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Wir stellen die Preisträger des 34. Deutschen Kamerapreises vor (1)

Schöner Abschluss

Wir beginnen unsere Reihe mit den Gewinnerinnen und Gewinnern beim 34. Deutschen Kamerapreis mit dem Ehrenpreisträger Rainer Klausmann. Er hat uns für das Heft 9.2024 erzählt, warum Langeweile am Set ein schlechtes Zeichen ist und welche zwei Arten von Kameraleuten es seiner Ansicht nach gibt.

34.Deutscher Kamerapreis: Ehrenpreisträger Rainer Klausmann bei der Laudation
Foto: WDR / Melanie Grande

Rainer Klausmann, geboren 1949 in Wettingen in der Schweiz, absolvierte eine Ausbildung als Kameraassistent und war zunächst für den Schweizer Kameramann Hans Liechti und den deutschen Kameramann Thomas Mauch tätig, mit dem er unter anderem 1981 „Desperado City“ unter der Regie von Vladim Glowna und ein Jahr später „Fitzcarraldo“ mit Werner Herzog als Regisseur drehte. In den 1980er Jahren machte er sich selbstständig und war in der Folge für mehr als 60 Kino- und Fernsehfilme als hauptverantwortlicher Kameramann tätig.

Mit vielen namhaften Filmemachern arbeitete Rainer Klausmann über Jahrzehnte hinweg eng zusammen, darunter Werner Herzog, Markus Imboden, Oliver Hirschbiegel, Isabell Kleefeld und Fatih Akin. „Ich könnte nie mit Regisseuren arbeiten, die mir nur sagen, was ich zu tun habe“, beschreibt Klausmann seine Beziehung zur Regie am Set. Bei den genannten Filmemachern fand er den gewünschten Spielraum – und die Auszeichnungen, mit denen er im Laufe seiner Karriere geehrt wurde, gaben ihm Recht: der Deutsche Filmpreis, der Deutsche Kamerapreis, der Bayrische Filmpreis, der Adolf-Grimme-Preis und der Goldene Löwe. Rainer Klausmann ist Mitglied der Deutschen und Europäischen Filmakademie und wurde 2018 in die Academy of Motion Picture Arts and Sciences berufen. Er lebt heute in Zürich.

Wie kamen Sie zum Film?
Ich habe zunächst eine Lehre als Elektromechaniker gemacht und vier Jahre in einer Fabrik gearbeitet. In dieser Zeit bin ich oft ins Kino gegangen und habe unter anderem „Blow Up“ von Michelangelo Antonioni gesehen. Da dachte ich mir, der Beruf als Fotograf wäre eine gute Alternative zur Arbeit in der Fabrik: schöne Mädels, ein Haufen Geld. Also habe ich ein Volontariat bei einem Fotografen gemacht. Mit einem Kollegen hatte ich dann ein Atelier. Da wurden aber keine Mädels fotografiert, sondern Kosmetik-Schachteln für Kataloge. Das Fotografieren hat mir eigentlich Spaß gemacht – aber nicht unter diesen Umständen.

Also habe ich für eine kleine Produktionsfirma gearbeitet. Erst als Kameraassistent, dann kamen andere Aufgaben hinzu. Irgendwann habe ich beschlossen, dass ich nur noch Spielfilme drehen möchte und keine Werbung. Wir haben selbst ein Drehbuch geschrieben, mein Kollege hat Regie geführt und ich habe die Kamera gemacht. Seither war ich Kameramann.

Rainer Klausmann bei der Gala zum 34. Deutschen Kamerapreis
Rainer Klausmann bei der Gala zum 34. Deutschen Kamerapreis (Foto: WDR / Melanie Grande)

Haben Sie in der Schweiz gearbeitet? Oder sind Sie gleich nach Deutschland gegangen?
Die meisten Filme habe ich in Deutschland gedreht, nur wenige in der Schweiz. Ich war Kameraassistent von Thomas Mauch. Er hat auch „Fitzcarraldo“ fotografiert, deshalb habe ich da die zweite Kamera gemacht. So bin ich zu Werner Herzog gekommen.

Wie haben Sie Werner Herzog als Regisseur erlebt? Wenn ich mal eine kritische Anmerkung machte, sagte er meist: „Du wirst sehen, der Film wird mir Recht geben.“ Das ist ein guter Satz. Ich stand daneben und dachte: Er ist ein großer Meister, er wird ja wissen, was er sagt. Meine Erfahrung hat gezeigt: Wenn ich mich schon beim Drehen langweile, dann langweilen sich hinterher auch die Leute im Kino. Das sage ich den Regisseuren auch. Viele mögen das, einige nicht.

