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Filmschaffende der Medienwerkstatt Franken e. V. im Interview

Vielfalt als Identität

Die Medienwerkstatt Franken ging in den 1980er Jahren aus einer Gruppe von Jungfilmern im Nürnberger Komm hervor. Der Wunsch nach mehr Selbstbestimmung, aber auch nach Professionalisierung führte zur Gründung der Medienwerkstatt außerhalb des Komm. Heute kann diese Institution auf mehr als 30 Jahre erfolgreicher Arbeit zurückblicken und neben einem festen Sendeplatz im Frankenfernsehen auch eine ganze Galerie von Preisen vorweisen. Gerdt Rohrbach besuchte das Team für das Heft 9.2024 auf der Suche nach dem, was es von anderen Fernsehmachern unterscheidet.

Kameramann Günter Wittmann auf einem Dolly mit Ausleger
Foto: Medienwerkstatt Franken

Zu Beginn meines Besuchs bei der Medienwerkstatt Franken e. V. steht die Frage, wie die dortigen Filmschaffenden den Zweck ihrer Aktivitäten begreifen. Die 1. Vorsitzende Judith Dauwalter liefert dieses Mission Statement: „Gewachsen aus unserer Tradition wollen wir nach Möglichkeit Menschen eine Stimme geben, die anderweitig nicht so gehört werden. Hier spielt der Begriff der Gegenöffentlichkeit hinein. Dabei kommt uns zugute, dass wir nicht tagesaktuell sein müssen. Außerdem sind wir recht breit aufgestellt: zeitgeschichtlich, sozial, kulturell, aber immer mit regionalem Bezug.“

Bei einem solchen Selbstverständnis, aber auch bei der Entstehungsgeschichte ist es nur konsequent, dass man Wert auf eine besondere Form der Zusammenarbeit legt. Judith Dauwalter erklärt: „Da ist als Erstes der Kollektivgeist. Wir diskutieren Projekte von Anfang an gemeinsam. Da sind alle dabei, auch unser Praktikant. Das klappt unterschiedlich gut, ist uns allen aber total wichtig.“ Aber dann meint Annette Link: „Man kann schon etwas zu einem Filmprojekt sagen, aber ob das dann berücksichtigt wird, ist eine andere Frage.“ Günther Wittmann setzt den Gedanken fort: „Es hat sich bewährt, dass man letztlich der Redakteurin Recht gibt!“ Alle lachen – und was mir hier auf den ersten Blick als Widerspruch erscheint, ist ein wesentliches Element dieses Teams, das sich an Widersprüchen nicht aufreibt, sondern sie produktiv nutzt. Die Synthese von Kollektivgeist und Kreativität Einzelner ist ein wesentliches Element im Markenkern der Medienwerkstatt Franken.

Das Team der Medienwerkstatt Franken im Gruppenfoto
Das Team der Medienwerkstatt Franken, von links nach rechts: Andreas Holzmüller, Vanessa Hartmann, Günther Wittmann, Judith Dauwalter, André Batista Maia, Valeska Rehm, Annette Link, Timon Wegner, Winfried Schuhmann und zu deren Füßen Hund Bob. (Foto: Gerdt Rohrbach)

Freie Recherche

Schon als wir eingangs über den Zweck des Vereins sprachen, wurde erkennbar, dass sich das Team auf besondere Themen konzentriert. Auf meine Frage, wie man ganz konkret auf diese Themen kommt, sagt mir Winfried Schuhmann etwas verschmitzt, man habe Leute mit sehr langen Rüsseln, mit denen sie die Gegend umgraben. Auch das über die Jahre gewachsene Netzwerk spiele dabei eine große Rolle. Und dann ergeben sich bei der Bearbeitung eines Themas etliche Verweise auf weitere Themen: „Ich kenne das von mir so, dass bei jedem Film fünf neue Themen sichtbar werden“, ist die Erfahrung von Vanessa Hartmann.

