Seine Arbeit findet nicht am Set statt, hat aber starken Einfluss darauf: Tim Garde coacht Schauspielerinnen und Schauspieler. Die kommen zu ihm, um sich auf ein Casting oder auf die Rolle vorzubereiten. Wir fragten Garde in unserem Heft 9.2021, welche Techniken er anwendet und warum es sich auszahlt, dass er selbst schon hinter der Kamera stand.
Es muss eine Menge geschehen, bevor das höflich-deutsche „Und bitte!“ über das Set schallen darf. Hier im Heft konzentrieren wir uns sehr häufig auf die technische Seite dieser Vorbereitungen. Wo steht das Licht und welches Licht steht dort? Wo steht die Kamera, worauf steht sie – Dolly, Steadicam, Stativ oder Gimbal? Und natürlich wie viele Pixel gruppieren sich auf dem Sensor in welchem Seitenverhältnis?
Dynamische Figuren
Trotz aller Diskussion über „Hauttöne“ kommt manchmal etwas kurz, worauf das Licht und auch die Kamera in der maßgeblichen Anzahl der Fälle eigentlich gerichtet ist: Die Gesichter der Schauspielerinnen und Schauspieler. Die müssen bei all der präsenten Technik nämlich bei obigem Kommando plötzlich von Null auf 100 sein und abliefern. Das ist auch für Vollprofis mit jahrzehntelanger Erfahrung oft eine Herausforderung.
Schauspielcoach Tim Garde unterstützt sie dabei, auf diesen Punkt hin zu arbeiten, ohne die Energie oder die Figur dabei zu verlieren und dabei wiederholbare Ergebnisse zu liefern, die authentisch sind. „Wir fragen da immer nach dem Szenenziel: Was braucht die Figur in diesem Moment vom Gegenüber?“, fasst Tim Garde seinen Ansatz zusammen. „Um dann Spiel-Entscheidungen zu finden, die nicht nur ein authentisches Abbild von Leben sind, sondern auch etwas außergewöhnlicher sind und damit interessanter.“ Ihm geht es vor allem darum, dynamische Figuren anzulegen, denn die Dynamik lässt sich, wenn gewünscht, auch wieder zurücknehmen. Umgekehrt in eine statisch angelegte Figur Bewegung hineinzubringen, gelingt jedoch selten authentisch.
Tim Garde startete zunächst mit einem Musik- und Germanistikstudium an der Universität Bremen. Er wechselte an die Hochschule für Musik und Theater in Hannover und absolvierte hier eine klassische Ausbildung zum Schauspieler. Nach einem Festengagement am Staatstheater bildete er sich selbst weiter. Das geschah über Workshops und Sommerakademien des ZDF bei Filmemachern wie Dominik Graf oder Nico Hofmann sowie DoPs wie Michael Hammon oder Judith Kaufmann. Garde startete dann mit eigenen Kurzdokus und Kurzfilmen, zuletzt lief der 30-Minüter „Cord“ aus seiner Feder und unter seiner Regie auf dem Max-Ophüls-Preis 2020. Die Erfahrung als Autor und Regisseur ist für Garde in seiner Coachingarbeit sehr wichtig, weil er weiß, was sich die Regie von Schauspielern wünscht. Schon immer hatte Garde Schauspielschüler ausgebildet und beim Rollenstudium unterstützt. Dann lernte er eine Methode aus den USA kennen. Die Schauspieltrainerin Ivana Chubbuck hatte eine sehr klare, unmittelbare und dennoch am Set sehr flexible, den Bedürfnissen der Regie anpassbare Methode für Schauspieler entwickelt. „Das hat mich so geflasht, dass ich Lust hatte, anders an Szenen ranzugehen und ich merkte sofort, was das bewirkte“, sagt Tim Garde. Mittlerweile lehrt Garde „Camera-Acting“ an der Hochschule Hannover, an der Filmuni in Potsdam Babelsberg sowie an verschiedenen anderen Hochschulen im deutschsprachigen Raum.
Die Handlung vorantreiben
Zu Garde kommt oft, wer entweder wenig Zeit hat oder einfach intensiver an der Figur arbeiten will. Oft ist dies im hektischen TV-Alltag nicht von der Produktion aus möglich. Als Coach bringt Garde hier eine große Offenheit dem Drehbuch gegenüber mit und eine hohe Sachlichkeit gegenüber der Figur. „Wir gucken uns ganz genau die Figuren an und denken uns nicht zu schnell etwas aus“, so Garde. Das Ziel des Coachings ist nicht, die Arbeit des Regisseurs vorwegzunehmen. Das Ziel ist es, mit einer emotionale Steilvorlage – wie Garde sagt – für die Regie ans Set zurückzugehen. Garde arbeitet zusammen mit seinen Schützlingen heraus: „Was ist hier los mit der Figur?“ Dazu gehören deren Antriebe, Ziele, Ängste. Dafür bringt Garde auch eine gehörige Portion Empathie mit, so dass er erfühlen und einschätzen kann, was die Darsteller in sich mitbringen, woran sich für die Figur andocken lässt. „Wie schaffen wir es, dass die Figur am Ende eine Fusion ist, aus dir als Mensch und der Figur – und das noch im Sinne des Buches und der Regie“, so TimGarde. Die besondere Technik dahinter beschreibt Garde so, dass er versucht, die Situationen möglichst immer so zu deuten, dass die Figur aktiv wird und ihr Dinge nicht widerfahren, sondern, dass sie diese auslöst. Jede Figur soll die Handlung voran treiben und nicht deren „Opfer“ werden. Das gilt auch für Nebenfiguren oder kleinere Rollen. [14777]