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Licht im Genrefilm

Beklemmung erzählen: Das Licht in “Der Bunker”

Auf der Berlinale 2015 war er ein Geheimtipp. In unserer Ausgabe 4/2016 berichteten wir pünktlich zum Kinostart über die Dreharbeiten. DoP Matthias Reisser und Regisseur Nikias Chryssos schufen mit “Der Bunker” eine beklemmende Erfahrung, die zwischen den Genres wechselt.

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(Bild: Sylvia Grave, Melanie Raab)

Dunkel ist das Bild. Sehr schemenhaft kann man einen Raum erkennen. Stimmen nähern sich. Die merkwürdige Familie, die hier im unterirdischen Bunker wohnt, hat kürzlich einen Studenten zur Untermiete aufgenommen. Dieser hat dem Vater zugesagt, dessen Sohn Klaus ein wenig Erdkunde beizubringen. Jetzt ist der nächste Morgen. Die erste Stunde steht an. Die Tür öffnet sich, fahles Licht vermag den Raum nur unzureichend zu beleuchten. Aber das wird sofort von den grellen Neonröhren übernommen, die den in Kükengelb getünchten Raum in ein unwohles Licht tauchen. Auf der einzigen Schulbank sitzt Klaus. Sein Blick ist nicht mal in der Nähe von „erwartungsvoll“. Er muss im Dunkeln gewartet haben. Wie lange, weiß man nicht.

Als “Der Bunker” auf der Berlinale 2015 lief, bescheinigten viele Rezensenten dem Film nicht nur die gehörige Portion Mut, die im deutschen Kino ja gerade fehle, sondern auch die dafür nötige Stilsicherheit. Dennoch blieben die Verleiher fern. Jetzt bringen die unabhängigen Verleiher Drop- Out Cinema und Bildstörung den Arthouse-Genrefilm nach und nach in die Programmkinos und ermöglichen dem breiteren Publikum einen Blick auf das Werk.

Geissendörfer ist dabei

Für Regisseur Nikias Chryssos war es der Debütfilm. Er wuchs in Heidelberg auf und ging nach ersten Praktika bei Pro7 und einen Abstecher nach England an die Filmakademie Baden-Württemberg, wo er den Schwerpunkt Regie belegte. Im Umfeld der Hochschule lernte er seinen späteren Kameramann Matthias Reisser kennen. Der wuchs in Stuttgart auf, machte dort auch seine ersten Set-Erfahrungen und traf bei einem der ersten Praktikumsorte auf viele Filmstudenten der Akademie, die für Werbedrehs kamen. “Ich wollte immer gerne in die Kamerarichtung, aber nicht über die Technik, sondern über das Licht”, erzählt Matthias Reisser. Seit 2006 arbeitete er an vielen Projekten als Oberbeleuchter mit, unter anderem an der Seite von Kameramann Bernhard Jasper bei dessen Drehs für die Schweighöfer-Komödien.

Chryssos schrieb das Buch zu “Der Bunker” in 2011. Von der Idee zur ersten Fassung waren es rund sechs Monate. “Ich wollte einen Film machen, der an einem Ort spielt, mit begrenztem Ensemble”, erinnert sich Chryssos. Explizit hatte er gar nicht vor, einen Genrefilm zu machen. “Diese Unterscheidungen haben mich nie interessiert.” Im Film geht es um einen Studenten (Pit Bukowski), der zur Forschung nach dem Higgs-Teilchen Ruhe im Wald sucht. Hier mietet er sich bei einem merkwürdigen Paar ein, gespielt von Oona von Maydell und David Scheller. Deren 8-jährigen Sohn Klaus (Daniel Fripan) soll er schließlich in Erdkunde unterrichten, damit dieser für das US-Präsidentenamt vorbereitet ist. Mehr und mehr wird der Student in das schräge Familienleben hineingezogen.

