Look-Entwicklung als Dialog zwischen DoP und Colorist
Gestalterische Sparringspartner
von Louise „Lou“ Temmesfeld, Matthias Bolliger,
„Look-Development“ ist zu einem Modebegriff geworden. Die Coloristin Louise „Lou“ Temmesfeld und DoP Matthias Bolliger schauen im Dialog gemeinsam darauf, was sich dahinter verbirgt. Sie beleuchten im ersten Teil insbesondere das Zusammenspiel von Bildgestaltung und Color Grading und welche Tools sie einsetzen. Der zweite Teil des Dialogs folgt in Kürze!
Zurzeit ist ein Wort in aller Munde: „Look-Development“, zu Deutsch „Look-Entwicklung“. Doch was heißt das genau? Denn in Sachen Look bleibt der Austausch zwischen DoP und Colorist der Kern jeder Weiterentwicklung und die Basis für gegenseitiges Verstehen. Wir haben den Dialog zwischen der Coloristin Louise „Lou“ Temmesfeld und DoP Matthias Bolliger zu diesem Thema aufgezeichnet.
Louise „Lou“ Temmesfeld: Was gehört für dich zum Look-Development und ab wann beziehst du vorzugsweise einen Coloristen mit ein?
Matthias Bolliger: Look-Entwicklung ist für mich die Grundlage, als DoP die zu bebildernde Geschichte zum Leben zu erwecken. Es geht darum, die Parameter zu definieren, die den Inhalt und seine Dramaturgie visuell stützen. Für das sogenannte „World-Building“ gehören Licht- und Farbgestaltung zu den zentralen gestalterischen Bildelementen und betreffen indirekt auch weitere Departements wie Szenenbild, Masken- und Kostümbild. Sobald der grundsätzliche Ansatz mit der Regie gefunden ist, binde ich die Coloristin oder den Coloristen als bildgestalterischen Sparringspartner in die Preproduktion ein. Was können und was wollen wir schon vor dem Drehstart festlegen? Wie transportieren wir den grundsätzlich definierten visuellen Ansatz in die Look-Findung und später dann auch in die Dreharbeiten? Dazu erstelle ich meist zur Bebilderung und Umschreibung des gesuchten Looks ein Moodboard mit gesammelten Stills. Dies führt uns dann gemeinsam zu einem visuellen Ansatz, der auch die Muster definiert. Eine enge Ansprache, gerade während der ersten Rushes versteht sich von selbst. Am Ende mit dem gleichen Partner/in in das Final-Grading zu gehen, rundet die Zusammenarbeit und Gesamt-Konzeption ab.
Was verstehst du unter Look-Entwicklung und warum ist es so aktuell?
Louise „Lou“ Temmesfeld: Letztendlich geht es darum, dass der Zuschauer hängen bleibt und sagt: „Das sieht aber interessant aus!“ Als ich noch Jugendliche war, musste man noch am Kino vorbeigehen, um zu wissen, was läuft. Ich habe mir gerne Abends die Plakate im beleuchteten Schaukasten angesehen. Und es ist doch dieser Moment, bei dem man von der Visualität gefesselt wird, weswegen man stehen bleibt und näher an den Schaukasten herantritt. Heute schaut man Trailer und Teaser oder zappt in diversen VOD-Plattformen. Das Bild ist dabei meist das Erste, was der Zuschauer bewusst wahr- nimmt, noch weit bevor er dazu kommt, den Text zum Film zu lesen. Dabei hat der erste Bildeindruck die Chance, auch die erste Aussage über den Film zu machen. Die Ästhetik und visuelle Kraft eines Bildes gehören also zum ersten Funken, der überspringt. Der Look ist meines Erachtens ein wesentlicher Bestandteil dessen.
Was erwartest du von einem Coloristen in der Phase des Look-Development, also persönlich-professionell, künstlerisch und vom Equipment?