Was macht Ihnen an der Kameraarbeit besonders viel Spaß?
Es ist das Gesamtpaket, das mir Spaß macht. Am Anfang diskutiert man mit dem Regisseur über die Geschichte und überlegt, wie man sie in Bilder umsetzen kann. Dann besucht man Locations, sieht erste Kostüme und trifft die Schauspielerinnen und Schauspieler bei den Leseproben, bevor die eigentlichen Dreharbeiten beginnen. Das ist eine sehr lange und intensive Zeit. Was andere Leute in normalen Berufen in fünf Jahren erleben, erlebt ein Kameramann in wenigen Wochen oder Monaten. Man hat immer viele Leute um sich herum. Das ist lustiger als irgendwelche Kosmetik-Schachteln im Atelier zu fotografieren. Am Set hat man 30 oder 40 Leute um sich herum, in Amerika 120. Da ist immer was los.

Reizt Sie als Kameramann eher die Arbeit mit Menschen oder die Arbeit mit der Technik?
Ich sage immer: Es gib zwei Arten von Kameraleuten – die von der Optik nach hinten denken und die von der Optik nach vorne denken. Die nach hinten denken, kümmern sich um die Kamera, ums Licht, um die Drohnen und solche Dinge. Die Techniker, mit denen ich immer zusammenarbeite, kenne ich seit 20 Jahren. Wir vertrauen uns. Ich sage ihnen, welche Lichtstimmung ich mir wünsche, und sie leuchten die Szene so aus, wie sie mir gefällt. Aber wie die Lampen heißen und wie stark sie sind, das weiß ich nicht. Ich­ interessiere mich nicht für die Technik, ich interessiere mich für die Geschichten.

Sie zeigen Gesichter oft in Großaufnahme. Was gefällt Ihnen daran?
Ich mag einfach Schauspielerinnen und Schauspieler – wenn sie gut sind. Alles, was wichtig ist, spielt sich in ihren Augen ab, in der Mimik, in den Blicken. Das ist eine unglaubliche Leistung. Da muss ich keine Füße zeigen oder den ganzen Raum.

Mit welchem Ihrer vielen Filme sind Sie besonders zufrieden?
„Gegen die Wand“ gehört sicherlich zu den besten Filmen: die Geschichte, die Schauspieler, die Art, wie Fatih Akin sie inszeniert hat. Diesen Film habe ich fast nur mit der Handkamera gedreht. Die Bewegungen sind nicht sauber, jede Szene wirkt ein bisschen schmutzig. Das passt unglaublich gut zu dem Thema. Man schaut immer hin, ob man will oder nicht, was als Nächstes passiert. Das ist sehr intensiv, genau auf den Punkt, es gibt kein Chichi. Immer drauf! Wenn der Film mit dem goldenen Schnitt gedreht worden wäre, hätte das nicht gepasst. Da muss man aber auch einen Regisseur haben, der das akzeptiert.

Inzwischen arbeiten Sie nur noch für Fatih Akin.
Irgendwann, als ich einfach zu viel gearbeitet habe, nahm ich mir vor, keine Fernsehfilme mehr zu drehen. Dann kamen aber immer mehr Kinofilme. Also hatte ich vor circa zehn Jahren die Idee, dass ich exklusiv für Fatih Akin arbeite. Damit sind wir beide sehr glücklich. Es gibt keine Terminprobleme. Er weiß, wie ich arbeite, und ich weiß, was ihm gefällt. Er liebt die Schauspieler genauso wie ich. Auch er kann ihnen stundenlang zuschauen. Da braucht es keine Drohnen, keine Stunts und keine Drei-Sekunden-Einstellungen.

War es für Sie ein Unterschied, ob Sie fürs Kino oder fürs Fernsehen gearbeitet haben?
Letztlich war mir das egal. Ich stand morgens auf und ging zur Arbeit. Im Grunde sind viele Fernsehfilme sogar besser als manche Kinofilme. Wegen des Budgets hat man beim Kino aber oft mehr Zeit, um Dinge auszuprobieren oder zu wiederholen. Das gibt dem Regisseur mehr Freiheit.

Ist ein teurer Film automatisch ein guter Film?
Nein. Ich habe in Amerika „Invasion“ mit Nicole Kidman und Daniel Craig gedreht. Der hat 75 Millionen Dollar gekostet und war ein absoluter Flop. Wir hatten alle Möglichkeiten, aber der Film ist einfach nicht gut geworden.

