Kameradialog mit Jakob Wiessner trifft Jo Heim (2/2)
von Redaktion,
Hier der zweite Teil des Kameradialogs für unsere Ausgabe 6/2016. Hier sprachen wir mit den beiden DoP Jo Heim und Jakob Weissner. Heim wird am 24. Juni in Köln den Ehrenpreis des Deutschen Kamerapreises entgegen nehmen.
Warst Du dann eher ein Early Adopter, verglichen mit Jo?
Jakob Wiessner: Im üblichen Rahmen. Klar, als es die RED gab, haben wir damit gedreht. Als es davor die Canon 5D Mark II gab, haben wir auch damit gedreht. Als die Alexa rauskam, haben wir natürlich auch damit gedreht. Sobald die Sachen verfügbar waren, haben wir sie benutzt. Nicht nur in der Hochschule, auch drumherum. Man kam da dran, auch bevor die Hochschule eigene hatte. Die hatten die Kameras früh da, für Tests und Seminare, und zum Drehen ging das dann auch relativ bald. Die RED gab’s damals nicht, das waren dann tatsächlich externe Projekte, bei denen ich erstmals mit einer gedreht habe. Die hatte aber einige Probleme, zum Beispiel wurde die ziemlich heiß, und wir haben sie dann mit Ice Packs gekühlt, oder sie ist abgestürzt, oder so ein kleiner Joystick hat geklemmt und dann hat sie nicht mehr funktioniert, und dann kam keine zweite und so weiter.
Jo Heim: Das waren so die Kinderkrankheiten in diesen digitalen Anfängen! Ich hab die D20 mal getestet, und besuchte Workshops. Das hat mich alles nicht überzeugt. Wozu auf digital umsteigen, wo es doch Zelluloid gab, und alles bestens funktionierte? Anfangs überwiegten einfach die Probleme: Dann ist die RED ausgegangen und musste rebooten, dann hat das wieder gedauert, dann ist der Regisseur verrückt geworden, dann war noch ein wahnsinnig lauter Lüfter drin, und da fragt man sich halt schon: Wieso? Wieso soll ich mit dem Zeugs drehen, wenn ich schon ein perfekt funktionierendes System habe? Was soll ich mich da drauf einlassen? Erst als die Alexa kam, war es „geschafft“. Sämtliche Kinderkrankheiten waren ausgestanden, seither drehe ich mit Alexa. Aktuell mit der XT. Und finde es prächtig!
Es gibt auch heute noch Kollegen die noch, oder wieder analog drehen. Scorsese ist ein großer Fan davon, Tarantino und einige andere. Es gibt immer noch Zelluloid. Das Bittere ist, dass der Markt gekippt, und alles Analoge fast komplett ausgestorben und weg ist. Das ist schade. Ich hätte mir sehr gewünscht, hätte aber auch selbst mehr dazu beitragen müssen, fighten müssen, dass der nächste Kinofilm analog gedreht wird. Inzwischen hat man fast nicht mehr die Wahl. Zwar kriegt man die Kameras inzwischen nachgeschmissen, aber man muss fürs Kopierwerk inzwischen schon nach Belgien. In Deutschland gibt’s noch Berlin, Andec, glaube ich. Es gibt kein klassisches Kopierwerk, das darauf ausgerichtet ist, wie es mal war. Es ist einfach ein Systemwechsel, der sich hier vollzogen hat.
Merkt der durchschnittliche Kinogänger diesen Wandel überhaupt?