Matthias Bolliger: Grundsätzlich erwarte ich die Bereitschaft, mit mir auf eine Reise zu gehen, offen für Neues zu sein und Lust zu haben, sich auch auf ungewöhnliche Ansätze einzulassen. Die Beherrschung des Gradingtool und gestalterisch „up-to-date-date“ zu sein, setze ich voraus. Ideal für eine fruchtbare Zusammenarbeit ist es immer auch, wenn Interesse am aktuellen Filmschaffen besteht und die Coloristin oder der Colorist auch an anderen Kunstformen interessiert ist. Manchmal kann so ein Denken out-of-the-box auch zu neuen Ansätzen und spannenden gegenseitigen Einflüssen führen. Auf diese gegenseitige Inspiration bin ich immer wieder gespannt und sie führt zu neuen Ideen und gemeinsamen Interpretationen des Stoffes.
Was würdest du dir zum Thema Lookentwicklung von der Zusammenarbeit mit der oder dem DoP wünschen?
Louise „Lou“ Temmesfeld: Ich wünsche mir das Anzapfen meiner technischen, aber vor allem künstlerischen Ader zu einem früheren Zeitpunkt. Es geht mir bei einer frühen Einbindung nicht zwangsläufig darum, viel sagen zu dürfen, sondern in aller erster Linie ums Zuhören. Erst dadurch können gemeinsame Ideen folgen. Das kann so weit reichen, als dass ich schon Besprechungen mit DoPs hatte, bei denen wir auf Set- und Lichtplänen gemeinsam überlegt haben, wie wir das visionäre Bild in ein vollendetes Bild umsetzen können. Meine Aufgabe ist es, die Vision der oder des DoP zu erfassen und meine Vorstellungskraft mit meinen Fähigkeiten so zu verbinden, dass ich dabei unterstützen kann, dieses Bild herzustellen und zu gestalten. Ein weiterer Wunsch ist ein Bewusstsein über den Wert eines dezidierten Muster-Gradings durch einen qualifizierten Co- loristen. Das Muster-Grading ist das A und O für die Etablierung eines Looks, dient zusätzlich der technischen, aber auch kreativen Überprüfung des Materials und ist daher auch nicht durch eine Show-LUT zu ersetzen. In den Mustern kommt erstmals das Bild zum Vorschein, das während der längsten Postproduktionsphase, dem Schnitt, sich visuell bei uns einbrennt, was verschiedene Konsequenzen für kreative Entscheidungen nach sich zieht. Beispielsweise habe ich die Erfahrung gemacht, dass dunklere Bilder im Schnitt länger stehen, also nicht so schnell umgeschnitten werden, was das Pacing eines ganzen Films beeinträchtigen kann.
Wie arbeitest du bevorzugt mit den colometrischen Eigenschaften der Kamera und dem Coloristen zusammen? Was testest du alles, was erstellst du mit dem Coloristen in Vorbereitung für die Arbeit am Set oder für die späteren verschiedenen Auswertungsziele wie Kino, SDR oder HDR?
Matthias Bolliger: Ich finde, man muss grundsätzlich seine Kamera und das im Zusammenspiel definierte Wiedergabesystem verstehen. Was können die beiden Medien in Kombination leisten, was vielleicht auch nicht? Oft gibt es auch weitere Parameter, die je nach Produktion und Setting maßgebend sein können, so zum Beispiel Gewichts- oder Baugrößenvorteile einer bestimmten Kamera, welche dann technische Parameter wie etwa maximaler Kontrastumfang oder akkurateste Farbwiedergabe ausstechen. Wenn ich also weiß, wo die Grenzen meines Gesamtsystems liegen, kann ich Schwächen auch entsprechend umschiffen oder ausgleichen, beispielsweise durch verstärkte Aufhellung oder veränderte Sättigungen bei Primärfarben. Kenne dein System wie deine Westentasche, dann wirst du dich sicher fühlen und auch mehr wagen können. Das Gleiche gilt auch, wenn ich eine preiswertere B- oder C-Cam zusätzlich einbringe. Am Ende werden die Bilder beider Kamerasysteme verschnitten und müssen funktionieren. Gegebenenfalls muss man aber die eine Kamera etwas anders als die andere behandeln. Und genau dieses System des „Kennenlernen seiner Tools“ trifft auch für die Coloristin oder den Coloristen zu. Sie führen meinen Ansatz mit anderen Tools weiter. Ein Testdreh, ein sogenannter Screentest, ist meist sehr hilfreich, dabei teste ich das grundsätzliche „Look & Feel“ der Figuren im Kostüm im entsprechenden Licht mit dem angestrebten Kamera-Objektiv-Setup, dazu dann Specials abhängig von der entsprechenden Produktion. Oft bilden diese Testshots dann auch die Basis einer gemeinsamen Look-Entwicklung für die Muster oder für speziell angefertigte Look-up-tables fürs Set.
