Die DoPs Pat Aldinger und Tim Kuhn über Stereo-Rig-Einsätze für Bildeffekte
Optischer Spieltrieb
von Timo Landsiedel,
Stereoskopisch drehen nur noch Verrückte und Ang Lee. Aber was wäre, wenn man die Bildachsen gar nicht verschiebt, sondern anderen Unsinn mit den Kameras im Stereo-Rig anstellt? Die DoPs Pat Aldinger und Tim Kuhn haben bei zwei Projekten Stereo-Rigs zur Aufzeichnung zweier Bilderstreams mit unterschiedlichen Framerates genutzt. Die beiden DoPs haben für unser Heft 3.2024 erzählt, warum es den ihnen wichtig ist, diesen Effekt optisch am Set zu realisieren und wie sie das irre Setup bewältigt haben.
Wer sich 50 Kilo vor die Brust hängt, muss schon sehr genau wissen, warum er das tut, vor allem, wenn er dabei noch visuell kreativ sein möchte. Doch können diese 50 Kilo in der Tat sehr viel mit visueller Kreativität zu tun haben. So sehen es zumindest die beiden DoPs Pat Aldinger und Tim Kuhn. Pat Aldinger ist versierter Commercial-DoP und wird gerne für äußerst bildgewaltige und gestaltungsstarke Projekte gebucht, wie die G-Star-Raw-Kampagne „New Perspectives“. DoP Tim Kuhn gewann 2023 den deutschen Kamerapreis für die Amazon-Prime-Serie „Luden“, drehte zuvor fürs Kino „Jupiter“ und macht sich gern und oft Gedanken, wie man bewährte Technologien mal anders einsetzen könnte. Das geschah beim „Polizeiruf 110 – Sabine“, für den er den Sensor der ARRI ALEXA Mini mitsamt Kamerabody auf die Seite kippte.
Inspiration
Jetzt haben die beiden DoPs das Stereo-Rig wiederentdeckt. Dieser einst zum Drehen stereoskopischer Filme entwickelte Apparat hat in den letzten Jahren wenig Screentime gefunden. Der Grund ist einfach: Für kleine und mittlere Produktionen lohnt es sich nicht, stereoskopisch zu drehen. Zu hoch sind technischer und vor allem zeitlicher Aufwand. Große Produktionen drehen auch nicht mehr stereoskopisch, sondern lassen die mittlerweile exzellente 3D-Umwandlung im Nachhinein ins Bild rechnen.
Zur Erinnerung: In einem Stereo-Rig sitzen zwei Kameras im 90-Grad-Winkel übereinander. Herzstück der Beam-Splitter-Stereo-Rigs ist ein Kompendium, in dem ein One-Way- Spiegel sitzt. Die eine Kamera schießt durch ihn hindurch, die andere, darüber oder darunter gesetzt, zeichnet das Geschehen vor dem Rig über den Spiegel auf. Die Konstruktion ist so gedacht, dass die beiden Kameras in ihrer Achse hochpräzise gegeneinander versetzt werden können und so die gewünschte Stereobasis für eine stereoskopische Wahrnehmung der beiden aufgezeichneten Bilderstreams erreichen können. Doch die beiden DoPs wollten gar kein 3D.
Es begann wie so oft mit einem Kinobesuch. Pat Aldinger sah sich Jordan Peeles „Nope“ an und beschäftigte sich danach mit der Kameraarbeit von DoP Hoyte van Hoytema bei diesem Film. Dabei sah ein Making-of-Foto mit Beam-Splitter-Stereo-Rig. Hoytema hatte das Rig dazu eingesetzt, Day-for-Night-Sequenzen aufzuzeichnen. Die gleiche Technik hatte er zuvor schon bei „Ad Astra“ verwendet. Beide Filme hatten Sequenzen mit großen Sets, die unmöglich auf Nacht zu leuchten waren. Bei „Ad Astra“ setzte Hoytema für die Verfolgungsjagd mit den Piraten auf dem Mond ein 3Ality Technica Quasar 3D-Rig ein. Darin waren zwei völlig unterschiedliche Kamerasysteme übereinander montiert. Das eine war eine 4-perf Arriflex 435, die auf Kodak 250D 5207 aufzeichnete. Die zweite Kamera war eine ARRI ALEXA XT mit Infrarot-Modifikation. Der Drehort in der Mojave-Wüste in Kalifornien brachte genug Mondtextur durch den Sand und vor allem hartes Sonnenlicht mit. Das Filmmaterial wurde nach der Entwicklung und Digitalisierung in der Postproduktion mit dem Infrarot-Material zusammen- gebracht. Auf dem IR-Material erschein der blaue Himmel dunkel, wurde im Grading schwarz gedreht. Auch die Farbe des Sandes und alle weiteren Farben konnten gut kontrolliert werden. Auch bei „Nope“ kombinierte Hoytema digitales Infrarot-Material und Film für die Nachtsequenzen, die so hartes Mondlicht erzählten, aber dunkel genug waren. Aldinger hatte beim Anblick des Stereo-Rigs die Idee, hier unterschiedliche Bildraten einzusetzen.
