Wir stellen die Preisträgerinnen des 34. Deutschen Kamerapreises vor (3)
Konzentration durch Weglassen
von Uwe Agnes,
Wir setzen unsere Reihe mit den Gewinnerinnen beim 34. Deutschen Kamerapreis fort mit Anne Jünemann, die den Preis für den besten Schnitt Fiktion Kino bekam.
Anne Jünemann wurde 1979 in Rostock geboren. Sie kam als Quereinsteigerin zum Schnitt und erarbeitete sich erste Erfahrungen als Schnittassistentin, Junior Editorin und freiberufliche Editorin für Werbespots, Imagefilme und Trailer. Um ihr Wissen über die Film- und Schnittkunst zu erweitern, entschied sie sich für das Montage-Studium an der Filmuniversität in Potsdam-Babelsberg. Seit ihrem Abschluss 2014 arbeitet sie als Editorin für Spiel- und Dokumentarfilme und ist mit ihrer Arbeit regelmäßig auf internationalen Festivals vertreten.
Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Kamerapreis für den Schnitt von „Leere Netze“! Das ist wirklich eine schöne Ehrung, finde ich. Es macht Spaß. Gerade bei diesem Film haben wir uns viel Zeit für die Montage genommen. „Leere Netze“ ist ein Erstlingswerk des Regisseurs Behrooz Karamizade, auch wenn er schon seit einigen Jahren Filme macht. Es ist schön zu sehen, dass es sich auszahlt, sich für die Montage Zeit zu nehmen. Ich war ehrlich gesagt überrascht über den Deutschen Kamerapreis. Die Produzentin hatte mir gesagt, dass sie den Film dort einreichen will und ich habe geantwortet „Ja, das kannst du machen, aber der Film wird sowieso niemanden interessieren. Diese langsamen, ruhigen Schnitte sind nicht so zeitgemäß.“ Von daher war ich sehr überrascht und freue mich, dass ein ruhiger, konzentrierter Schnitt immer noch begeistern kann.
Dass eine deutsche Editorin einen iranischen Film schneidet, kommt ja nun auch nicht alle Tage vor. Wie bist du überhaupt an dieses Projekt gekommen? Das lief über die Basis Berlin Filmproduktion, mit der ich vorher schon zwei Filme geschnitten hatte, unter anderem auch „Die Adern der Welt“. Dafür waren die Produzentin Eva Kemme und ich zusammen in der Mongolei. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis innerhalb und außerhalb der Arbeit. So hat Eva mich dann Behrooz vorgestellt, der in Deutschland lebt und gerne mit einer deutschen Editorin zusammenarbeiten wollte. Wir hatten nicht so viel Zeit, uns kennenzulernen. Aber die erste Grundstimmung war gut und ich war schon gewohnt, in einer Sprache zu schneiden, die ich nicht kenne, mit ausländischem Material, das mit Untertiteln angeliefert werden musste.
Aber selbst wenn es Untertitel gibt, sind die ja nicht silbengenau. Wie hat das denn funktioniert? Die Montage wird ja im Prozess immer feiner. Am Anfang bin ich meistens noch sehr grob und schneide noch gar nicht so haargenau. Ich versuche erst einmal, die Bedeutung der einzelnen Szenen zu erfassen und herauszufiltern, was sie auch im dramaturgischen Aufbau bedeuten. Danach richtet sich dann die Montage der einzelnen Szenen. Wenn ich mich also am Anfang mit dem Material vertraut mache und damit warm werde, dann ist eine silbengenaue Übersetzung noch gar nicht erforderlich. Im Laufe des Prozesses brauche ich dann die Unterstützung der Regie, die die Sprache gut kennt, um innerhalb von Dialogen zu schneiden. Aber das Verständnis entwickelt sich auch mit der Zeit.
Bekommt man so etwas wie ein Ohr für die Sprache? Ja auch, aber die Sprache ist auch nur ein kleiner Teil eines solchen Filmes, der sich aus noch viel mehr zusammensetzt. Die Gestiken, die Bewegungen, die Formen, Farben, Symbolik und Rhythmik, all das spielt bei der Montage eine Rolle. Die Sprache ist zwar der größte Informationsträger. Aber gerade bei einem Film wie „Leere Netze“, der sehr atmosphärisch ist und viel über sinnliches Erfahren ermöglicht, ist die Sprache etwas, das sich, zumindest teilweise, unterordnen muss. Außerdem haben wir selten jemanden beim Reden unterschnitten, sondern sind drangeblieben, und dadurch war es dann auch nicht so kompliziert.
