle, die haben gelebt und waren wahnsinnig energetisch. In ihrer Rohheit waren sie immer unter Spannung, immer unter Strom, und das wollten wir auch den Spielerinnen und Spielern ermöglichen. Sie sollten sich viel bewegen können, um diesen Druck, der in ihnen war, auszuleben.

Wie hast du das bei deiner Kameraarbeit dann tatsächlich umgesetzt?
Bewegung stand für uns im Vordergrund. Wir wollten nicht nur die Gesichter der Menschen, sondern auch deren Körpersprache zeigen. Gewalt, Brutalität, aber auch Zuneigung zeigt sich für meine Begriffe immer am besten in der Physis. Zum Beispiel bei der Figur von Andi, dem Boxer, war es wichtig zu zeigen, wie er sich bewegt. Die Kamera entwickelt sich mit den Figuren mit – am Anfang ist es fast wie eine Coming-of-Age-Geschichte von Nachkriegs-Jugendlichen, die auf die Reeperbahn kommen. Da ist alles noch leicht und lustig, die Figuren haben einen Humor. Aber die Serie wird dann zum Ende hin immer dunkler, es geht immer weiter in einen Sumpf hinein, keine harten und schweren Kontraste, sondern alles wird immer sumpfiger und kontrastärmer. Am Anfang hatte alles noch mehr Glanz und Licht.

Bei den Bewegungen haben wir versucht, verschiedene Arten zu integrieren. Zum Beispiel haben wir die Folge 5, die zu Beginn der HIV-Krise spielt, nur noch vom Dolly und vom Stativ gedreht. Dadurch entstand eine Schwere. Im Kontrast dazu steht der Anfang. Hier gibt es noch Überschläge, Rotationen und eine recht freie Kamera. Hier sollte die jugendliche Freiheit unserer Figuren mitgetragen werden. Das hat sich dann im Laufe der Serie geändert, die Kamera wird erwachsener.

Die Welt, die wir erzählen, existierte vor allem im Licht von vielen Neonleuchtmitteln und das haben wir auch so bei- behalten. Im Bild sollte immer viel Dunkelheit existieren. Durch die fehlende Durchsichtigkeit in den Schattenpartien sollte auch eine Unsicherheit erzeugt werden. Das Tageslicht haben wir dafür genutzt, das Profane dieser Welt zu zeigen, also wenn der Dreck und das Elend dieser Welt sichtbar wurde und wird. Das Licht hatte also eine große dramaturgische Funktion, wenn es darum ging, diese Welt auch zu demontieren.

Tim Kuhn an der ALEXA Mini LF mit dem Zoom-Objektiv Angénieux Optimo 12x
Schweres Gerät: Tim Kuhn an der ALEXA Mini LF, hier ausnahmsweise mit dem Zoom-Objektiv Angénieux Optimo 12x statt der BlackWing7. (Foto: Susanne Schramke)

Würdest du sagen, deine Kameraarbeit hat sich da mehr über Bewegung und Licht definiert als über Objektive und Look?
Beides war wichtig, die Bewegung ist aber sicherlich das Auffälligste. Tatsächlich haben wir viele Objektive getestet. Am Ende fiel die Entscheidung auf die BlackWing7 T-tuned Serie von Tribe7. Wir wollten ein sehr präsentes Bild haben, keinen 1980er Jahre Retro-Look, sondern ein modernes Bild mit einem Vintage-Feel. Die Objektive haben auch einen sehr ausgeprägten Regen- bogen-Flare – und das war von Beginn an ein Merkmal, das ich gesucht habe. Denn unsere Hauptfigur benutzte den Regenbogen als sein Markenzeichen. Er hatte zum Beispiel einen Regenbogen auf seinem Lamborghini. Als Hommage haben wir diesen Regenbogen an besonderen Momenten in der Serie dann provoziert.

Auch beim Look haben der Colorist Dirk Meyer und ich sehr ausgiebig getestet. Ein erster Ausgangspunkt war ein Dokumentarfilm aus den 1980er Jahren, den der Produzent Rafael Parente besorgt hatte. In diese Richtung wollte ich gern gehen. Davon haben wir uns dann aber immer weiter entfernt, weil es ein bisschen zu nostalgisch war und wir immer noch einen Bezug zum Heute erhalten wollten, also keine historisierende Farbkorrektur. Die Gratwanderung war ja, neben aller Haltung und Authentizität auch eine Serie zu machen, die man sich ansehen will, die auch farblich Spaß macht.

Was war deine größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Das Worldbuilding war für mich die große Herausforderung. Von Anfang an war ich sehr involviert in die Gesamtkonzeption und durfte vieles mitbestimmen. „Luden“ war meine erste Studioproduktion, die fast komplett gebaut wurde. Wir haben Sankt Pauli in München auf dem Bavariagelände nachgebaut. Man musste sich in der Vorbereitung neu programmieren, die Motive im Kopf planen und nicht auf Motivtouren finden. Diese innere Pre-Visualisierung war eine der schönsten Erfahrungen und es war wirklich wunderbar, mit der Szenenbildnerin Myrna Wolff diese Welten zu erschaffen. Gerade diese Zusammenarbeit hat mich sehr nach vorne gebracht. In den vielen Gesprächen haben wir schnell angefangen, die ersten Gedanken, die einen zu Bordellen oder ähnlichen Etablissements in den Kopf kommen, einfach mal wegzuwerfen und sich Neues auszudenken.

Ein gutes Beispiel ist sicherlich der Innenbereich des Bordells, konkret, welche Wandfarbe es innen haben sollte. Wir haben uns dann für einen Schweinerosa-Magenta-Ton in Kombination mit einem grünen Boden entschieden. Das war eine Zusammenstellung, wo man eigentlich sagen würde: Das ist Wahnsinn, das geht nicht in Kombination mit Haut. Nach zahlreichen Tests haben wir aber festgestellt, dass genau diese Kombination ein Grundgefühl von Ekel unterstützt, das wir unterbewusst erzählen wollten. Es gab bei allen Gewerken diesen großen gemeinsamen Wunsch nach einer Gestaltung mit Haltung. Das war eine tolle Erfahrung.

Wenn man so viel Freiheit in der Gestaltung hat und dann im Prinzip mit einem weißen Blatt Papier anfängt, ist es sicher nicht einfach, seine Vision zu finden.
Wenn alle und auch man selbst mit einer Haltung dazu hineingehen, was wir erzählen wollen und wie wir es erzählen wollen, dann wird daraus ein Prozess, den ich total aufregend und anregend finde. Alles in allem finde ich die Welt, die da erzeugt worden ist, absolut glaubwürdig und authentisch. Für mich war es ein ganz besonderes Projekt, weil so ein großes Vertrauen von allen Seiten da war, um gemeinsam etwas zu erschaffen. Neben den Menschen hinter der Kamera war es auch wahnsinnig beeindruckend, wie sich unsere Schauspielerinnen und Schauspieler manchmal wortwörtlich vor der Kamera nackt gemacht und sich entblößt haben. Das bedeutet Mut und Hingabe. Diese gemeinsame Hingabe ist gerade in den Zeiten, wo so ein hoher finanzieller und zeitlicher Druck herrscht, etwas Besonderes. Alle wollten zusammen dieses Blatt füllen. [15387]

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