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Faire Arbeitsbedingungen beim Schnitt von Dokumentarfilmen

Dok:Schnitt:Zukunft

Beim Branchentreff Dokville stellte der Berufsverband BFS eine Untersuchung zu den Arbeitsbedingungen beim Schnitt von Dokumentarfilmen vor. Über die teils gravierenden Ergebnisse diskutierten anschließend Repräsentanten der Gewerke Regie, Produktion und Schnitt sowie der Förderer und Sender.

Foto: Günther Ahner / Haus des Dokumentarfilms

Es ist paradox: Eigentlich waren gute Dokumentarfilme noch nie so essenziell wie heute, im Zeitalter der Überflutung mit Desinformation. Doch trotz seiner hohen gesellschaftlichen Relevanz ist der lange Dokumentarfilm nach wie vor eher ein Stiefkind der Sender und Förderanstalten. Zu geringe Budgets führen zu unangemessen niedrigen Vergütungen der beteiligten Gewerke, zu improvisierten oder selbstausbeuterischen Arbeitsabläufen und zu Filmen, die nicht die Qualität haben, die ihr Thema verdient hätte. Filmeditor:innen, die überwiegend oder ausschließlich Dokumentarfilme schneiden, spüren schon seit Jahren, dass sich die Arbeitsbedingungen immer weiter verschlechtern. Hierzu wollte die Arbeitsgruppe „Dok:Schnitt:Zukunft“ des Bundesverband Filmschnitt Editor e.V. (BFS) belastbare Zahlen erheben. Für unsere im Mai 2021 veröffentlichten Untersuchung machten über 170 Editor:innen Angaben zu 250 langen unformatierten Dokumentarfilmen, die in den letzten fünf Jahren Premiere hatten. Die Auswertung zeigt deutlich, wie Budget, Schnittzeit, Qualität und Erfolg der Filme miteinander in Beziehung stehen.

Wohl bei keiner anderen Filmgattung spielt die Montage eine so große eigengestalterische Rolle wie beim langen unformatierten Dokumentarfilm. Denn hier gibt kein Drehbuch vor, wie die Struktur und Dramaturgie aussehen wird. Beides entsteht maßgeblich erst im Schneideraum, aus oftmals hunderten Stunden Rohmaterial. Auch welche Protagonisten die filmische Erzählung am besten tragen können, und welche Haltung der Film im Umgang mit ihnen und seinen Themen einnimmt, entscheidet sich endgültig erst durch den Schnittprozess. Die Montage eines unformatierten Dokumentarfilms ist also eine Suche mit offenem Ausgang – das macht sie so reizvoll, aber auch so aufwendig.

Carl Bergengrün und Anne Fabini beim Dokville-Panel (Foto: Günther Ahner / Haus des Dokumentarfilms)

Leider reflektieren die derzeit branchenüblichen Arbeitsbedingungen nicht diese besondere Verantwortung, welche Editor:innen für die Qualität von Dokumentarfilmen tragen. Das zeigt sich in der Untersuchung insbesondere bei den Schnittzeiten, für die in vielen Kalkulationen bloß 12 bis 16 Wochen eingeplant sind. Die Untersuchung belegt aber, dass in der Realität durchschnittlich 27 Wochen benötigt werden. Bei erfolgreichen Filmen, die bedeutende Preise gewinnen oder erfreuliche Kinozuschauerzahlen haben, sind es sogar durchschnittlich 31 Wochen. Erfolgreiche Filme in der Unter- suchung hatten auch wenig erstaunlich ein wesentlich höheres Budget.

Während auf Lohnsteuer Arbeitende annähernd nach Tarif bezahlt wurden, zeigte sich bei den Rechnungsstellern – das waren 90 Prozent der Befragten – eine Durchschnittsgage deutlich unter Tarif. Ein Drittel von ihnen bekam sogar nur eine Pauschale für die gesamte Schnittzeit, was ihre effektive Tagesgage auf knapp unter 100 Euro drückte. Über Mindesttarif braucht man da nicht mehr reden. Das ist kaum mehr als der gesetzliche Mindestlohn! Besonders überraschend: Bei öffentlich geförderten Filmen erhielten nur gut 6 Prozent der Befragten eine Gage auf Tarifniveau oder höher. Bei Filmen ohne öffentliche Finanzierung waren es immerhin 15 Prozent.

Sparen an der Assistenz

Auch beim Thema Schnittassistenz offenbarte sich die Tendenz, an der falschen Stelle zu sparen: Nur bei 8 Prozent der Filme war die ganze Zeit eine Schnittassistenz vorhanden und bei über 40 Prozent fehlte sie komplett. Hier zahlen Produzent:innen eigentlich drauf, denn im Ergebnis muss die nötige Assistenz-Arbeit von den Editor:innen selbst erledigt werden, die dadurch von ihrer eigentlichen Aufgabe abgehalten werden. Das ist schlicht ineffizient. Zudem zeigt die Untersuchung, dass Filme mit adäquat aufbereitetem Material deutlich häufiger erfolgreich ausgewertet werden konnten.

