Im Heft 1–2.2021 warf unser dienstältester Autor Hans Albrecht Lusznat einen Blick zurück auf 70 Jahre “Film & TV Kamera”. Nachdem es im ersten Teil um Macher und Autoren ging, beschäftigt er sich hier mit den Inhalten.
Genderfragen
„Kameramann“ ist einer der wenigen Berufe, die sich schon in der Bezeichnung sehr eindeutig auf das Geschlecht der Berufsausübenden festlegen. Schon zu Stummfilmzeiten sind Frauen als Regisseurinnen im Filmgeschäft erfolgreich wie beispielsweise Dorothy Arzner, Margery Wilson, Lois Weber und Lotte Reiniger. Die Kameraarbeit aber bleibt eine Männerdomäne. Erst im Jahr 2018 wird mit der 39-jährige Rachel Morrison erstmals eine Frau für den Oscar im Fach Kinematographie nominiert. Bekommen hat ihn dann Roger Deakins.
Im November 1967 zeigt das Titelbild zum ersten Mal eine Frau an der Kamera. Frauen hat es schon vorher auf Titeln gegeben, als Beiwerk für filmtechnische Produkte oder in Szenenfotos. Diesmal aber ist es Inge Mutschler, die beim Südwestfunk in Baden-Baden an einer Fese-Kamera im Studio steht. Ausgebildet in der DDR hat sie dann im Westen nach vielen vergeblichen Versuchen endlich eine Stelle gefunden.
Erst 1978 ist dann wieder eine Frau mit Kamera auf dem Titel, diesmal Gisela Tuchtenhagen, die nach Fotolehre und DFFB-Studium vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit Klaus Wildenhahn und die Filmserie „Die Liebe zum Land“ bekannt wurde. Persönlich kann ich mich gut an diesen Titel erinnern, denn gleich nach dem Artikel über Tuchtenhagen wurde meine zweite Arbeit für den Film & TV Kameramann abgedruckt: „Mit der CP16R in der Stadtteilarbeit“. Von den vielen Artikeln, die ich für die Zeitschrift geschrieben habe, ist es einer der wenigen, in denen es um einen eigenen Film ging. Die Kamera von damals steht heute im Deutschen Museum für Foto-, Film- und Fernsehtechnik in Deidesheim.
Mit der Ausgabe 1–2.2018 wird nach 67 Jahren der „Mann“ aus dem Titel genommen. Die Zeitschrift heißt nun „Film & TV Kamera“.
Sammelblätter und Jahrbuch
Zwischen 1974 und 2008 hat Kameramann Gerhard Fromm für die Zeitschrift über 55 Kameras in seinen Sammelblättern beschrieben. Das erste Sammelblatt erschien im Juli Heft 1974 zur Bolex 16 Pro. Die Bolex 16 Pro war zu ihrer Zeit die modernste 16-mm-Kamera, und wegen ihrer Elektronik und Servomotoren nicht mehr so selbstverständlich und einfach zu bedienen wie die ARRI 16ST und 16BL, daher ergab dieses Sammelblatt Sinn.
Die Sammelblätter erschienen bis 1978 in dichter Folge, dann vereinzelt bis ins Jahr 2008. Anfangs waren sie in der Mitte des Heftes zum leichteren Entnehmen eingebunden, später wurden sie mit einer Trennlinie zum Ausschneiden abgedruckt. Es gab auch Sammelblätter als Beilage. Mit der Komplexität der Kameras wuchs auch ihr Umfang. Kam die Arriflex 35BL 1974 noch mit sechs Seiten aus, waren es beim Nachfolgemodell Arriflex 535 im Jahr 1992 ganze 16 Seiten. Mit der Arriflex 416 als der letzten Neuentwicklung im Bereich der Filmkameras endete die Serie. Eine stichwortartige Beschreibung der wesentlichen Filmkameras lieferte Gerhard Fromm auch für das Jahrbuch Kamera.
Schon 1955 wird ein kleines Handbuch im Taschenformat angekündigt, in dem in Tabellen alles Material zusammengefasst werden soll, das der Kameramann bei seiner täglichen Arbeit braucht. Gleichzeitig will man mit der Hilfe des Journalisten H. C. Opfermann ein großes Handbuch für die gesamte Filmtechnik in Angriff nehmen. Ab 1961 gibt es dann dieses Jahrbuch im Taschenformat. Verkauft wird es für einen Preis um 8 DM. Bis heute ist es jedes Jahr neu in aktualisierter Form erschienen, inzwischen auf 580 Seiten angewachsen und als Teil des Jahresabonnements ausgeliefert. Über die Webseite kann man die aktuelle Printausgabe des Jahrbuch Kamera für 21,80 Euro erwerben.
