Im Februar 2016 lud Panasonic zum Launch der Varicam LT, die der 2015 vorgestellten Varicam 35 folgt. Wieder dabei war DoP Matthias Bolliger, der sich die Zeit nahm, die neue Kamera in Barcelona unter erschwerten Bedingungen zu testen. Was fand er in der Dämmerung der raumschiffähnlichen Bar hoch über den Straßen der Metropole heraus?
Lesen Sie es hier in unserem Bericht aus der Ausgabe 05/2016.
Niemandem kann man es verübeln, wenn ihn hier Assoziationen zu Science-Fiction-Filmen überkommen. In der Eclipse Bar des W Barcola Hotels fühlt man sich stark an Erholungsdecks auf allseits bekannten Raumschiffen erinnert, die dorthin gingen, wo nie ein Mensch zuvor gewesen war. Die wellenartige Deckenverkleidung wirkt einer fernen Zukunft entrissen, die angewinkelte Glasfassade wie die Aussichtsplattform eines Sternenkreuzers. Unwirkliches, magentafarbenes Licht überströmt zudem jeden Besucher, der hier im 26. Stock aus dem Fahrstuhl tritt, um einen Drink an der Bar zu sich zu nehmen.
Doch an diesem Donnerstag Morgen Anfang Februar 2016 steht hier niemand der Sinn nach etwas Alkoholischem. Das kleine Team, das die hippe Bar bevölkert, gruppiert sich nicht um erlesene Gin-Sorten, auch teure Anzüge sucht man vergebens. Stattdessen stehen die für diesen Ort ungewöhnlich funktional gekleideten Leute um eine Kamera herum. Auf der Seite des Geräts prangt ein Logo: „Varicam LT“.
Mehr Mobilität
Einer von ihnen ist Kameramann Matthias Bolliger. Der Schweizer lebt seit zehn Jahren in Hamburg, wo er häufig mit dem Regisseur Özgür Yildirim zusammenarbeitete. So war er für dessen Kinodebüt „Chiko“ und diverse Tatorte mit Wotan Wilke Möhring für die Bildgestaltung verantwortlich. Zuletzt drehten beide den Ende März ausgestrahlten Tatort „Zorn Gottes“ zusammen. Dieser entstand auf der Panasonic Varicam 35. Hier sammelte Bolliger erste Erfahrungen mit der Erweiterung des Panasonic- Portfolios in Sachen Filmkamera. Schon 2014 hatte er beim Dreh von Yildirims „Boy 7“ nach etwas Leichterem für die POV-Shots gesucht. Die ARRI Alexa war dafür zu schwer, die Amira noch nicht in Serie. Also setzte er damals auf die flexiblere Sony PXW-F5. „Da ist die Lust geboren, etwas Neues auszuprobieren“, sagt Matthias Bolliger. Er wollte mal weg von der Alexa, die er sehr schätzt, die aber gewichtstechnisch weniger flexibel in der Handhabung ist – und damit weniger mobil.
Für den folgenden Möhring-Tatort schien dann die damals neue Varicam 35 die beste Wahl. „Ich wollte auch bei dem Format Thriller vom Licht her die Möglichkeiten ausreizen“, sagt der DoP. „Ich möchte cleveres Licht im Raum, mit einer Imperfektion, die so real aussieht, als wäre es nicht beleuchtet.“
Die hohe ASA von 800 beziehungsweise 5000 nutzte er hier in vielen der düsteren Szenen aus. Dabei machte er wichtige Erfahrungen mit diesen Werten: „Es macht Sinn, zwischen den nativen 800 und 5000 ISO direkt zu springen. Wenn man zum Beispiel 2500 braucht, wird das 800 ASA-Signal eigentlich nur verstärkt.“ Seiner Erfahrung nach ergibt das wenig Nutzen, weil das 5000er- Signal rauschärmer ist, als wenn man das 800-ASA-Signal hochzieht. „Man nutzt besser einfach ND-Filter oder reduziert mit –dB-Werten das 5000-ASA-Signal.”
Starke Schwester
Diese Erfahrungen waren für Bolliger ausschlaggebend, als Panasonic auf ihn zutrat und ihn bat, den Launch mit etwas Material zu begleiten. Der Vorschlag des Herstellers war, ein paar Clips in den Straßen Barcelonas zu drehen. Doch Matthias Bolliger hatte die Kamera-Kollegen und damit späteren Anwender im Hinterkopf. Er schlug vor, sich auf das Alleinstellungsmerkmal der Varicam-Reihe zu konzentrieren: die Lichtempfindlichkeit. Die Varicam LT ist vom Formfaktor her kleiner, mit knapp 2,7 Kilo – nur der Body – gut für den Single-User sowie für dokumentarische Einsätze und kleine Rigs geeignet.
