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Stolpersteine beim Filmerbe

Das Bündnis zur Digitalisierung kommt kaum voran

Die Zukunft ist digital, die Vergangenheit jedoch analog. Wer historische Filmschätze für unsere Zeit sichtbar halten will, muss dafür Geld in die Hand nehmen. Das klingt einfach, aber in der Praxis gibt es etliche Hürden.

Filmstill aus "Name der Rose" - Sean Connery als Mönch
Filmstill Name der Rose

Filmklassiker sind historisches Gut. Sie zu digitalisieren und für unsere heutige Zeit sichtbar zu machen, kostet jedoch Geld. Aber das ist nicht die einzige Hürde, um auch in Zukunft etwa Sean Connery als Franziskaner-Mönch erleben zu können.

„Der Tiger von Eschnapur“ erstrahlte im vergangenen Jahr ebenso frisch restauriert und digitalisiert wie der Edgar-Wallace-Klassenschlager „Der grüne Bogenschütze“, Detlev Bucks „Männerpension“ oder die Bestseller-Verfilmung „Der Name der Rose“ von Jean-Jacques Annaud. Dabei profitierten die Inhaber der Rechte an den Klassikern von der Förderung der Digitalisierung des deutschen Filmerbes durch die FFA. Sie unterstützt seit 2012 die Sicherung der deutschen Filmkunst-Schätze, nicht zuletzt mit dem Ziel, sie wieder oder weiterhin sichtbar zu machen. Auch das Medienboard Berlin-Brandenburg oder die Beauftragte der Bundesregierung und Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters stießen solche Digitalisierungsmaßnahmen an. Sie wollten nicht auf das Bündnis zur Digitalisierung des deutschen Filmerbes warten, auf das sich Bundesregierung, Bundesländer und die FFA im Sommer 2018 nach jahrelangen Diskussionen endlich geeinigt hatten. Zehn Millionen Euro stellen sie in den kommenden zehn Jahren für diese nationale Aufgabe zur Verfügung. Der Betrag wird zwischen den Partnern aufgeteilt. Doch schon jetzt macht eine Studie der Wirtschaftsberatungsfirma PwC klar, dass wahrscheinlich nur die Hälfte der avisierten Titel digitalisiert werden kann. Die Mach- barkeitsstudie war von den Beratern mit Fachleuten aus der Branche erarbeitet worden und schlug eine um den Faktor zehn erhöhte jährliche Fördersumme von zehn Millionen Euro vor, die sich weniger am Bedarf als an den noch vorhandenen technischen Kapazitäten im Land orientierte. Denn aufgrund der jahrelangen Unsicherheit hatten viele Unternehmen ihre Einrichtungen zur Bearbeitung analogen Materials geschlossen. Selbst das Kopierwerk im Bundesarchiv Koblenz konnte erst nach einem Aufschrei der Branche gerettet werden. Die Unterfinanzierung des Filmerbe-Programms ist nicht nur den gestiegenen technischen Standards geschuldet. Die Fernsehsender kaufen Filme nur, wenn sie in 4K aufgelöst sind. Auch viele Rechteinhaber bevorzugen heute diesen Standard. Außerdem wurde zur Berlinale die „DIN SPEC 15587 – Empfehlungen zur Digitalisierung von kinematografischem Film“ des DIN-Arbeitsausschuss „Produktion, Wiedergabe und Archivierung von audiovisuellen Medien“ vorgelegt. Die in vierjährigen Diskussionen erarbeitete Empfehlung setzt Standards, durch die der Digitalisierungsworkflow teurer wird. Weitere Preistreiber waren Veränderungen in der Gesetzgebung und die Regularien des Programms, die Leistungen enthalten, die nicht auf der Rechnung der PwC-Experten standen.