Jo Heim: Ich denke, den direkten Unterschied kann der durchschnittliche Kinozuschauer nicht eindeutig erkennen, aber die Empfindung ist eine ganz andere bei analogen Filmen als bei digitalen. Film ist viel verzeihlicher. Digital ist gnadenlos. Bei einem Close-Up einer Person sieht man jede Pore. Film war einfach dadurch, dass das Material komplett anders aufgebaut war, es mehr „verschmiert“ hat, ohne dabei unscharf zu werden, eigentlich viel angenehmer. Ich kämpfe heute immer noch dagegen, dass digital so „hart“ ist. Ich wähle ganz bewusst aus, mit welchen Filtern und Optiken ich diesem harten Digitalcharakter entgegenwirken kann. Bei einem Science-Fiction-Film zum Beispiel, der ganz clean sein muss, oder einer cleanen Werbung – wunderbar. Aber wenn ich jetzt was ganz Romantisches machen soll, dann würde ich da ad hoc die besseren Ergebnisse analog gedreht bekommen. Man muss heute ja ganz viel in der Post machen, um dem entgegenzuwirken …
Vaseline auf die Linse … (allgemeines Gelächter)
Jo Heim: Naja, die Zeiten sind vorbei, man kann inzwischen viel nuancierter arbeiten. Ich weiß noch, wie ich gestartet bin, da habe ich viel mit Farbfiltern gearbeitet, mit Straw oder Sepia zum Beispiel, um einen gewissen Look zu erzielen. Man hat die Filter aber nur in bestimmten Stärken bekommen, also ein Viertel oder ein Halb zum Beispiel. Das heißt, es war hü oder hott, ein Viertel oder ein Halb. Heute kann man das digital hinterher super feintuningmäßig hinkriegen, ohne dass es mehr Kosten verursacht. Das hat sich zum Positiven verändert.
Was sagt Ihr zu dem aktuellen Auflösungsrennen, 4K, 8K und so weiter?
Jo Heim: Horror! Ich habe 4K in 4K-Projektion gesehen, im Vergleich zu 2K. Gar keine Frage: Eine wunderbare feine Holzmusterung oder so ist in 4K einfach viel nuancierter zu sehen. Ich möchte aber keinen Close-Up in 4K sehen! Wenn ein Gesicht plötzlich sieben Meter groß ist auf der Leinwand, und das in 4K, das ist dann nicht mehr schön! Es gab vor fünfzehn Jahren eine Zeit bei den digitalen Fotoapparaten, da kam alle Nase lang eine neue Kamera auf den Markt mit immer noch mehr Pixeln. Heute redet bei Fotoapparaten kein Mensch mehr von der Pixelzahl, das Ding ist durch. Ich kann schon verstehen, wenn man einen VFX-lastigen Film hat, dass man den in 4K dreht, weil sie sich in der Post dann leichter tun. Die Auflösung ist höher, die Kanten sind schärfer, die kann man viel besser „greifen“ in der Post, das ist schon ein Vorteil.
Ich mache zum Beispiel gerade einen Kinofilm, wo im Vorfeld jeder unbedingt 4K wollte, von wegen Vermarktung und Streaming, doch ich habe mich dafür stark gemacht, dass wir das nicht machen. Ich konnte den Produzenten überzeugen, dass wir auf 2K drehen. Vor zwei Jahren hab ich mal Tests gesehen, ich glaube, es war ein Workshop bei Schmiedle, da haben wir mit Splitscreen-Screening 2K und 4K gegenübergestellt, ich meine sogar, dass das damals zwei unterschiedliche Projektoren mit der jeweils nativen Auflösung waren, und: Da gibt’s gar nichts zu rütteln. 4K ist einfach schärfer, feiner, man sieht die Strukturen besser, aber die Frage ist: Will ich das sehen? Und ich sage nein. Ich möchte jemandem ins Gesicht gucken, und nicht jedes Detail erkennen müssen. Wenn ich Architektur oder Stoffmuster zeige, dann ist 4K perfekt. Aber der klassische narrative Erzählfilm braucht meines Erachtens nicht 4K.
Jakob Wiessner: Ich würde da anknüpfen. Wir suchen ja nach einem organischen Bild, nach etwas, das sich richtig anfühlt. Was eine gewisse Weichheit hat, aber auch einen gewissen Kontrast – nur, wenn die Kamera die Schärfe oder den Kontrast über- oder eben auch untertreibt, dann habe ich eher das Gefühl, dass ich etwas Unnatürliches, Technisches sehe. Ich will einen Film ja nicht technisch ansehen, ich analysiere nicht die Oberflächen, ich habe ein Gefühl für den Abstand und den Raum drumherum, für die Spannung zwischen Hell und Dunkel, zwischen Schärfe und Unschärfe, zwischen den Farbtönen und Formen. Und wenn ich eine Geschichte erzähle, dann nutze ich diese Faktoren. Dann habe ich einen Schauspieler und einen Raum, und eine Geschichte im Kopf, und das benutze ich, daraus möchte ich etwas machen, und da möchte ich keine Technik haben, die mir das verfälscht – die meine Wahrnehmung, die das, was mich daran interessiert, auf eine Art übertreibt, wie ich es überhaupt nicht haben möchte.