Melanie Andernach (li.) und Grit Lemke (Foto: Günther Ahner / Haus des Dokumentarfilms)

Mit diesen und weiteren Ergebnissen der Untersuchung wollen wir nun an die Entscheidungsträger in der Branche herantreten, und möglichst viele Verbündete für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen finden. Wir fordern unter anderem separate Fördertöpfe speziell für die Postproduktion, auch von bereits geförderten Filmen, so wie es sie in Dänemark oder der Schweiz bereits gibt. Und wir fordern vor allem mehr Kalkulationsrealismus, der angemessene Schnittzeiten, Gagen und Materialaufbereitung berücksichtigt, und bessere Standards und mehr Transparenz für alle Beteiligten erreicht. Uns ist dabei sehr bewusst, dass auch andere Gewerke im Dokumenarfilmbereich, allen voran die Regie, unter prekären Bedingungen zu leiden haben. Es geht uns also nicht um eine Umverteilungsdiskussion, sondern der viel zu kleine Budget-Kuchen muss für alle wachsen.

Panel bei Dokville

Beim diesjährigen Branchentreff Dokville in Stuttgart stellte die Kuratorin Astrid Beyer ein hochkarätig besetztes Panel zusammen, um über die Ergebnisse und mögliche Konsequenzen aus der BFS-Untersuchung zu diskutieren. Pandemiebedingt waren die meisten Panelteilnehmer zwar vor Ort, das Publikum jedoch per Livestream zugeschaltet. Alle Branchenbereiche, mit denen wir in den Dialog treten wollen, waren repräsentiert: Für die Filmförderungen kam Prof. Carl Bergengruen, Geschäftsleiter der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), der sich seit Jahren für sozial nachhaltige Förderkriterien einsetzt. Petra Felber, Leiterin der Redaktion Dokumentarfilm beim Bayrischen Rundfunk, vertrat die Perspektive der TV-Sender. Die Produzentin Melanie Andernach, der Regisseur und AG DOK-Vorsitzende David Bernet sowie die Editorin Anne Fabini waren die Filmschaffenden auf dem Panel. Auch die Moderatorin Grit Lemke steckt als Dokumentarfilmregisseurin und ehemalige Leiterin von DOK Leipzig tief im Thema drin.

Die Zahlen aus der Untersuchung fand die Produzentin Melanie Andernach „sehr aussagekräftig, zum Teil auch erschreckend.“ Grit Lemke fragte sie, wie es ihr bei der Budgetplanung gelinge, Gerechtigkeit im Team herzustellen. Andernach betonte, dass sei jedes Mal ein Jonglieren. Was kann man realistisch mit dem Budget erreichen? Und wie verteilt man das? Sie kalkuliert bei ihren Kinodokumentarfilmen in der Regel 25 Wochen Schnittzeit und eine Schnittassistenz, weil auch sie festgestellt hat, „dass es dadurch billiger wird.“ Ihre Produktionsfirma bekommt bei manchen Projekten am wenigsten ab und sie geht als Produzentin ins Risiko, was sie hofft, mit Erlösen ausgleichen zu können. Dass ausgerechnet bei mit öffentlichen Geldern geförderten Projekten nur 6 Prozent der auf Rechnung arbeitenden Editor:innen Tarifgage bekamen, konnte sich die Redakteurin Petra Felber zunächst nicht erklären. Sie betonte, dass es in der ARD für Eigenproduktionen und Auftragsproduktionen Eckpunkte gibt, die eigentlich eine Tarifzahlung vorgeben. „Ich wüsste gerne, wie es zu dieser öffentlich-rechtlichen Schieflage kommt.“ Anhand eines konkreten Falls kam Felber von selbst drauf, dass das Problem wahrscheinlich die geplanten Schnittzeiten sind: „Ich hab heute kurz in Kalkulationen nachgeschaut, was da im Einzelnen kalkuliert war. Und das sind Tarifgagen.“ Aber in einer Kalkulation von einem großen Dokumentarfilm standen nur 12 Wochen Schnittzeit – „wo dann vermutlich beim fertigen Film rauskommt, dass das weit unter dem liegt, was tatsächlich an Zeit verwendet wurde.“

Sehenden Auges ins Verderben

Carl Bergengruen bestätigte die Erkenntnis, dass bei öffentlich finanzierten Projekten häufig unter Tarif bezahlt wird und führte dies unter anderem auf unterfinanzierte Nachwuchs-Produktionen zurück, wo viel guter Wille da ist, „auch der Wille zur Selbstausbeutung, aber es nicht reicht, um nach Tarif zu zahlen.“ Seine Filmförderung MFG habe deshalb das Kriterium der sozialen Nachhaltigkeit eingeführt. Ein Herstellungsleiter überprüft jede Einreichung: Wird nach Tarif bezahlt, ist die Kalkulation realistisch? Produktionsfirmen und Sender werden dann gegebenenfalls aufgefordert nachzubessern. Die Förderjury entscheidet auf der Basis dieser Analyse.

