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Student Camera Award für Sergio Ruiz

Das Gewicht der Zeit

Auf dem Filmschoolfest Munich wurde der Regisseur und DoP Sergio Ruiz, Student der School of Film and Television in Bogotá, mit dem Student Camera Award für seine Arbeit bei „The Forgotten“ ausgezeichnet. Wir sprachen für unser Heft 1–2.2023 mit dem Preisträger.

DoP Sergio Ruiz und Regisseur Robert Brand Ordoñez bei den Dreharbeiten von "The Forgotten"
DoP Sergio Ruiz und Regisseur Robert Brand Ordoñez (Foto: Luis Niño)

Sergio Ruiz, Jahrgang 1996, studiert an der School of Film and Television in Bogotá. Er interessiert sich besonders dafür, Kunst und Technologie in gesellschaftliche Prozesse zu integrieren. Die Jury des Student Camera Awards beim Filmschoolfest Munich bemerkte zu seiner Kameraarbeit bei „The Forgotten“, Filme, deren Handlung auf Metaphern aufbauten, gingen immer ein großes Risiko ein und führten weiter aus: „Der Kameramann dieses Films verfolgt einen sehr frischen Ansatz, seine Bildkompositionen unterstreichen die Vision des Autors. Er folgt den Vorstellungen des Regisseurs mit sehr zurückhaltenden und kreativen Mitteln.“

Herzlichen Glückwunsch für den Student Camera Award beim Filmschoolfest Munich 2022! Leider konntest du den Preis nicht selbst entgegennehmen. Wie war es für dich zu erfahren, dass du den Award bekommen hast?
Ich sehe den Student Camera Award als eine Auszeichnung für die gesamte Crew, deren harte Arbeit auf diesem Weg sichtbar und anerkannt wird. Dabei geht es nicht um Prestige, sondern auch um eine Gelegenheit, unser Land Kolumbien und seine Geschichte zu zeigen, eine Nation, die wir von nun an ohne Angst aufbauen wollen, mit der Hoffnung, dass die Kunst, welche die Kolumbianer auf diesem Weg schaffen, das Leben im Land mit seiner unseligen Vergangenheit voller Gewalt verändern kann. Ein Land, in dem Raum ist für die Leidenschaft für das Leben, Diskussionen und für Musik, Poesie, Theater, Malerei – und natürlich Filme!

Was war dein visuelles Konzept für „The Forgotten“?
Als ich zum ersten Mal das Drehbuch von „The Forgotten“ gelesen habe, erschien es mir wie eine Poesie aus Klängen und tiefen menschlichen Gefühlen. Ein alter Vater, ein Leichnam, der gerne verstünde, warum er tot ist und der Geist einer Mutter kreuzen in einem verlassenen Haus ihre Wege. Der Regisseur Robert Brand Ordoñez bat mich, an seinem Projekt mitzuwirken und bereits als wir anfingen, über die visuelle Umsetzung zu diskutieren, war die Idee, die er in diesem Film ausdrücken wollte, absolut klar. Es sollte ein Film werden, in dem wir das Gewicht der Zeit und die Entfernung zwischen der Kamera und der Hauptfigur spüren können und der uns in die grauen und symbolträchtigen Objekte eintauchen lässt, die jene Hauptfigur umgeben.

Auch die Kameraarbeit braucht eine Entwicklung wie die Hauptfigur. Sie beginnt mit einem naturalistischen Blick auf eine gewöhnliche Welt, doch wenn die Geschichte voranschreitet und als ein wirklich surreales Ereignis eine Leiche ins Leben zurückkehrt, wird auch die Kamera freier, indem sie Schwenks und POV-Aufnahmen einsetzt. Beim Licht schaffen das Grau des Nebels am Tag und die Kerzenlichter bei Nacht eine bewusst einfache Atmosphäre, in der die Charaktere ihre Gefühle und Ängste nicht nur über das Licht, sondern auch – und noch wichtiger – durch die Schatten zum Ausdruck bringen.

Was waren die technischen Herausforderungen und welche Ausrüstung hast du eingesetzt?
Die Dreharbeiten waren eine echte Herausforderung! Wir haben in Policarpa, einem kleinen Dorf weit weg von jeder Infrastruktur gedreht. Die Arbeitsbedingungen dort waren hart, besonders in Hinsicht auf die Logistik, aber die Landschaft dort war genau die richtige Location für die Atmosphäre des Films. Das Haus wurde eigens für die Dreharbeiten gebaut, so dass wir die Position der Fenster, Türen und des Interieurs im Vorfeld genau festlegen und so jede Einstellung aus dem richtigen Winkel mit dem richtigen Licht drehen konnten. Die Lage des Dorfs und hier besonders die große Höhe hat uns aber auch Probleme bereitet. Nachts gibt es dort nämlich viel Kondensation, die für unser Kamera- und Lichtequipment natürlich gefährlich war.