Filmstill aus "Der Untergang"
Klaustrophopische Enge: „Der Untergang“ (Foto: Constantin Film)

„Invasion“ war das erste Hollywood-Projekt von Oliver Hirschbiegel, mit dem sie vorher auch „Das Experiment“ und den Oscar-nominierten Film „Der Untergang“ gedreht haben. Welchen Ansatz haben Sie für „Der Untergang“ gewählt?
Ich weiß noch, dass ich lang mit Bernd Eichinger diskutiert habe. Er wollte, dass „Der Untergang“ für die breite Leinwand gefilmt wird. Ich hielt dagegen, dass man bei einem schmalen Format nur Köpfe sieht, aber keine Wände und Decken. Mir war wichtig, dass jedes Bild klaustrophobisch wirkt. Wir haben den Bunker im Original nachgebaut, die Decken 50 Zentimeter tiefergelegt, es gab keine einzige Stellwand, alles war fix. So konnte ich nie in die Versuchung kommen, mit der Kamera einfach mal zwei Meter nach hinten zu gehen, um eine schöne Weitwinkelaufnahme zu machen. Das hat alle genervt: mich, den Regisseur, die Schauspieler, den Tonmann. Alle haben geschwitzt und geflucht. Aber das hat dem Film nur gutgetan, nicht geschadet. Die Atmosphäre war absolut beklemmend und dadurch authentisch. Oliver Hirschbiegel hatte damals die Idee, dass wir an der Kamera rütteln, wenn irgendetwas explodiert. In Amerika wollte uns keiner glauben, dass ein Trick, der so simpel ist, so gut funktioniert.

Für Bernd Eichinger haben Sie auch „Der Baader Meinhof Komplex“ gedreht.
Den Film wollte ich zuerst nicht machen. In der Zeit, als die Terroristen rumtobten, habe ich meine Frau kennengelernt. 1970 haben wir geheiratet. Wer in Deutschland wen umbringt, hat mich damals nicht beschäftigt. Da war ich der typische Schweizer: immer schön neutral, nur zuschauen, am besten raushalten. Als ich dann aber Bernd Eichinger und Uli Edel zugesagt hatte, kaufte ich mir viele Bücher über den Terrorismus. Es hat mich interessiert, wie sich die Leute so radikalisieren konnten. Vor allem der erste Teil des Films, mit Baader und Meinhof, gefällt mir heute noch sehr gut. Die Geschichte der zweiten Garde hat mich eher gelangweilt. Die hatten keine gescheiten Argumente, da ging es nur noch um Terror.

Filmstill aus "Der Goldene Handschuh"
In „Der Goldene Handschuh“ zeigt Rainer Klausmann eine düstere Welt. (Foto: Studiocanal) (Bild: ©2018bomberoint._WarnerBros.Ent._photobyGordonTimpen)

Nach „Tschick“ und dem Golden-Globe-Gewinner „Aus dem Nichts“ drehten Sie mit Fatih Akin „Der Goldene Handschuh“. Der Film über den Frauenmörder Fritz Honka erhielt eine FSK-18-Freigabe. Hatten Sie keine Probleme mit dem harten Stoff?
Warum soll man in Filmen immer nur schöne Dinge zeigen? Für mich sind das Buch und der Film wichtige Zeitdokumente. Die Hauptfigur ist ein kranker Mann, der von der Gesellschaft ausgestoßen wurde. Während das ganze Land einen Aufschwung erlebte, kam Fritz Honkas Leben einfach nicht in Schwung, vielleicht aus Blödheit, vielleicht wegen seines Aussehens. Da wurde er verrückt und ist langsam pervertiert. Der Film zeigt eine sehr düstere Welt. Die muss man sich nicht anschauen, aber man kann.

Besteht die Gefahr, dass Sie sich langweilen, wenn Sie nur noch alle ein bis zwei Jahre einen Film drehen?
Nein! Obwohl ich exklusiv für Fatih Akin arbeite, bekomme ich immer noch Angebote. Da sind durchaus Sachen dabei, die ich früher bestimmt gemacht hätte. Jetzt schaue ich jede Menge Filme für die Filmakademien. Ansonsten gehe ich spazieren. Es gibt ja ein Leben nach dem Film, so wie es auch schon ein Leben vor dem Film gegeben hat. Alles ist wunderbar. Und dass ich jetzt den Ehrenpreis des Deutschen Kamerapreises bekomme, ist ein schöner Abschluss. [15474]

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