VERGABEVERFAHREN

Bis zu 40.000 Euro können pro Titel bewilligt werden. Auf Antrag bei der FFA kann die Summe erhöht werden. Der Rechteinhaber muss ein Konzept zur kommerziellen Verwertung oder kuratorischen Nutzung des Films vorlegen. Auch Digitalisierungsvorhaben zur konservatorischen Rettung des Materials können gefördert werden. Für jede Säule des Programms steht ein Drittel der Gesamtsumme zur Verfügung. Zu allen Filmen müssen barrierefreie Fassungen hergestellt werden. Allein das schlägt mit 5.000 bis 8.000 Euro pro Langfilm zu Buche – ein Kostenfaktor, der nicht im PwC-Gutachten steht, weil die Regelung erst erlassen wurde, nachdem das Gutachten erstellt worden war. Auch der Fiskus legt Steine in den Weg: Fördergelder sind in Deutschland Nettobeträge, sie sind durchlaufende Posten. Institutionen wie die Stiftung Deutsche Kinemathek rechnen aber mit Bruttobeträgen. So kann es passieren, dass von der dritten Säule, den Millionen Euro für die Rettung von Filmmaterial, einige Hunderttausend direkt wieder in den Kassen der Finanzminister landen. Dass die Kosten für die Expertise von Experten nach den Regularien förderfähig sind, sollte selbstverständlich sein. Doch zusätzlich können die Rechteinhaber Handlungskosten pauschal ansetzen. Die Folge: 750.000 Euro fließen an die Antragsteller und fehlen letztlich für die eigentliche Digitalisierung. Auch auf der technischen Seite könnte man sich mehr Klarheit wünschen. Denn die DIN SPEC 15587 ist derzeit nichts weiter als eine Empfehlung und keine festgelegte Richtlinie, die befolgt werden muss. Sie hätte aber das Zeug dazu, meint Egbert Koppe, vormals technischer Leiter des Bundesfilmarchivs, denn sie setze einheitliche technische Standards, könne Verständigungs- und Verhandlungsgrundlage sein und letztlich die speziellen Voraussetzungen an die Qualität und Nachhaltigkeit einer Langzeitarchivierung und Präsentation definieren. „Im gesamten Digitalisierungs- und Aufbereitungsprozess müssen eindeutige Vorgaben an die einzuhaltenden konservatorischen Rahmenbedingungen definiert werden und deren Einhaltung muss bei der Durchführung überprüft werden“, erläutert Koppe seine Sichtweise.

EMPFEHLUNGEN

Die Arbeitsgruppe schlägt in drei Kapiteln einheitliche Regeln für den Umgang mit kinematografischen Filmmaterial, zum Digitalisierungsworkflow und zur Weiterverarbeitung der Digitalisate vor. Der erste Abschnitt setzt Maßstäbe für die fotochemische, also analoge Sicherung des Materials und für die Vorbereitung der Digitalisierung. Dort werden aber auch Mindestanforderungen an Klimatisierung während der Bearbeitung und den Transport des Materials festgelegt. Der zweite Abschnitt gibt Empfehlungen für die Auswahl der Digitalisierungsform nach dem Zustand des Ausgangsmaterials und der Notwendigkeit seiner Bearbeitung. Bezogen auf den gesamten Digitalisierungsprozess definiert die DIN die einzuhaltenden Parameter. Der letzte Teil der Empfehlung beschreibt die Möglichkeiten der weiteren Verarbeitung zur Archivierung oder Präsentation des Titels. Die Einrichtungen des Kinemathekenverbundes wollen ihre Digitalisierungsvorhaben an der DIN ausrichten. Das könnte dazu führen, dass künftig Digitalisierungen aus konservatorischen Gründen nach höheren technischen Standards ausgeführt werden als die zur Sichtbarmachung des Filmerbes in den anderen beiden Säulen. Das Staatsministerium für Kultur und Medien wiegelt diese Gefahr ab und verweist auf eine entsprechende Anfrage an die FFA als ausführende Institution für das Programm. Dort wollen die Verantwortlichen die ersten Erfahrungen abwarten, bevor sie sich dazu äußern. Doch es reicht das kleine Einmaleins, um schon jetzt vorauszusagen, dass aus der Jahrhundertaufgabe Digitalisierung des Filmerbes bei diesem Tempo eine Jahrtausendaufgabe wird. Zumindest eins ist klar: Eine Erhöhung der Mittel wird es vorerst nicht geben.

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