Du hattest eben den Begriff Langsamkeit genannt, um deinen Schnitt zu beschreiben. Wie ist es dazu gekommen?
Eigentlich ist der Film schneller geschnitten als ursprünglich gedacht war! Der Assembly war dem Regisseur viel zu schnell, so dass wir von da aus erst einmal in die Breite gegangen sind. Wir haben alles aufgemacht und hatten dann einen Schnitt von etwa drei Stunden. Von da aus haben wir Schritt für Schritt daran gearbeitet, zu formen und herauszufinden, was der Film braucht, aber eben auch, was er nicht braucht.
Der Film hatte sowohl bei der Kameraarbeit als auch bei der Inszenierung, das Konzept von Langsamkeit und Atmosphäre, und daher gab es manchmal gar nicht die Möglichkeiten, hin und her zu schneiden. Einige Szenen waren in einer Einstellung aufgelöst. Ich konnte aber längere einzelne Einstellungen und schneller geschnittene Elemente miteinander harmonieren, um einen guten Erzählfluss zu kreieren. So kam es auch zu Entscheidungen, Szenen wegzulassen oder einzukürzen, weil wir diese Ruhe halten wollten. Gleichzeitig brauchte es dafür aber eine radikale Konzentration, damit kein Bild zu viel ist.
Für mich gab es zwei, drei Bilder im Material, die diese Geschwindigkeit vorgegeben haben. In einem davon läuft die Hauptfigur zum Ende des Films in einem Gebäude durch Streben aus Metall, durch die der Wind säuselt. Als ich das bei den Mustern gesehen habe, bekam ich richtig Gänsehaut und habe gedacht, das musst du dir merken, weil diesen Eindruck, den du jetzt hast, den muss man beim fertigen Film wieder haben. Das konnte aber nur funktionieren, indem man mit einem gewissen Tempo erzählt.
Was war für dich als Editorin die größte Herausforderung bei der Arbeit an „Leere Netze“? Das war tatsächlich dieser Rhythmus, diese Langsamkeit, die gegen die aktuellen Sehkonventionen geht. Bei diesem Film eine fast tranceartige Erfahrungen zu erschaffen und zu erhalten, war schon eine ziemliche Herausforderung, auch, dabei eine Nähe zur Geschichte, zu den Emotionen und den Figuren zu schaffen. Wie lange halte ich es aus – und wie lange hält der Schauspieler es aus, seine Stimmungen und Gefühle auf der Leinwand sichtbar zu machen? Ich habe das vorher noch nie so gehabt, aber jetzt durfte ich lernen, welche Bedeutung ein einzelnes Frame haben kann.
Kannst du ein Beispiel nennen? Als die Hauptfigur Amir am Wasser steht, nachdem in der Nacht zuvor sein Freund über Bord gegangen ist, entsteht ein Moment, in dem vieles zusammenkommt, ohne dass da äußerlich viel geschieht. Da steht einfach ein Mann am Wasser.
Was passiert dann also in diesem Moment? Es findet ein unsichtbarer Dialog statt, zwischen Amir und dem Meer und dem Zuschauer. Es geht nicht nur um die Frage: „Was ist passiert in der Nacht zuvor?“ sondern vielmehr darum, wie Amir nun weitermachen wird. Wann ist der entscheidende Moment, um von seinem Gesicht wegzuschwenken? Schuld und Sühne – geht er ins Wasser, seinem Freund folgend? Wie viel Schritte braucht es das zu suggerieren? Wie lange trägt das Meer die Fragen, die sich im Kopf des Zuschauers bilden, bevor wir wieder auf Amirs Gesicht blicken? Und was sehe ich dann in diesem Gesicht, Verzweiflung und Ratlosigkeit? Diesen unsichtbaren Dialog zwischen dem Meer, dem Mann und dem Zuschauer zu erzählen, das war die Herausforderung und da war jeder Frame genauestens hinterfragt. [15488]