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Panel auf dem CiNECongress: Soziale Absicherung für Selbstständige

Zwischen Kadrage und Kalkulation

Auf dem CineCongress 2024, der am 28. und 29. Februar auf der LEaT X CiNEC stattfand, beschäftigte sich ein hochkarätig besetztes Panel mit der sozialen Absicherung für selbstständige Kameraleute. Wir geben das 45-minütige Gespräch hier gekürzt wieder.

Panel auf dem CiNECongress: Soziale Absicherung für Selbstständige
Foto: Sven Kubeile

Zu Gast beim Panel „Soziale Absicherung für Selbstständige“ waren Frank Trautmann, der erste Vorsitzende des Bundesverbands der Fernsehkameraleute (BVFK), Kersten Hüttner, der als freier Kameramann und BVFK-Mitglied den BVFK-Regionaltreff Süd ins Leben rief sowie der im Januar neu gewählte Präsident des Berufsverbandes Kinematografie (BVK) Markus Stoffel, mehrfach ausgezeichneter Kameramann im Bereich Dokumentar- und Imagefilm. Moderiert wurde das 45-minütige Gespräch von „Film & TV Kamera“-Chefredakteur Uwe Agnes.

Als Einstieg in das Thema möchte ich euch gern die Frage stellen, warum im Jahr 2024 so etwas Elementares wie die soziale Absicherung von Selbstständigen überhaupt ein Thema ist, das wir hier besprechen müssen.
Frank Trautmann: In der Tat erschüttert mich das auch – wir waren schon mal weiter! Aber natürlich ist dieses Thema immer latent vorhanden und auch Aufgabe der Berufsverbände. Corona hat uns wirklich in ein Tal geführt, wo wir mit Preisen und Honoraren so hantieren wie Anfang der 2010er Jahre und wo man nachweisbar sagen kann, dass das sozial nicht auskömmlich ist. Wir waren da schon mal auf einem anderen Weg und haben zumindest eine Tendenz gespürt, dass auch die Auftraggeber in der Breite daran interessiert sind, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen für eine auskömmliche Bezahlung zu sorgen.

Kersten Hüttner: Das Problem fängt ja häufig schon an, wenn eine junge Kollegin oder ein junger Kollege an die Kamera will, Filme machen will, und heiß darauf ist, mit kreativer Arbeit Geld zu verdienen. Da machen sich die wenigsten Gedanken darüber, wie es ist, wenn man mal irgendwann die Kamera aus der Hand legt und wie es dann mit der Altersvorsorge ausschaut! Es wird ihm vonseiten der Auftraggeber auch nicht erzählt, welche gesetzlichen Vorgaben und welche Fallstricke es bei der deutschen Sozial- und Steuergesetzgebung geben. Deshalb ist es die Aufgabe der Verbände, die Möglichkeiten aufzuzeigen, die es hier gibt.

Markus Stoffel: Die Situation ist auch der Sonderrolle geschuldet, die wir alle in unserer Branche im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft einnehmen. Wir merken oft, dass selbst Behörden mit den Spezialitäten unseres Gewerkes, unserer Tätigkeit und unserer Beschäftigungsverhältnisse überhaupt nicht vertraut sind. Im BVK ist die Mehrheit der Mitglieder „auf Produktionsdauer beschäftigt“, also ein Arbeitnehmer, aber nur für ein paar Wochen oder ein paar Tage, der dann nach einer gewissen Übergangszeit wieder aus Systemen herausfällt. Das ist nicht nur für Behörden oder Firmen schwierig, sondern natürlich extrem schwierig auch für die einzelnen Kameraleute, sich zu orientieren.

Kersten Hüttner
Kersten Hüttner empfahl die Künstlersozialkasse und die Pensionskasse Rundfunk als Bausteine einer Altersvorsorge
für Kameraleute. (Foto: Sven Kubeile)

Nun könnte man ja sagen, es sei eigentlich die Verantwortung von jedem Selbstständigen, eine vernünftige Kalkulation des Honorars hinzulegen und dort auch die Grundrisiken des Lebens, also Alter, Berufsunfähigkeit und Krankheit, einzupreisen. Können die Kolleginnen und Kollegen alle nicht rechnen?
Frank Trautmann: Es gab vor vielen Jahren eine beliebte Fernsehserie mit Robert Lembke, die hieß „Was bin ich?“ Diese Frage sollte sich jeder stellen und die Mühe machen, gerne auch mithilfe der Berufsverbände, herauszufinden, was der jeweilige Status ist. Dafür ist es wichtig, die unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten und ihre Definitionen zu kennen. Arbeitsrecht, Steuerrecht und Sozialrecht gehen mit dem Begriff des freien Mitarbeiters nämlich ganz unterschiedlich um.

Im Arbeits- und Steuerrecht ist die Situation noch relativ einfach. Da gibt es den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer oder den als Unternehmer rechnungstellenden Arbeitnehmer. Branchenweit sind Kameraleute, wie Markus eben auch sagte, auf Produktionsdauer freie Beschäftigte, die vielleicht auch selbstständig tätig sind und gar nicht wissen, dass sie eigentlich beschäftigt sind, weil man darauf im Sozialrecht gar keinen Einfluss hat. Im Sozialrecht gibt es nämlich keine selbstständigen Personen, sondern nur selbstständige Tätigkeiten.

