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Ellen Kuras im Interview

Der Blick durch das Objektiv

Die Karriere von DoP Ellen Kuras gelangte mit ihrer Regiearbeit für „Die Fotografin“ mit Kate Winslet als Kriegsfotografin Lee Miller zu neuen Höhen. Der Film lief auf dem 31. Camerimage Festival im Hauptwettbewerb, hinter der Kamera stand auf ihren Wunsch hin Paweł Edelman an einer ARRI ALEXA 35 mit Leitz-Objektiven der Summilux-C-Serie.

Filmstill aus "Die Fotografin"
Foto: Sky

Als ich 2015 zum ersten Mal für dieses Magazin zum Camerimage Festival fuhr, war Ellen Kuras, in jenem Jahr Mitglied der Jury für die Studentenfilme, eine der ersten, die ich auf meine Interviewliste setzte. Denn es war „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ gewesen, bei dem ich verstand, dass Kameraarbeit mehr zu einem Film beitragen kann, als die Vision eines Regisseurs einzufangen, dass Filmarbeit Teamwork sein kann, bei der Egos nur im Wege stehen. Neun Jahre später hat es mit dem Interview endlich geklappt, und damit schließt sich für mich ein Kreis, denn es ist voraussichtlich mein letztes.

Am letzten Festivaltag des 31. Camerimage blieben mir knappe 15 Minuten, von denen ich vorher wusste, dass sie weder mir reichen, noch der Karriere von Ellen Kuras gerecht werden könnten. Sie hat einfach alles gemacht, was man mit Kameras machen kann und nicht umsonst wurde ihr 2022 als erster Frau überhaupt von der ASC die Auszeichnung für ihr Lebenswerk verliehen.

Ich gratuliere nachträglich zur Auszeichnung der ASC für das Lebenswerk und die Teilnahme im Hauptwettbewerb.
Die ASC war immer gut zu mir, hat mich unterstützt und war offen für Veränderung. Früher waren sie einmal eine rein technische Vereinigung in Laborkitteln. Das erste Mal war ich hier auf dem Camerimage, als es noch in Toruń stattfand und die polnische Gastfreundschaft ist mir im Gedächtnis geblieben. Nachmittags wurden einem in der Jury schon Drinks angeboten!

Ich bin ein großer Fan deiner Kameraarbeit bei Konzerten, wie du die intimen Momente einfängst, wie zuletzt bei „Personality Crisis: One Night Only“ von Martin Scorsese über David Johansen, ohne dass ihr euch dabei mit mehreren Kameras in die Quere kommt.
Ich habe schon öfter für Scorsese gedreht, wie jetzt auch das Schluss-Segment von „Killers of the Flower Moon“. Marty hat mich darum gebeten, es hat Spaß gemacht, da Regie führen zu dürfen, ich habe es nicht gedreht. Wir habe auch schon bei „Rolling Thunder Revue“ über Bob Dylan zusammengearbeitet. „Personality Crisis“ haben wir über drei Tage verteilt gedreht, mit vier Kameras. Ich liebe es, Konzerte zu filmen. Das hat auch immer etwas Ungreifbares, die musikalische Essenz eines Auftritts einzufangen.

DoP und Regisseurin Ellen Kuras
DoP und Regisseurin Ellen Kuras (Foto: Jens Prausnitz)

Deine Musikalität harmoniert natürlich mindestens ebenso mit Michel Gondry, mit dem du ja nicht nur zwei Spielfilme gedreht hast, sondern auch das brillante Musikvideo „The Denial Twist“ für die White Stripes in einem Take. Aber mit „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ habt ihr einen modernen Klassiker geschaffen.
Das war eine einmalige Zusammenarbeit zwischen Charlie Kaufmanns brillantem Drehbuch und Michel Gondrys Hirn. Dann kam ich dazu um zu helfen, diese Geschichte möglich zu machen. Ich weiß nicht, ob man das erfassen kann, wenn man an die Schauspieler denkt. Kate Winslet war damals 27 alt, glaube ich, als wir den Film drehten, und dennoch ist sie so gegenwärtig, ihre Darstellung ist so auf den Punkt. Ich bin der Überzeugung, dass sie wirklich dabei geholfen hat, Jim Carrey auszubalancieren.

Jim Carrey spielte hauptsächlich in Filmen, bei denen er der einzige Charakter war, und daran musste ich Michel erinnern, denn Jim wollte viele Einstellungen wiederholen, aber uns fehlten Zeit und Filmmaterial, um 20 Takes zu drehen. Außerdem war es ein Ensemblefilm in vielerlei Hinsicht, also mussten wir Michel dabei helfen, dass es auch einer wird, und sich nicht alles nur um Carreys Charakter dreht.

Das hat bestens funktioniert. Carrey war in keinem Film schauspielerisch besser. Reden wir über „Die Fotografin“, in dem dir ein vergleichbares Kunststück mit Andy Samberg gelingt.
Kate Winslet hat den Film angestoßen. Sie und ich waren mit Lee Miller vertraut, weil wir schon früher über sie gesprochen haben. Dann hatte sie den Tisch gekauft, den Lee in England besessen hatte. Kate rief mich an und sagte: „El, ich habe eben diesen Tisch gekauft, der Lee gehört hat“, und wir rätselten darüber, wer alles mit an diesem Tisch gesessen haben könnte, und was es zu essen gab – Kate kocht sehr gerne – und sie sagte: „Ich weiß es nicht, weil es keinen Film über Lee Miller gibt, dabei ist sie so ein unglaublicher Charakter.“ Also versuchte sie, die Familie von Lee Miller zu kontaktieren, um mit Antony Penrose zu reden, ihrem Sohn.