Nach einem missglückten Crowdfunding-Versuch bekam Hana Geissendörfer von dem Projekt Wind. Sie ist mit Chryssos befreundet und kennt seine Kurzfilme aus dem Studium. Gemeinsam mit ihrem Vater Hans W. Geissendörfer stieg sie als Koproduzentin ein. Mit dem renommierten Namen im Rücken wurde erneut Förderung beantragt. Als auch das fehlschlug, traf das Team eine Entscheidung: “Wir haben gesagt: Das ziehen wir jetzt so durch”, sagt Regisseur und Produzent Chryssos. Matthias Reisser wurde ihm vom gemeinsamen Freund Peter Matjasko empfohlen. Von Reisser kannte Chryssos den Kurzfilm “Protect the Nation” der in Südafrika gedreht worden war. “Der Look des Films war ganz anders als unserer, viel Handkamera, fast dokumentarisch”, sagt Chryssos. “Aber sehr natürlich, das hat mir gefallen.”

Look: Nicht so makellos

Das Budget diktierte einen digitalen Dreh. Obwohl Matthias Reisser noch auf chemischem Film gelernt hat, arbeitet er heute – wenn er als DoP fungiert – auf der ARRI Alexa. Diesen Wunsch hatte er auch hier. Der Sensor der Kamera ist vor allem lichtempfindlich genug, um das teilweise sehr düstere Lichtkonzept Reissers im Bunker zuverlässig abzubilden. Peter Matthäi von MBF Berlin stellte dem Team eine Alexa Studio zur Verfügung. Reisser entschied sich zudem für einen Satz Standard Zeiss 2.1 Optiken. „Die kommen nicht so perfekt daher“, erläutert Reisser. “Und das gesamte Bild wird etwas verwaschener wiedergegeben – nicht so makellos.” Für die Westernhommage in der Klassenzimmerszene buchten sie noch einen alten Cooke-Zoom dazu. Lichtunterstützung kam von Tilo Meuser bei Cinegate. Reisser entschied, nicht auf RAW zu drehen, sondern auf dem für die Alexa in 2012 aktuellen ProRes422-Codec.

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Kameramann Matthias Reisser an der ARRI Alexa Studio, am Tisch Daniel Fripan in der Rolle des Klaus. (Bild: Sylvia Grave, Melanie Raab)

Nach den nächsten Drehbuchfassungen startete die Crew im September 2012 in die Motivsuche. Der Drehort sollte nah sein, um dem Berliner Team kurze Wege zu ermöglichen. Mit Szenenbildnerin Melanie Raab zusammen besuchten Regisseur und Kameramann unzählige mögliche Motive, darunter auch bizarre Orte, wie einen Wohnmobilpark mitten im Wald. Auf einem Flughafengelände fanden sie den Bunkereingang für den Filmanfang und die Establisher, in Klein-Machnow ein Ein-Familienhaus, das als Bunker- Inneres fungieren sollte. Der Kellerraum, in dem der Student wohnt, lag gleich eine Straße weiter. Der Raum war perfekt, kalt, leer, zu niedrig. Leider gab es keinen Stromanschluss. Aber das ließ sich mit einem Generator lösen.

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Das beklemmende Kinderzimmer mit den Plüschtieren an der Decke. (Bild: Sylvia Grave, Melanie Raab)

Melanie Raab hatte dann mit ihrem Szenenbild-Team die Herausforderung zu meistern, das Wohnhaus zum Bunker umzufunktionieren, der wirkt, als hätte man einen Bunker zum Wohnhaus umfunktioniert. Sie schaffte das durch vor die Fenster gebaute Lichtkästen, die wie Lichtschächte für Keller- oder Bunkerräume wirkten. Diese waren teilweise bespielbar und von oben beleuchtet. Hierüber ließen sich, wie im Studio, unabhängig von der tatsächlichen Tageszeit, Tag und Nacht simulieren.