Briefings
Auf diese Idee kam DoP Pat Aldinger zurück, als er für das Musikvideo „Can‘t Tame Her“ von Zara Larsson nach etwas Besonderen für das Konzept des französischen Regieduos Global suchte, die Zara Larsson im Video auf eine düstere Version von sich selbst treffen lassen wollten. „Wenn man wie Hoytema zwei unterschiedliche Bilder in einem Rig drehen kann, dann ja auch zwei unterschiedliche Framerates“, so der DoP. „Man generiert ja zweimal das gleiche Bild, mit nur einem Unterschied, mit dem man in der Post kreativ arbeiten kann.“ Er setzte sich mit Stereotec und deren Chef und Stereograph Florian Maier in Verbindung. Maier konstruiert seit 1997 aus dem bayerischen Landsberied heraus Innovationen im Bereich Stereo-Rigs und unterstützte Aldinger und später auch Tim Kuhn. „Man hat gemerkt, man hat hier einen Partner, mit dem man sehr viel diskutieren kann“, so Tim Kuhn, „und die wie ich fand, das Projekt total gefördert haben. Die haben da voll Bock drauf gehabt.“
Stereotec schickte mit dem Rig zu beiden Drehs einen Spezialisten mit, der beiden DoPs mit Rat und Tat zur Seite stand. „Die Szene war, dass Zara und ihr Alter Ego in einem choreografierten Tanz sich immer näher kommen und sich dabei im Uhrzeigersinn drehen. Die Kamera wurde dann an einem rotierenden Rig befestigt, um gegen den Uhrzeigersinn zu fliegen. Zara und ihr Alter Ego wurden in 25 Frames, und der Hintergrund mit 2 Frames aufgenommen, damit alles um die beiden herum verwischt – aber ohne einen digitalen Effekt“, erkärt Aldinger.
DoP Tim Kuhn drehte 2023 die für die zweite Jahreshälfte 2024 angekündigte Serie „Krank (AT)“. Hier suchte er nach einem neuen, visuellen Mittel für eine Ketamin-Drogensequenz. Die fungiert als Eröffnungssequenz der ersten Folge und damit auch der Serie. Es sollte also etwas Ungewohntes sein, das sofort stark immersiv wirkt und die Zuschauer packt. Im Drehbuch stand, dass die Wahrnehmung sich wie „unter Wasser“ anfühlen solle. Ursprünglich wollte Kuhn diesen Effekt mithilfe von Step-Printing erzielen. Bei der Recherche und Test zu diesem Effekt erinnerte er sich auch an van Hoytema und die schwarzen Himmel in „Ad Astra“. Die Idee, zwei Bilder mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu kombinieren, führte ihn dann zu Pat Aldinger.
Technik
Beide DoPs waren sich im Klaren darüber, dass sie das Setup testen mussten. Bei beiden Produktionen war dafür ganz klassisch nur wenig Zeit. Für Pat Aldingers Musikvideo standen gerade zwei Drehtage zur Verfügung. Also wurde der Packtag auch zum Testtag. Der Kameramann wählte zwei ALEXA Mini und setzte diese in das Light-Weight-Rig von Stereotec. Der DoP ist für seinen sehr weitwinkligen Kamerastil bekannt und dreht deshalb nur selten mit Brennweiten über 28 mm. Zudem ließ die Spiegelbox durch ihre kompakte Größe nur Optiken bis zu einer gewissen Größe zu. Deshalb entschied er sich für ARRI/ZEISS Ultra Primes, weil diese leicht und kompakt sind und eine weite Range abdecken. „Also haben wir alles zwischen 16 mm, 24 mm und 28 mm gedreht.“ Der Aufbau der Kameras mit Objektiven in das Stereotec-Rig bezeichnet Pat Aldinger als sehr organisch umsetzbar. Dann begann der kurze, aber intensive Experimentierprozess zwischen den Bildraten. Es waren Kombinationen darunter von 50 fps und 3 fps, 50 fps und 6 fps, dann 25 fps und 2 fps. Außerdem musste er ausprobieren, wie die Kamera möglichst abgespeckt geriggt werden konnte, um die anfänglich rund 40 Kilogramm auf der Schulter des DoP etwas zu reduzieren.
DoP Tim Kuhn hatte zwar etwas mehr Testzeit, hätte hier aber auch mehr Zeit vertragen können. Auch er nutzte im Rig zwei ARRI ALEXA Minis sowie Ultra Primes. „Die sind klein, leicht und die sind auch sehr gut matchbar“, so Kuhn. Bei der Wahl der Brennweite ging der DoP auf 21 mm, wäre aber fast bei einem 35er gelandet. Grund war, dass der Schliereneffekt des Step-Printings stärker ist, je länger die Brennweite ist. Das konnten beide DoPs jedoch durch schnellere Bewegungen ausgleichen, die den Effekt verstärken.
Kuhn schickte seinen ersten Test an das Posthaus, bat um Rotoscoping der Figur aus dem 25 fps-Bild in das Bild aus der 3-fps-Umwelt und rechnete mit Wartezeit. In kürzester Zeit bekam er ein erstes, aber schon ansehnliches Ergebnis mit dem Hinweis: „Das macht jetzt die KI.“ Ganz ohne Postproduktion lassen sich die beiden Streams auf keinen Fall kombinieren, ohne Nachbearbeitung in der VFX geht es nicht. [15414]