Verbandsarbeit
Die Verbandsarbeit war immer ein wichtiger Themenbereich der Zeitschrift, schon weil sie anfangs das offizielle Organ des Clubs Deutscher Kameramänner (C.D.K.) war. In den 1960er Jahren kam mit dem Verband Deutscher Kameraleute VDK ein weiterer Berufsverband hinzu, getragen hauptsächlich von Wochenschau- und Fernsehkameraleuten. Schließlich fand 1968 eine Fusion zum Berufsverband deutscher Kameraleute BDK mit Sitz in Berlin statt. Hin und wieder wird in den folgenden Jahren noch von einzelnen BDK-Treffen berichtet, dann schleicht sich das Thema Berufsverband aus dem Heft aus. Im Januar 1981 startet auf Initiative von Ernst W. Kalinke, der schon beim C.D.K. im Vorstand war, eine Wiederbelebung des Verbandes als Berufsverband Kinematographie (BVK). Der BVK ist heute einer der mitgliederstärksten Berufsverbände im Filmbereich und hat wichtige Erfolge in Fragen des Urheberrechts errungen. Daneben gibt es wie auch schon damals einen weiterenVerband, den Bundesverband der Fernseh-Kameraleute (BVFK), gegründet 2009. Über die Verbandsarbeit wird im Heft ausführlich berichtet.
Die Technik
Filmtechnik ist von Anfang an eine Kernkompetenz der Zeitschrift. Anfangs sind es hauptsächlich die verschiedenen Farbverfahren wie Cinecolor, Rouxcolor und Truecolor, an denen die Leser brennend interessiert sind. Dann kommen neue Formate wie Cinemascope, Superscope und Vista Vision hinzu. In der damaligen Technik gibt es viele schöne Ausdrücke, die für bestimmte Zeitspannen wichtig sind, dann aber im Laufe der Entwicklung gänzlich an Bedeutung verlieren und heute eher Unverständnis hervorrufen, wie beispielsweise die „Salatsperre“, ein Schwinghebel in der Filmkamera, der bei Filmriss den Lauf unterbricht, um Filmsalat zu verhindern. Wer durch alte Hefte der Zeitschrift blättert, findet viele interessante Informationen und auch einiges, was heute als große Neuerung gepriesen bereits damals vorhanden war.
Schon im Heft 4.1954 wurde die magnetische Bildaufzeichnung beschrieben. Der sperrige Begriff wird in den 1970er Jahren durch „Video“ ersetzt. Die elektronische Aufzeichnung und spätere Digitaltechnologie verdrängt die analoge Filmtechnik und beherrscht schon in den 1990er Jahren die technische Diskussion im Heft. Mit der Videotechnik verkürzt sich die Abfolge der Generationen bei den Kameras von zwanzig auf zehn, später auf fünf und drei Jahre. Immer schneller folgen gänzlich neue Geräte und die Zeitschrift profitiert vom größeren Umsatz mit mehr Anzeigen und technischen Artikeln. Die Digitaltechnik und Vernetzung in Form des Internets ist aber viel schneller als die analoge Drucktechnik und neben den alten Fachzeitschriften entstehen Internetmedien, die technische Neuerungen nahezu in Echtzeit verkünden.
Autor und Eigennutz
Niemand schreibt zweckfrei für eine Zeitschrift und schon immer war das Honorar Anreiz genug, sich Zeit für diese Arbeit zu nehmen. Aber oft steht der Aufwand, wenn man es besonders genau mit dem Inhalt nimmt, in keinem Verhältnis mehr zur Vergütung. Bei einem meiner Artikel kam die Frage auf, seit wann es die PL-Objektivfassung gibt. Heute kann man es bei Wikipedia nachlesen, aber damals hieß es, die alten Hefte durchzublättern bis man auf einen Beitrag von Gerhard Fromm zur Photokina 1980 stößt, in dem die Neuerung beschrieben ist. Solch eine Aktion kann gut zwei Stunden in Anspruch nehmen. Honorarorientiert könnte man sich mit einer Formulierung „wurde in den 1980er Jahren eingeführt“ um Genauigkeit drücken und wäre sehr viel effizienter in Bezug auf den Eigennutz. Eigennutz lässt sich aber auch durch sekundäre Vorteile erzielen. Wer Aufmerksamkeit erregt, kann seinen Marktwert erhöhen, das gilt besonders auch für Bilder. Im April 2014 suchte ich für den Artikel „Wer ist der erfolgreichste deutsche Kameramann“per Suchmaschine nach der Bilderanzahl im Netz. Ich landete selbst weit abgeschlagen hinter Michael Ballhaus, der auf den ersten Platz kam. Seitdem füge ich jedem Artikel ein Autoren-Selfie bei. Den Eigennutz kann man auch erhöhen, wenn man sich mit der anderen Seite einlässt, als sogenannter honorierter Botschafter einer Marke auftritt und Produkte positiv herausstreicht, ein klarer Verstoß gegen den Ethikkodex der Fachjournalisten, der das Vertrauen der Leser beschädigt, wenn es nicht klar kommuniziert wird. Influencer haben in Fachzeitschriften nichts verloren.
Für gewöhnlich wünscht man einem erfolgreichen Jubilar ebenso viele weitere erfolgreiche Jahre für die Zukunft. Dass jetzt aber 70 weitere Jahre eine Printausgabe des Magazins erscheint, ist eher unwahrscheinlich. Aber ich wünsche der Redaktion und den Herausgebern von ganzem Herzen , dass sie das Wesen von „Film & TV Kamera“ in zukunftsträchtiger Form für die Leser erhalten. [13954]