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Wie dreht man eine Politik-Doku über 500 Teenager?

Politisches Coming of Age

Mehrere Hundert Teenager bilden über wenige Tage hinweg eine Regierung nach US-Vorbild. Über das seit den 70er Jahren laufende Programm drehte das Regie-Duo Amanda McBaine und Jesse Moss 2020 den Dokumentarfilm „Boys State“. Jetzt startet der Nachfolger „Girl’s State“ auf AppleTV+. Wir haben für unser Heft 5.2024 nachgefragt, worin sich die Filme unterscheiden, wie das Team aufgestellt war – und aus 500 Mädchen ihre Protagonistinnen fand.

Dreharbeiten zu "Girl's State"
Foto: Whitney Curtis / AppleTV+

Das Lindenwood Theatre des J. Scheidegger Center for the Arts der Lindenwood University in St. Charles fasst 1.200 Studierende. St. Charles ist ein Vorort von St. Louis und liegt im US-Bundesstaat Missouri. An diesem Tag im Juni 2022 ist der Saal rappelvoll angefüllt. Das Missouri-Girls-State-Programm ist zu Gast in Lindenwood. Hunderte von Schülerinnen werden über die kommenden Tage hinweg in Eigenorganisation eine Regierungsadministration auf die Beine stellen.

Unter den über 600 Schülerinnen von unterschiedlichen High Schools aus ganz Missouri ist auch die Teenagerin­ Nisha Murali. Murali ist PoC und möchte sich für die Wahl in den Supreme Court aufstellen lassen. An diesem Vormittag werden die vorab in Job-Interviews ausgewählten Kandidatinnen bekannt gegeben. Murali hört aufmerksam zu. Als ihr Name genannt wird, springt sie auf. Man sieht ihr die Aufregung an. Es könnte klappen. Sie ist ihrem Traum ein Stück näher gekommen.

Politische Bildung

Seit den 1940er Jahren kommen regelmäßig hunderte amerikanische Teenager aus einem US-Bundesstaat zusammen und bilden innerhalb weniger Tage eine theoretisch funktionierende Regierung. Veranstaltet werden die Girls-State-Programme von der American Legion Auxiliary (ALA), einem Verein zur Unterstützung von Militärfamilien und Veteranen, der jedoch auch viel für die politische Bildung und Lesekompetenz tut. Bei den meist eine Woche laufenden Programmen wird eine­ Regierungsadministration aufgesetzt, es werden Positionen besetzt wie Generalstaatsanwalt oder Gouverneurin und es wird ein Supreme Court gebildet.

Seit 2017 beschäftigten sich die Dokumentarfilmemacher Amanda McBaines und Jesse Moss mit dem politischen Programm. In 2020 feierte ihr Dokumentarfilm „Boy’s State“ auf dem Sundance Festival seine Premiere, für den die beiden eines der politischen Bildungsevents für Jungen in Texas begleitet hatten. Schon vor dessen Premiere hatten McBaines und Moss ins Auge gefasst, auch einen Film über die weibliche Staatenbildung zu machen. Im Lichte der Abschaffung des jahrzehntelang bestehenden juristischen Stützpfeilers für die Pro-Choice-Rechtssprechung Roe v. Wade und der fortschreitenden Polarisierung der politischen Parteien schien ein solches Vorhaben auf der Hand zu liegen. „Es ist wichtiger denn je für junge Mädchen, sich selbst auf der Leinwand zu sehen“, so Amanda McBaines. Weibliche Vorbilder sind laut den Filmemachern wichtiger denn je in allen gesellschaftlichen Positionen, allen voran politische Rollen, die bisher maßgeblich von Männern besetzt wurden.

Co-Regisseurin Amanda McBaines
Co-Regisseurin Amanda McBaines bei der Besprechung des Tagesplans (Whitney Curtis / AppleTV+)

2021 wurden die Pläne konkret. Die Filmemacher begannen Gespräche mit den unterschiedlichen Veranstaltern in den Bundesstaaten. Früh stand die Missouri ALA aufgrund ihrer Größe und der kulturellen Vielfalt des Staates heraus. Zudem gibt es eine Mischung aus konservativ geprägten Städten und progressiver geprägten Vororten und ländlichen Gemeinden. Zur Vorbereitung der Dreharbeiten wollten McBaines und Moss mit so vielen Teilnehmerinnen wie möglich vorab sprechen. Das hieß am Ende, dass „Girl’s State“ auch mehr Protagonistinnen hat. Erste Dreharbeiten fanden schon während dieser Vorgespräche auf zwei Drehreisen durch Missouri statt.

Die Hauptdreharbeiten fanden dann im Juni 2022 während der Girls State Missouri-Woche statt. Im Vergleich zu den Dreharbeiten des ersten Filmes hatte das Filmemacher-Team diesmal eine größere Crew dabei. Sie engagierten mehr Tonleute und auch mehr Kameraleute. „Das geschah vor allem, um mehr Screentime für den Schnittprozess bieten zu können“, so Jesse Moss. „Es nimmt so viel Zeit in Anspruch, die Geschichten der Protagonistinnen zusammenzusetzen und ihre Anteile zu gewichten, vor allem wo es vorher vier Protagonisten waren und jetzt sieben sind.“

Kamerateams

Wo bei „Boy’s State“ der in Tübingen geborene Thorsten Thielow die Gesamtverantwortung als DoP hatte und von einer Handvoll Operators unterstützt wurde, die Material beisteuerten, waren diesmal neben Thielow und Daniel Carter vor allem die fünf Kamerafrauen Laura Hudock, Laela Kilbourn, Keri Oberly, Erynn Patrick und Martina Radwan gemeinsam für das Bild verantwortlich. „Wir haben mit jungen Mädchen gearbeitet, mit Minderjährigen. Ein Teil der dokumentarischen Arbeit ist es immer, eine vertrauensvolle Verbindung aufzubauen, Menschen dazu zu bringen, die Crew in ihr Leben zu lassen“, so Jesse Moss. „Eine nicht nur weibliche Crew, sondern auch diverse Crew mit vielen Persons-of-Color, ist ganz natürlich sehr sensibel den Bedürfnissen unserer Protagonistinnen gegenüber.“

Protagonistin Nisha Murali
Protagonistin Nisha Murali in der Interviewsituation (Foto: Whitney Curtis / AppleTV+)

Die einzelnen Dreh-Units waren oft nur ein bis zwei Personen stark, Kamera und Ton, um die Crews klein und unauffällig zu halten und es leichter zu machen, dass zwischen Protagonistinnen und Crew eine vertrauensvolle Verbindung entsteht. Zusätzlich zu den dokumentarischen Begleitaufnahmen der Mädchen drehte das Team während der Aktionswoche mit den sieben Hauptfiguren – größtenteils separate – Einzelinterviews. Dafür baute das Team ein aus weißen Laken den hinter der Kamera sitzenden Interviewer umspannendes Setup, das von hinten beleuchtet wurde. Das war aber schon der größte technische Aufwand, den das Team vor Ort betrieb.

Die Kameracrew drehte auf der Canon C500 als Hauptkamera. Die dokumentarischen Aufnahmen entstanden in 4K, die statischen Interviews auf Canon RAW Light 6K. Hinzu kam die Canon C70. Alle Kameras nutzten die Canon CN-R Primes mit 35 mm und 50 mm Brennweiten. [15447]


Möchten Sie gern mehr über die Entstehung von „Girl’s State“ lesen? Den Artikel finden Sie hier!


 

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