Auch wie bei der großen Schwester gibt es ein Magnesiumgehäuse und eine separate Bedieneinheit. Der Sensor ist derselbe Super35-1MOS-Sensor wie bei der Varicam 35, der ebenfalls mehr als 14 Blendenstufen Dynamikumfang abbilden soll. Canons EF-Mount ist Standard, die LT kann aber optional mit PL-Mount aufgerüstet werden. Einer der Unterschiede zum Vorgänger ist das weniger leistungsstarke Aufzeichnungsformat in 4K. Wo die 35er-Version bis zu 12 bit AVCINTRA 4K 4:4:4 leistet, zeichnet die Varicam LT maximal 10 bit AVC-INTRA 4K 4:2:2 auf. Hier stehen bis zu 30p Bildrate zur Verfügung, in 2K bei 4:2:2 sogar 60p und 120p cropped.
Neu sind AVC-INTRA LT und AVC-INTRA 2K-LT. Beides Codecs unterstützen die Aufzeichnung von High-Speed- Streams mit bis zu 240 fps. Auch ProRes 4444 ist mit der Varicam LT in 2K und HD möglich. Hochauflösende Proxyfiles können erstellt werden, paralleles Sub-Recording dagegen bleibt weiterhin nur der Varicam 35 vorbehalten. Aufgezeichnet wird auf ExpressP2-Karten. Mit SDI- und Hirose- Buchsen am Sucherausgang sind Anschlussmöglichkeiten vorhanden, die das Gerät auch um individuelle EVFLösungen erweiterbar machen.
Hervorzuheben sind die Farbmanagement-Möglichkeiten durch ACES-Workflow- Support (Academy Color Encoding System). Auch das In-Camera-Grading ist eine sinnvolle Eigenschaft der LT. 4K-Clips können so bei der Aufnahme mit den zugehörigen Metadaten für das anschließende Grading versehen werden. Außerdem hält die Kamera Dual Native ISO Recording mit 800/5000 ISO für den Anwender bereit.
Herausforderung Hauttöne
Bolliger wollte beim Testdreh für den Launch genau dieses Lowlight-Verhalten demonstrieren: „Es war auch mein Anliegen, die Kamera ein bisschen herauszufordern.“ Er bat um die Möglichkeit, ein Model als Anspielpartner für die Kamera zu engagieren, und holte so Marta Trias Moya an Bord. Zudem fand der Kameramann in der Eclipse Bar des Hotels die magentafarbene Deckenbeleuchtung – und hatte eine Idee. Ob man nicht dort zur Dämmerungsstunde drehen könnte? „Das ist schon eine Herausforderung, wenn von außen Dämmerungslicht in den Raum strömt, kombiniert mit dem Licht von der Decke“, sagt Bolliger.
Zusammen mit dem Kamera- Assistenten Xavis Serra leuchtete der Kameramann nicht groß aus, benutzte auch keine Filter, denn er wollte den puren Umgang der Kamera mit der Lichtsituation beurteilen können. Die Verknüpfung von Dämmerung und starkem, farbigen Licht war eine Herausforderung für die Wiedergabe der Hauttöne des Models. „Das ist schon speziell, blau und magenta auf der Haut abzubilden, denn das kann auch mal kitschig daherkommen.“ Um nicht stundenlang den Farbraum einrichten zu müssen, hatte er seine eigens für den „Zorn“-Tatort angefertigten LUTs mit nach Barcelona gebracht. Diese ließen sich problemlos in die Kamera laden. Zudem hatte er diese für das spätere Grading durch den Coloristen Ivan Garriga Simó schon vorab in die Post geschickt. Für das Grading war gerade mal eine Stunde Zeit. Bolliger und Simó schnitten direkt im DaVinci Resolve. „Da war nicht die Zeit, große Wandlungen zu machen“, sagt Bolliger. „Wir haben ein paar Feinheiten korrigiert, die LUTs als Basis genommen und auf der Basis einen 4K-Playout generiert.“
Bild: Panasonic, Matthias Bolliger
Bild: Panasonic, Matthias Bolliger
Am Nachmittag wurde der kurze Clip beim Launch vorgeführt. Bolliger ist mit dem Ergebnis zufrieden, dafür dass der Clip in so kurzer Zeit inklusive Grading entstand. Für ihn ist die Varicam LT vor allem dadurch interessant, dass sie die Basisdaten der 35er in eine noch kompaktere Form bringt und ihm als Kameramann dafür mehr Freiheit verschafft. Zudem bietet sie eine weitere Alternative zu den etablierten Geräten von ARRI RED und Sony, die sich in Sachen Bildqualität, Farbwiedergabe und Lowlight-Verhalten – und auch Dynamikumfang – nicht zu verstecken braucht. „Ich finde es gut, dass mit Varicam 35 und LT in dem Segment mehr Wettbewerb stattfindet“, sagt Bolliger.