Das Problem speziell der Selbstständigen ist dabei, dass sie im Grunde genommen keine dauerhafte Absicherung haben. Theoretisch müsste jede einzelne Tätigkeit aufs Neue geprüft werden: Ist das jetzt eine selbstständige Tätigkeit oder nicht? Besteht ein Versicherungsschutz, wie ihn der Gesetzgeber fordert, und den ich auf meine Honorare umlegen kann?

An dem Punkt machen sich viele Kolleginnen und Kollegen Sorgen, dass sie im Nachhinein vielleicht als nicht selbstständig beurteilt werden, weil sie das ja gar nicht kontrollieren können. Dann könnten auf einen Schlag 30 Prozent meines Honorars als Arbeitnehmeranteil abgezogen werden. Das ist das Problem, mit dem sich der BFVK auseinandersetzt und auch Lösungsideen dafür entwickelt, dass wir eine stringente Alterssicherung auch für Selbstständige in unserer Gesellschaft verankern müssen.

Frank Trautmann
Frank Trautmann, 1. Vorsitzender des Bundesverbands der Fernsehkameraleute, stellte das Konzept des BVFK für ein weiter gefasstes Modell der Altersvorsorge für Selbstständige vor. (Foto: Sven Kubeile)

Kersten Hüttner: Wenn du fragst, ob die Kollegen nicht rechnen können, dann muss ich das zum großen Teil leider mit „Ja“ beantworten. Wir sind überwiegend einzelne­ Menschen – ich will jetzt nicht sagen selbstständig beschäftigt – wie auch immer, wir sind einzelne Menschen. Wir haben kein Büro oder eine Buchhaltung im Hintergrund. Wir wollen in erster Linie Bilder machen. Das ist der Grund, warum man Kameramann wird. Man wählt den Beruf nicht, weil einem gerade nichts anderes einfällt, sondern man wird deswegen Kameramann, weil man es will, im Gegensatz zu vielen anderen Berufen, und wir machen unsere Beruf auch gerne. Wir gehen auch nicht ans Set, nur um Geld zu verdienen, sondern wir machen es deswegen, weil wir Spaß daran haben. Also wenden wir viel von unserer Energie auf für die Bilder, die wir machen wollen, und deshalb fehlt dann häufig die Energie für den bürokratischen Hintergrund und dessen Feinheiten. Ich weiß nicht, wie viele Kollegen überhaupt den Unterschied kennen zwischen Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht. Deswegen ist es gut, wenn man Verbände hat, die sich damit beschäftigt haben und entsprechend Hilfestellung geben können – und ja, viele Kollegen können oder wollen nicht rechnen!

Markus Stoffel: Die Branche hat ja im Prinzip keine geregelte Ausbildung und selbst in den Teilbereichen, wo sie vorhanden ist, wie zum Beispiel im akademischen Bereich, wo man Diplom-Kamerafrau oder Kameramann wird, gehören diese Aspekte nicht zu den Lehrinhalten: Wie sichere ich mich ab, wie kalkuliere ich? Die Leute sind vielleicht gut ausgebildet – viele eben auch nicht, weil in unserer Branche viel über learning by doing läuft – und dann ist man plötzlich im Arbeitsleben mit lauter Punkten konfrontiert, auf die man nicht vorbereitet ist. Wir sehen bei den Berufsverbänden oft, dass wir aus der Mitgliedschaft Anfragen bekommen und Beratungsbedarf besteht, wo man sich denkt, das sind doch eigentlich rudimentäre Dinge! Aber die Leute wissen es einfach nicht.

BVK-Präsident Markus Stoffel
BVK-Präsident Markus Stoffel wies darauf hin, dass kaufmännische Aspekte bei der Ausbildung von Kameraleuten so gut wie keine Rolle spielen. (Foto: Sven Kubeile)

Fehlt der Branche tatsächlich eine fundierte Ausbildung in Kalkulation, in Sozial- und Steuerrecht?
Kersten Hüttner: Das findest du in keiner Schule. Es gibt die Bayerische Akademie für Fernsehen, die eine fundierte Ausbildung hat, was das Fachliche angeht, aber das Bürokratische, was dahinter steht, wenn du dich selbstständig machen willst, was die Auftraggeber so von dir erwarten, wird nicht vermittelt. Als Angestellter brauchst du das auch nicht, da hast du einen Arbeitgeber, der für deine soziale Absicherung sorgen muss. Dafür bist du angestellt. Aber als Selbstständiger weißt du häufig nicht, in was für ein Haifischbecken du gerätst, wenn du dich selbstständig machst. Einmal im Jahr gehen ein Kollege und ich an die Bayerische Akademie für Fernsehen, um da der Kamera-Abschlussklasse den Alltag näherzubringen, der eventuell auf sie zukommt. Das ist ein Vormittag in den elf Monaten Ausbildung!

Da fangen wir lieber gar nicht erst an, den prozentualen Anteil auszurechnen.
Frank Trautmann: Kameraleute sind keine Kaufleute. Aber meine Beobachtungen bei den Gerichtsurteilen, mit denen ich mich seit gut zehn Jahren beschäftige, zeigen ganz klar, dass ein selbstständiger Kameramann oder eine selbstständige Kamerafrau diese Selbstständigkeit auch leben muss. Heute vormittag hat hier bei einem Talk der Kollege vom MDR gesagt, wir seien Fachkräfte für Bildgestaltung. Das fand ich sehr passend und als solche Fachkräfte müssen wir auch auftreten: Man braucht meine Expertise, um Bilder zu gestalten. Das sind Dinge, auf die wir als Berufsverbände hinweisen müssen. [15444]


Sie möchten wissen, wie der Rest des Panels ablief? Hier geht’s zum Artikel!


 

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