Beklemmend dunkel, erbarmungslos hell

Die Zimmer sollten alle etwas Eigenes haben, Farblichkeit und Ausstattung stets ein unangenehmes Gefühl erzeugen. So finden sich im Schlafzimmer kleine Türen zu Stauräumen in den Wänden, in der Küche gibt es einen Durchgang zum Esszimmer, der einen extra Rahmen im Bild ermöglicht. “Der Leitgedanke war, dass diese Welt irgendwie zeitlich stehen geblieben ist. Irgendwas ist fake daran, wie die Möbel und das Telefon oder auch die behauptete Bildung des Vaters”, erklärt Nikias Chryssos.

Die unterschiedlichen Farbstimmungen wurden in enger Abstimmung zum Lichtkonzept festgelegt. So sollte das Schlafzimmer des jungen Klaus dunkle Grüntöne besitzen, die vom Licht aus der Nachttischlampe beleuchtet beklemmend düster wirkten. Eine weitere Lampe wurde hinter den Kuscheltieren platziert, die bizarrerweise von der Decke herabhingen. Das Klassenzimmer, in schon erwähntem grellgelb gehalten, war erbarmungslos hell in kaltem Neonlicht ausgeleuchtet. “Hier gab es keine Schatten”, sagt Matthias Reisser. Ausstattung, Farben und Szenenbild beißen sich auch oft, wie Nikias Chryssos betont: “Der Student wird in dieses niedrige Kellerloch gesteckt, grau und kalt – in dem aber noch eine vertrocknete Blume steht.”

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Das dottergelbe Klassenzimmer wartet fertig ausgestattet auf seinen Einsatz. (Bild: Sylvia Grave, Melanie Raab)

Im Studio wäre das alles leichter herstellbar gewesen. Doch Reisser und Chryssos betonen, dass der echte Drehort immer eine Atmosphäre schafft, die man im Studio nie erreicht. Und an Original-Schauplätzen ein bisschen eingeschränkt mit dem Vorhandenen zu sein, das finden beide sehr reizvoll. Die Wahl des Formats macht später im Film diese Umgebung noch lebendiger. „Das Cinemascope lässt diesen Raum immer mitschwingen. Das hat etwas Theatralisches“, sagt Matthias Reisser. “Mit der Zeit wird das Haus so zu einem Teil der Geschichte, zu einem eigenen Charakter.”

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Die Lichtkästen vor den Fenster erzeugten einen authentischen Bunker-Eindruck – und waren zudem praktisch für das Lichtteam. (Bild: Sylvia Grave, Melanie Raab)

Die Schauspieler waren schon im Jahr zuvor gecastet worden und standen nach wie vor zu ihrer Zusage. Schließlich fand am 13. November der erste Alexa-Clip seinen Weg auf sein Speichermedium. Die Beleuchtung war in den engen Räumen oft nur mit Practicals zu bewerkstelligen. Bei den niedrigen Zimmerdecken war keine Bautiefe möglich. Also hatte Oberbeleuchter Tobias Brekle über den Sets kleine Himmel in die Räume gebaut. “Mit 8×8-Bespannung und Richtgittern drüber – damit wir mal ein Grundlicht hatten”, erklärt Matthias Reisser. Er wollte durch die Richtgitter vermeiden, dass er ständig gegen den Spill von Butterflys ankämpfen muss. Zudem war die Kamera oft untersichtig, so dass er in diesem Fall seine Ausrüstung im Bild gehabt hätte. Wenn nötig gab es noch von unten Augenlicht für die Schauspieler. Je rough er der Film jedoch zum Ende hin wird, desto mehr ließ Reisser dieses “Beautylicht” weg.

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Kamera-Assistentin Rahel Koller mit der Alexa Studio von MBF. (Bild: Sylvia Grave, Melanie Raab)