Ebenfalls bei der Beschreibung der Zielsetzung wurde angedeutet, dass ein höherer Grad an Freiheit bestehe, wenn man nicht tagesaktuell arbeiten muss. Aber dieses Mehr an Freiheit hat seinen Preis. Annette Link: „Wir haben die Freiheit, weil wir uns selber ausbeuten. Das bezahlt uns halt keiner.“ Und so weit her ist es selbst mit der so erkauften Freiheit auch nicht, wie Judith Dauwalter erklärt: „Wir müssen 22 Sendeplätze im Jahr bestücken. Da gehört auch eine gewisse Planung zu und das heißt, dass wir nicht jeden Beitrag über Wochen schieben können. Sonst haben wir nichts zu senden. Aber wir geben uns die Möglichkeit, länger mit unseren Protagonisten im Vorfeld zu sprechen, ihnen im Film auch Raum zu geben.“

Museumsstücke der Medienwerkstatt Franken
Die Museumsstücke sind Zeuge für das lange Bestehen der Medienwerkstatt
Franken. (Foto: Gerdt Rohrbach)

Die Leute der Medienwerkstatt Franken nutzen dieses Quantum Freiheit dazu, anders zu recherchieren. Vanessa Hartmann hat ein Beispiel: „Ich habe einen Film über die Behindertenmorde währen der Nazi-Zeit in den Heilanstalten in Ansbach und Neuendettelsau gedreht. Dazu wollte ich Angehörige sprechen. Ich hatte zwar Leute gefunden, aber keiner wollte sich interviewen lassen. Mit einem Herrn aus Kitzingen hatte ich schon ein paar Mal telefoniert. Das letzte Telefonat endete mit: ,Rufen Sie mich nicht mehr an, lassen Sie mich in Ruhe!‘ Ich dachte mir aber, dass er ganz wichtig ist, weil er auch die Geschichte erzählen sollte. Und es war auch berührend und wichtig dafür, dass man heute daraus lernt. Ich bin dann eines Tages einfach einmal hingefahren. Das sind zwar nur eineinhalb Stunden Autofahrt, aber so einfach ist das auch nicht für mich. Ich habe drei Kinder, deshalb habe ich nur ein kleines Zeitfenster. Ich befürchtete schon, dass er mich gleich vom Hof jagt. Als die Tür aufging und ich mich vorgestellt hatte, sagte er: ,Gut, dass Sie kommen, ich habe schon auf Sie gewartet.‘ Er wollte persönlich reden. Wenn man da nicht die Zeit aufbringt, wenn ich nicht hingefahren wäre, wäre mir das entgangen. Es zeichnet uns aus, dass wir dranbleiben, wenn uns das Thema wichtig ist.“

Günther Wittmann schildert, wie sie nicht minder aufwendig bei den Recherchen zu ihrem Film über Kreuze am Straßenrand vorgegangen sind: „Dafür sind wir einfach mal so durch die Gegend gefahren, an den Kreuzen haben wir nach Namen gesucht, als Nächstes sind wir zur Feuerwehr – habt ihr damals gerettet? Wer sind denn diese Julia und der Max, die damals verunglückt sind?“ Dann ging es zum Pfarrer, dann in die Wirtschaft, da haben wir etwas gegessen und den Wirt gefragt, ob der noch eine Geschichte kennt. Das Herumlaufen und Sehen, was geht, ist unsere spezielle Art.“

Winfried Schuhmann an einem der Schnittplätze
Winfried Schuhmann an einem der Schnittplätze (Foto: Medienwerkstatt Franken)

Haltung beim Dreh

Mit dieser offenen Art der Vorbereitungen ist fast schon garantiert, dass man nicht vorgefertigte Meinungen den Themen und ihren Protagonisten überstülpt. Aber wie geht es weiter beim Dreh? Hier interessiert mich als Erstes, wie sie es schaffen, dass ihre Protagonisten authentisch rüberkommen. Winfried Schuhmann: „Eine unserer Stärken ist in dem Kontext, dass die Technik total in den Hintergrund tritt. Wir sagen unseren Kameraleuten, dass sie mit den Protagonisten keinen Blickkontakt halten sollen. Das fokussiert auf den Protagonisten und den Interviewer. Und das führt dazu, dass die Augen nicht abschweifen. Die Technik ist dann ganz still, fast unsichtbar. Das schafft die Atmosphäre, in der jemand etwas erzählt, was er sonst nicht erzählen würde.“ Günther Wittmann bringt ein Beispiel: „Ich denke da an unsere Arbeit über Behinderung und Sexualität. Wir interviewten zwei Prostituierte, die sich Behinderten anbieten. Es braucht Wertschätzung und Zuhören.“ Ob Authentizität zustande kommt, ist letztendlich also eine Frage der Haltung gegenüber den Menschen, mit denen man vor der Kamera zusammenarbeitet. [15478]


Möchten Sie mehr über die Arbeit der Medienwerkstatt Franken aus Sicht der Filmschaffenden erfahren? Hier finden sie den Artikel!


 

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