Dietmar Kraus, Vorstandsmitglied beim BFS, stellte die Studie zu den Arbeitsbedingungen im Dokumentarfilm-Schnitt vor. (Foto: Günther Ahner / Haus des Dokumentarfilms)

Anne Fabini, Editorin des Oscar-nominierten Dokumentarfilms „Of Fathers And Sons“, meinte, sie habe nach jenem Erfolg mehrere Anfragen aus dem Ausland bekommen. Keine ging von einer Schnittzeit unter acht Monate aus, sondern eher in Richtung eines Jahres. An dem brasilianischen Film „The Edge of Democracy“, der 2020 für den Oscar nominiert war, hätten zahlreiche Editor:innen insgesamt drei Jahre gearbeitet. Die Erkentnis: Gute Dokumentarfilme werden wirklich im Schnitt gemacht; dort erst entsteht die kohärente Erzählung, die den Zuschauer mitnimmt und ein großes Publikum erreichen kann.

Petra Felber antwortete auf die Frage, wie ihre Redaktion mit unrealistisch kalkulierten Schnittzeiten umgeht: „Letztendlich ist es immer ein Nach-der-Decke-strecken. Was können wir als maximales Budget einbringen? Das hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel dem Sendeplatz.“ Und dann sei es am Ende oft so: Alle wollen das Projekt und dann wird es eben gemacht. Diese Entscheidung liege sehr stark bei der Produktion, die dann vielleicht Rückstellungen verwendet, oder die Überschreitungs-Reserve ausschöpft. „Man geht also eigentlich sehenden Auges in die Katastrophe“, kommentierte dazu Grit Lemke.

David Bernet sagte, er ziehe es als Regisseur vor, lieber weniger Filme zu machen, aber dafür mit höheren Budgets. Auch seiner Erfahrung nach gibt es eine Korrelation zwischen einem größeren Aufwand bei Stoffentwicklung und Postproduktion und dem Erfolg der Filme. Die Untersuchung des BFS findet er hervorragend, weil sie helfe, die Grundlagen neu zu diskutieren. „Dokumentarfilm ist eine Kunstform. Sie basiert auf kreativen Prozessen, die nicht durchplanbar sind.“ Dauern diese Prozesse länger als geplant, käme es oft zu einer „Entprofessionalisierung“, also dazu, dass die Filmschaffenden nicht professionell bezahlt werden könnten.

Ein weiteres Problem sieht Bernet in einem Dogma, das grundsätzlich die deutsche Förderlandschaft prägt und für den Dokumentarfilm ein besonderes Hindernis darstellt: „Budgets werden geschlossen, bevor überhaupt der erste Drehtag stattgefunden hat.“ Bernet plädierte für eine offene Diskussion mit Sendern und Förderern, um mehr Flexibilität zu erreichen: „Wie kann man die Förderung so strukturieren, dass sie die unterschiedlichen Prozesse stimuliert und nicht abklemmt? Wie verhindert man, dass Filme nicht fertiggeschnitten werden, weil kein Geld mehr da ist?“ Hierfür wäre eine gezielte Postproduktionsförderung wichtig, die auch von Filmen genutzt werden kann, die bereits Förderung erhalten haben. Das sei mit derzeitigem EU- Recht nicht vereinbar, entgegnete Carl Bergengruen: „Man müsste das ganze Förderwesen revolutionieren und auch erst in Brüssel beantragen, dass das geändert wird.“ Anne Fabini war sofort Feuer und Flamme: „Da bin ich unter den Revolutionären; ich geh auch mit nach Brüssel!“

Kampf um Anteile

Grit Lemke befragte Petra Felber zu dem vom BR mitfinanzierten Dokumentarfilm „Walchensee forever“, der insgesamt etwa 11 Monate Schnittzeit hatte. Wie sei bei solchen Projekten ihre Stellung innerhalb des Senders? Könne sie höhere Budgets durchkämpfen? Felber sah für sich wenig Gestaltungsmöglichkeiten, da die Budgets fest an Sendeplätze gebunden seien. In dem konkreten Fall habe die Editorin Anja Pohl den Film zum eigenen Baby gemacht: „Also ich glaube nicht, dass sie jede Stunde, jeden Tag, jede Woche notiert hat, die sie in das Projekt gesteckt hat.“ Der Film sei tatsächlich nicht so gut finanziert gewesen, wie man es gerne gehabt hätte.

Die Sender-Etats für Dokumentarfilme seien seit vielen Jahren nicht erhöht worden, ergänzte Felber. Stattdessen kämpfe man in den Redaktionen um den Erhalt der Senderanteile für Kino-Dokumentarfilme, die immer wieder in Frage gestellt würden. Chancen für eine Besserung sieht Felber vor allem in neuen Vertriebswegen wie den Mediatheken, weil man durch sie nicht mehr nur auf zehn bis zwölf Sendeplätze angewiesen sei. [14775]


Hier geht es zur Untersuchung und zum Forderungspapier des BFS!


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