Effekt vor Logik

Reissers Lichtkonzept hält sich nicht sklavisch an echte Lichtquellen: “Für mich gilt: Effekt vor Logik!” Natürlich versucht er eine Lichtrichtung mit einem Practical oder natürlichem Licht zu motivieren. Ist das nicht möglich, setzt er halt ein künstliches Licht. “Für mich ist viel wichtiger, einen Stil durchzuhalten, anstatt sich stoisch an Realitäten zu orientieren.” Für ihn ist für die unbewusste Wirkung auf den Zuschauer vor allem die Führung wichtig und diese beizubehalten. Wenn eine Figur Backlight von der Sonne bekommt, sollte seiner Meinung nach im Gegenschuss nicht das direkte Auflicht zu sehen sein. “Auch wenn es logisch richtig wäre, es springt im Schnitt”, ist sich Reisser sicher. Das wiederum spürt der Zuschauer. Die Standard-Zeiss-Optiken hatten aufgrund ihres Alters auch ihre Tücken. “Die Randschärfe war anders, als die Schärfe im Zentrum der Optik”, erinnert sich DoP Reisser. Schwierig war es hier, wenn Personen im Bild am Rand positioniert wurden.

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Regisseur Nikias Chryssos und Kameramann Matthias Reisser bei einem der wenigen Außendrehs. (Bild: Sylvia Grave, Melanie Raab)

Dann konnte Kamera-Assistentin Rahel Koller nicht mehr nach der Skala Schärfe ziehen. Das war dem Kamerateam jedoch früh klar, so dass es nicht zu bösen Überraschungen führte. Mit den alten Objektiven leuchtete der Kameramann beim Dreh von “Der Bunker” oft auf Blende 2.8, manchmal drehte er auch offen. Das funktionierte in den meisten Fällen sogar mit der Standardeinstellung der Alexa von 800 ASA. Nur in den dunkleren Szenen wechselte Reisser auf 1200. Die Tag- und Nachtstimmungen regelte das Lichtteam über verschiedene Lichttemperaturen in den Leuchtstoffröhren über den Lichtschächten.

“Bei Nacht sind überall Practicals an und wir sind etwas kontrastiger”, führt Reisser aus. “Bei Tag haben wir etwas weniger Kontrast und die Practicals sind aus.” Neben seinem Oberbeleuchter Tobias Brekle waren Kamera-Assistentin Rahel Koller und Bühnenmann Hannes Höber stets an seiner Seite. Das Lichtteam hatte in der Drehzeit immer wieder auch normal bezahlte Drehs, so dass es unter den Lichtleuten eine Fluktuation gab. Die Lichtcrew organisierte selbstständig einen Plan, der immer eine ausreichende Anzahl von Beleuchtern am Set garantierte. Reissers Team bestand zum Großteil aus den Profis, mit denen er auch am Set der Großprojekte “Der Nanny”, “Schlussmacher” oder jüngst “Der geilste Tag” zusammengearbeitet hat. “Die haben echt an das Projekt geglaubt”, freut sich Matthias Reisser.

Langer Kampf

Am letzten Drehtag, den 11. Dezember 2012, wussten die Macher noch nicht, dass es mehr als zwei Jahre dauern würde, bis “Der Bunker” seine Festivalpremiere auf der Berlinale 2015 feiern konnte. Viele unterstützen den Film neben den Jobs her, bei unterfinanzierten Debütfilmen leider oft der Fall. Editor Carsten Eder schnitt das Projekt, Coloristen Jan Schlösser machte das Grading. Auch wenn mal längere Zeit nichts geschah, verlor Chryssos das Ziel nicht aus den Augen. Nach der Berlinale lief “Der Bunker” auf zahlreichen Festivals und gewann mehrere Preise. Am Ende jedoch ist es etwas ganz anderes, worüber sich die Filmemacher freuen. Sie hören nicht auf, ihrem Team zu danken. “Die haben sich voll mit dem Film identifiziert”, sagt Nikias Chryssos. “Und alle haben ihr Bestes gegeben.”

Denen die sich Nikias Chryssos “Der Bunker” ansehen möchten empfehlen wir das Randfilmfest in Kassel. Am 30.09.2017 um 17:45 Uhr  wird der Film im Nachrichtenmeisterei Kassel zu sehen sein. Weitere Infos gibt es hier.

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Total commitment to the individual vision is so impressive. Well done to the whole team for achieving this miraculous world. I for one am grateful for the film’s existence.

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