Wir hatten uns dazu entschlossen, das Kameradepartment personell klein zu halten, um eine Umgebung am Filmset zu schaffen, in der der Regisseur einen engen und intimen Dialog mit den Schauspielern führen konnte. Aber die rauen Bedingungen haben allen zu schaffen gemacht. Das Tagespensum war immer hoch und die Zeit lief ständig gegen uns. Deshalb hatten wir entschieden, weniger Einstellungen zu drehen, aber in diese wenigen Einstellungen möglichst viel Zeit und Mühe zu investieren.

Dafür haben wir ein leichtes und kompaktes Kameraequipment eingesetzt, dass aber trotzdem eine maximale Bildqualität liefern konnte. Wir haben uns für die Blackmagic Pocket 4.6K Cinema Camera mit den Sigma-Foto-Objekti- ven 18-35 mm und 50 mm entschieden, die in Kombination mit dem Tiffen Glimmerglass ein weiches und angenehmes Bild lieferten. Als B-Cam haben wir eine Panasonic GH5 eingesetzt. Die Kameraausrüstung wurde von „DW Producciones“ und „4:00AM Films“ zur Verfügung gestellt, die uns das Equipment trotz der schwierigen äußeren Bedingungen anver- traut haben. Bei der Lichtausrüstung haben wir Aputure 300D- und 600X-Leuchten eingesetzt, die gut zu transportieren und gleichzeitig lichtstark waren. Ergänzt haben wir sie mit Nanlite Pavotubes, die mit Akkus betrieben werden können. Das war besonders wichtig, weil das lokale Stromnetz nur wenige Lampen und Ladegeräte für die Akkus verkraftete.

Robert Brand Ordoñez, hier neben Jurymitglied Mira Fornay, nahm den Student Camera Award stellvertretend für Sergio Ruiz von „Film & TV Kamera“-Chefredakteur Uwe Agnes entgegen.
Robert Brand Ordoñez, hier neben Jurymitglied Mira Fornay, nahm den Student Camera Award stellvertretend für Sergio Ruiz von „Film & TV Kamera“-Chefredakteur Uwe Agnes entgegen. (Foto: Filmschoolfest Munich / Ronny Heine)

Wie lief der kreative Dialog zwischen Regisseur und DoP?
„The Forgotten“ entstand 2021 während der Covid-19- Pandemie und des Generalstreiks in Kolumbien, außerdem lebten Robert und ich zu der Zeit in verschiedenen Städten. Deshalb war die Vorbereitung und Planung nur in virtuellen Meetings möglich. Wir haben bei diesem Projekt zum ersten Mal zusammengearbeitet und lange Gespräche über Filme, Bilder, Fotografien und Musik geführt, die uns bei dieser Geschichte inspiriert haben. Für diese kreativen Prozesse haben wir die Miro-Plattform eingesetzt, wo wir alle unsere Ideen, Fragen und Materialien hochgeladen haben. Besonders inspiriert haben uns die Filme von Apichatpong Weerasethakul, aber auch „Manta Ray“ von Phuttiphong Aroonpheng.

In unseren virtuellen Treffen haben wir dann das Drehbuch Wort für Wort untersucht, um für jeden Satz die richtige Einstellung, das richtige Licht und die richtige Farbstimmung zu finden und dann die einzelnen Einstellungen in Beziehung zu den Metaphern gesetzt, die Robert vorschwebten. Diese Arbeit mit dem Drehbuch haben wir dann in einem Storyboard konsolidiert. Das mussten wir zwar teilweise überarbeiten, als wir dann tatsächlich an den Drehort kamen, aber weil wir genau wussten, warum wir dieses oder jenes Objektiv einsetzen wollten oder ob wir morgens oder nachmittags drehen wollten, hat das die ästhetische Umsetzung nicht mehr beeinflusst.

Dass „The Forgotten“ mit dem Student Camera ausgezeichnet wurde, ist auch eine Anerkennung für das gesamte Kameradepartment aus Karen Alvarez und Diawin Zalabata sowie Nicolas Rocha, Ximena Lonoño, Sol Matusyama im Licht-Team, Alejando Mortigo für das Color Grading, Luis Niño für die zweite Kamera Support Camera und für Art Director Luna Pinzon und ihr Kreativteam Julian Alvarez und Juliana Uribe. Sie alle haben gemeinsam mit ihrem Talent zu diesem Kurzfilm beigetragen, von dem wir hoffen, dass er uns von einer Kunst träumen lässt, die ein Land verändern kann. [15291]

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