Wann bezeichnest du deine Arbeit als gelungen?
Louise „Lou“ Temmesfeld: Gelungen ist meine Arbeit, wenn die gestalterische Quali tät des Films in Hinblick auf seine filmische Aussage durch den Gradingprozess gestiegen ist. Eine technisch saubere Umsetzung des Gradings ist selbstverständlich, eine hohe gestalterische Kunstfertigkeit des Looks ist das kreative Ziel. Für ein erfolgreiches Grading wägt man gemeinsam vorher ab, wie weit dieses Qualitätsziel im zeitlichen Rahmen reichen kann. Ich frage, welche Wünsche und welche Erwartungen an das Grading bestehen nund bespreche was, wie und ob technisch umsetzbar erscheint. Ist das eingehende Filmmaterial konsistent geleuchtet, folgt es einem klaren visuellen Konzept und ist technisch „sauber“, so bietet es eine gute Grundlage für die künstlerische Verfeinerung im nGrading. Dieser Idealfall ist nicht immer gegeben, was mich folglich dahingehend herausfordert, als dass ich erst einmal das Material visuell „an einen Tisch“ bekommen muss, was meist vielmehr eine Herausforderung in Sachen Zeit-Management ist. Mein Anspruch ist es, dass DoP, Regie und Produktion zufrieden mit dem Resultat die digitale Dunkelkammer wieder verlassen – und im besten Fall auch ich.
Wie viel vom Look ist durch Grading heutzutage deiner Meinung nach herauszuholen? Wie sehr setzt du auf das Grading und wo gibt es für dich Grenzen im Grading?
Matthias Bolliger: Das Grading ist über die Jahre natürlich differenzierter und gestalterisch komplexer geworden als noch zu analogen Zeiten, als man nur Filmstock, Printemulsion und Kopierlichter definieren konnte. Trotzdem gab es aber schon damals anspruchsvolle Gestaltung und noch heute beeindruckende Umsetzungen, rein mit Production-Design, Requisiten, Kamera-Glasfiltern und Linsenwahl. Die digitale Farbkorrektur kann inzwischen eine Menge mehr, setzt im Vorfeld des Drehs mit einer umfangreichen Ausgangslage ein und finalisiert am Ende auch die Gesamtbemühungen. Aber sie macht nicht alleine den Look. Die Stellschrauben am mSet bleiben für mich weiterhin die Grundlage der Overall-Look -Entwicklung. Gerade das Production Design sollte man meiner Meinung nach hoch schätzen. Daher ist das Szenenbild mein Lieblingsdepartement neben meinem eigenen am Filmset. So wie talentierte Schauspieler und Darstellerinnen eine ideale Basis für jeden Regisseur darstellen, so ist ein stimmiges Production Design für mich die beste Ausgangslage für den finalen Look. Was aber als politischer Aspekt zum Tragen kommt, ist die Tatsache, dass die einmal generierten Muster vom Set bei einem Spielfilm ein halbes Jahr tagtäglich geguckt und verarbeitet werden. Dann kann man sich auch an einen einfachen Rec.-709-Previewlook gewöhnen und so ist dann Regie oder Produktion am Ende erstaunt, wenn der DoP im Final das Grading stärker verändert. Daher habe ich es mir angewöhnt, schon die Muster sehr nahe an das finale Grading zu bringen, zumindest, was den generellen Kontrast und die grundsätzliche Farbwelt angeht. Das erspart viele Diskussionen im Nachgang. Zudem macht es mir mit einem dezidierten Look am Set auch mehr Spaß, durch den Sucher zu sehen und zu denken, ja – das ist unser Film! [15426]