Von ihm erfuhr sie, dass die Rechte gerade an den australischen Produzenten Troy Lum verkauft worden waren. Also kontaktierte sie ihn und sie entschieden dann, den Film gemeinsam zu machen. Als Nächstes ließ sie ein Drehbuch schreiben und rief mich 2018 an. „Ich weiß, dass du Regieerfahrung hast, wärst du interessiert bei diesem Film die Regie zu übernehmen?“ Denn der Vergleich lag auf der Hand: Dort hast du Lee Miller auf der einen Seite, die in ihren mittleren Jahren hinter die Kamera wechselt, um eine Kriegsfotografin zu werden, und hier hast du mich auf der anderen Seite, mit Kameraerfahrung, die auch Krieg mit dem Blick durch das Objektiv erlebt hat und weiß, was es heißt, ein Foto aufzunehmen. Ich war sehr aufgeregt über die Aussicht, diesen Film zu machen, und dann haben wir die nächsten Jahre das Drehbuch überarbeitet. Vor allem während der Pandemie haben wir es umstrukturiert, als Liz Hannah mit an Bord kam.

Die Struktur hat gut funktioniert, weil ich mich bereitwillig auf den Kniff eingelassen habe, dass sie in der Rahmenhandlung einem Journalisten gegenübersitzt. Der Payoff mit der Schachtel ist dann großartig.
Ja, ganz am Ende. Und Kate spielt das wundervoll. Ihr darstellerischer Bogen ist brillant, deshalb bleiben wir dem emotionalen Teil ihres Charakters die ganze Zeit verbunden, den ganzen Weg lang.

Sie ist aber auch von fantastischen Co-Stars umgeben, selbst wenn sie nicht viel Dialog bekommen haben, wie Marion Cotillard oder Noémie Merlant.
Die Szene zwischen Marion und Kate war sehr berührend. Marion Cotillard ist selber eine fantastische Darstellerin, da war es ein Traum, die beiden zusammen in einer Szene zu haben und „Action!“ sagen zu dürfen.

Filmstill aus "Die Fotografin"
Brillianter darstellerischer Bogen: Kate Winslet als Kriegsfotografin Lee Miller (Foto: Sky)

Mich hat aber auch dein Auge für die Details im Schnitt begeistert. Wenn Lee das Foto der Pilotin von der Tür aus fotografiert, weht ihr dabei etwas Wind durch die Haare. War das Zufall oder Absicht?
Ein glücklicher Zufall, aber das war mir auch aufgefallen. Wenn man Takes auswählt, kann man sich dafür entscheiden und so diese Momente würdigen, wenn etwas Kleines passiert, das dem Film eine emotionale Qualität verleiht.

Das zog sich durch den ganzen Film, etwa die Einstellungen zu halten, wenn Lee auf der Treppe sitzt, mit den Beinen der Redakteurin im Hintergrund, aber es wird selbst dann nicht auf sie geschnitten, wenn sie spricht, sondern wir bleiben bei Kate. Oder in der vielleicht zentralen Szene, wenn Lee ihre Kamera auf das Mädchen im Lager richtet, die Angst vor ihr hat, als würde das Kind etwas in ihr sehen, dessen sich Lee in dem Moment selbst noch nicht bewusst ist. Auch da bleibt die Kamera länger auf Kate, die so viel mehr als ein Foto bekommt. Als pietätvoll empfand ich es, dass für das Bild der Opfer in Dachau auf das Originalfoto von Miller zurückgegriffen wurde.

Im Film gibt es eine Kombination aus echten Lee-Miller-Fotos und solchen, die Kate Winslet selber während der Dreharbeiten mit ihrer Rolleiflex aufgenommen hat. Sie hatte nämlich gelernt, wie man damit umgeht und ist richtig gut darin geworden. Natürlich hat sie dann ständig den Setfotografen nach Lichtmessungen gefragt, dessen Bilder ebenfalls zur Wahl standen. In vielerlei Hinsicht drehte sich alles um Fotografie. Wenn man am Ende des Films den Tisch voller Fotos sieht, begreifen wir, dass es ein bewegtes Leben war, das Lee erlebt hat, und in gewisser Weise ist das Chaos, das der Krieg aus ihrem Leben gemacht hat, der Grund dafür, sie in diese Schachtel weggesperrt zu haben. Im Abspann sehen wir dann die Originalbilder von Lee Miller und begegnen ihnen erneut.

Wir müssen leider schon zum Ende kommen, dabei wollte ich noch auf andere Regiearbeiten von dir eingehen, wie eine der beiden guten Folgen aus „Extrapolations“, oder die Serienadaption von „Catch 22“.
Danke, dass du das sagst. Edward Norton war sehr zufrieden und er ist dafür bekannt schwierig zu sein, aber er und ich kamen sehr gut miteinander zurecht. Wir hatten eine tolle Beziehung und an einem Tag sogar elf Drehbuchseiten gedreht, was irrsinnig ist und er hat das durchgezogen. Ich habe auch „Catch 22“ sehr genossen. Ich liebe Parodien und weiß einen guten Witz zu schätzen. „Catch 22“ ist mit einem Augenzwinkern inszeniert und Kyle Chandler ist brillant, perfektes Timing. Das hat es auf so vielen Ebenen funktionieren lassen, dass es großen Spaß gemacht hat, das zu schneiden. Als ich in den Schnittraum kam, hatte der Editor Mike Ruscio Establishing Shots und derlei mehr eingefügt, und ich sagte zu ihm „Lass uns das alles herausnehmen und ohne Umschweife in die Szene einsteigen!“ Wir haben nur die ersten 15 Minuten geguckt und dabei hysterisch gelacht, so viel Spaß hat das gemacht. [15489]

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