Die Macht und Kraft von Bilder sichtbar machen: das ist für DoP Matthias Bolliger das Ziel seines Videocasts zum Thema „Visual Storytelling“. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Filmakademie und der Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst geht das Videoformat nun in die dritte Folge. Der Host des Videocasts stellt die aktuelle Episode hier vor.
„Ich versuche bei Filmen und Menschen mitzuarbeiten, bei denen ich immer wieder neu denken kann“, so Judith Kaufmann als Gast der dritten Ausgabe des Formats. Mit ihren Ansätzen, Proben sind ein Raum, in dem immer noch mal was Neues entstehen kann und der Gestaltungsidee einer vom Moment inspirierten Handkamera, beschäftigt sich die dritte Episode von EXPOSURE, dem Videocast zu Visual Storytelling. Im Fokus Judith Kaufmanns aktueller Kinofilm „Das Lehrerzimmer“. „Mir sind Bilder sehr viel näher als Worte“, so die Kamerafrau, „als kleines Kind habe ich sehr gerne beobachtet und so das Bilderfinden für mich entdeckt. Gerade meiner Mutter als Schauspielerin, konnte ich so über das Fotografieren nahe sein. Da habe ich einen eigenen Ort für mich entdeckt, auch um Dinge zu begreifen und selber ausdrücken zu können.“
Der Film
„Das Lehrerzimmer“ von Regisseur Çatak gewann 2023 fünf Deutsche Filmpreise, darunter auch die Lola in Gold, und geht ins Rennen um den besten ausländischen Film an den Academy Awards 2024. Das im Film behandelte Thema Schule ist sicherlich ein alltägliches Thema, zu dem sich eigene Erfahrungen, Bilder und Erinnerungen abrufen lassen. Judith Kaufmann verfolgt den Ansatz, die Schule als Spielfeld für innere Emotionen zu nutzen, und mochte dabei auch gerade die Beschränkung des Spielortes. Für sie war das Projekt von Anfang an ein Kinofilm, auch wenn nicht alle Beteiligten dies teilten. Dennoch hatte sie Respekt vor dem Motiv: „Viel Dialog, vor Regalen und weißen Wänden, fehlt da ein Raum für das Atmosphärische, für den Innenraum von Figuren?“
Doch gerade Regisseur Çatak betonte immer wieder, dass es ihm egal sei, ob die Hauptfigur der Lehrerin, gespielt von Leonie Benesch, ein Haustier hat oder blaue Wände zu Hause – er wolle den Charakter der Protagonistin in den gefällten Entscheidungen sehen. „So haben wir diesen atmosphärischen Moment in die Schule verlagert. Ein Resonanzraum für die Figur: Gänge durch die Schule, auf der Toilette oder allein im Klassen- zimmer vor dem Elternabend.“ Dazu wurden Szenen auch angepasst, so etwa, dass der Elternabend bei Nacht und Regen stattfindet und dies atmosphärisch durchaus etwas ändert und die Innenansicht der Handlung stärker verbildlicht.
Bilder finden
Dichte dramaturgische Bilder in einem Umfeld zu finden, das wir alle kennen, ist eine Leistung. Wie ist es gelungen, diese visuelle Spannung über 90 Minuten zu entwickeln? „Das haben wir uns auch gefragt, wie entsteht ein visueller Sog, der die Handlung stützen kann? Ausgehend vom Motiv des Hamburger Campus Hebebrandstraße spielen zwei Drittel des Filmes in zwei Räumen: im Lehrerzimmer und im Klassenraum. Das Lehrerzimmer teilten wir daher in mehrere Bereiche auf, auch um eine gewisse Unübersichtlichkeit zu schaffen, in der sich Personen auch beobachten können. Dabei haben sich Staffelungen, Vordergründe und Anschnitte ergeben, Spannung auf Basis der Architektur war ein Aspekt. Mit dem Licht habe ich mir weitere Optionen geschaffen. Mittels Rollos, durch Lamellen, Vorhänge und auch Leuchtstoffröhren-Kästen konnte ich mir Spielmöglichkeiten schaffen. Zuerst wollten wir uns von den Plansequenzen von Gus Van Sants ,Elephant‘ inspirieren lassen, doch wir stellten fest, dass wir zu viele Figuren haben und viel mehr schneiden müssen. So entstand eine Mischung aus gleitenden Kamerabewegungen und raueren Bildern, die aus dem Moment heraus entstanden. Letztere sind dann oft mit Handkamera gedreht“, sagt Judith Kaufmann.
Sicherlich ist gerade ihre Art, Handkamera zu führen, sehr bemerkenswert. Immer wieder fasziniert, wie feinfühlig, beobachtend, suchend und auch begreifend Judith dieses Stilmittel eingesetzt. Die DoP ergänzt: „Für mich ist das Schöne an Handkamera, dass man mich nicht beschränken kann und niemand weiß, was ich genau vorhabe. Das weiß ich in der Tat oft auch selber nicht und entscheide dann erst im Moment. Dieses Unplanbare reizt mich dabei sehr und schafft eine andere Aufmerksamkeit. Daher arbeite ich auch nicht so gerne vom Stativ, da ich damit nicht so reagieren kann.“
Dezente Überhöhungen im Licht, mit leichten Zeitlupen prägen den Film visuell weiter. Zentral sticht 4:3 als Bildseitenverhältnis heraus. „Wir haben viel über Schule gesprochen, dabei kam immer wieder dieses Format auf: Die Enge, welche dieses Bild vermittelt und auch die bildliche Isolation in der Gruppe. 4:3 schafft so ein Gewicht für eine einzelne Figur, du siehst den Kopf und auch den Oberkörper, die Hände – was ich bei diesem Stoff durchaus als zentral erachtete. Zudem war es eine neue filmische Herausforderung.“ Judith Kaufmann schließt mit den Worten: „Bei einem Film wie dem Lehrerzimmer suche ich nicht direkt nach Bildern, denn der Kern des Bilderfindens liegt in der Geschichte selbst. Daher suche ich eine Atmosphäre, Magie, Zauber, ein Mehr an Dichte, welche über das einzelne Bild hinaus geht und dabei ein Gefühl erzeugt oder verstärkt“. [15418]