Wir stellen die Preisträger des 31. Deutschen Kamerapreises vor (9)
Auf den Zufall verlassen
von Uwe Agnes,
Wir setzen unsere Reihe mit den Gewinnerinnen und Gewinnern beim 31. Deutschen Kamerapreis fort mit den Auszeichnungen im Nachwuchs-Bereich. Markus Schindler bekam einen der beiden Preise in der Kategorie Kamera.
Markus Schindler, 1989 in Bad Tölz geboren, arbeitete zu- nächst im australischen Sydney beim Kameraverleih LEMAC Film & Digital Pty. Ltd., bevor er 2011 nach Deutschland zurückkehrte und dort erst als zweiter und dann als erster Kameraassistent bei einer Vielzahl von Kinospiel- und Dokumentarfilmproduktionen mitwirkte. Dabei hat er nicht nur die Welt bereist, sondern auch so Branchengrößen wie dem Filmemacher Edgar Reitz, dem Bildgestalter Gernot Roll und dem Regisseur und Kameramann Joseph Vilsmaier assistiert. Seit 2016 studierte Markus J. Schindler an der Hochschule für Fernsehen und Film München Kamera, wo er für zahlreiche szenische und dokumentarische Kurzfilme die Bildgestaltung übernahm. „Ausgrissn! – In der Lederhose nach Las Vegas“ ist sein erster Langfilm.
Wie war es denn so, den Deutschen Kamerapreis in der Kategorie Nachwuchs zu bekommen?
Am Anfang war ich natürlich sehr überrascht! Ich wusste zwar, dass die Produktionsfirma den Film eingereicht hatte, aber dann hört man ja lange nichts mehr. Wir haben uns auch nicht die allergrößten Chancen erhofft. Ja, und dann wurden wir angerufen und waren sehr erstaunt. Danach darf man auch ganz lange nicht darüber reden, nur sagen, dass man nominiert ist. Es hat mich doch schon extrem gefreut, vor allem so auf dem Sprung in meinen beruflichen Anfängen, dem ersten Film und noch am Ende meiner Uni. Es hat mir geholfen, Selbstvertrauen zu entwickeln und zu merken: Wir machen das schon irgendwie richtig!
Zwei bayrische Buben fahren mit Zündapp-Mopeds nach Las Vegas und werden dabei mit der Kamera begleitet. Wie bist du an dieses ungewöhnliche Projekt geraten und wie bist du darangegangen, das Thema filmisch umzusetzen?
Einen der beiden kannte ich sehr fern von meinem ersten Kamerapraktikum 2010 bei Marcus Rosenmüller, wo er noch Kinderdarsteller war. Sie hatten dann diese Schnapsidee, mit den Mopeds nach Amerika zu fahren und wollten sich eigentlich selbst filmen. Sie wussten aber nicht genau, wie das gehen sollte, also musste ein Kameramann mit. Dann hat es sich so ergeben, dass wir uns getroffen und kennengelernt haben. Ich habe mir überlegt, ob ich so lange unterwegs sein möchte – und dann war ich dabei!
Den ersten Teil der Reise, die zwei Wochen bis Antwerpen und mit dem Containerschiff in die USA, konnte ich noch nicht drehen, weil ich da noch in einem anderen Projekt war, bin dann aber mit meinem Assistenten nach New York nachgeflogen und ab dort haben wir begonnen zu drehen. Das war ganz spannend, weil wir ein bisschen ins kalte Wasser gesprungen sind. Es gab eigentlich kein Konzept, kein Drehbuch, keine richtigen Regeln für die visuelle Gestaltung oder Perspektive. Aber ich fand den Gedanken ganz ok, das zu drehen. Meine Idee war dabei: Wenn sie jetzt schon einen Kameramann mitnehmen, dann muss es einen Grund dafür geben.
Ich kannte mich in diesem Genre des Road Trips ganz gut aus und hatte so meine Überlegungen, was mir gefällt und was nicht. Natürlich hat Amerika da auch spezielle Chancen geboten und da wurde mir so bewusst, dass es aus unserer deutschen oder europäischen Sicht eine gewisse Vorstellung von Amerika auf der Bildebene gibt und damit wollten wir spielen. Wir haben dann angefangen, ganz stark zu improvisieren. Das hat extrem Spaß gemacht. In diesen 45 Tagen haben wir an 43 Tagen gedreht und jede Idee einfach mitgenommen.
Üblicherweise würde man ja bei so einem Road Trip Stringer vorausschicken, die dann im Vorfeld schon recherchieren, was sich links und rechts am Wegesrand so findet.
Das ist genau das, was ich auch so kannte und wie man sich solche Projekte üblicherweise ökonomisch überhaupt leisten kann. Das Kamerateam ist dann vielleicht an zehn oder 15 Tagen dabei und dreht die Highlights, oder die Leute filmen sich komplett selbst. Bei uns war es eine Sonderform, die unabhängig über eine Brauerei finanziert war und es gab auch keine große Gage.
Wir sind dann ins Blaue losgefahren. Das war schon cool, wir waren einfach neugierig und haben uns auch anpassen müssen, zum Beispiel die Strecke ganz anders zu fahren. Denn wir haben schnell festgestellt, dass der Highway immer gleich ausschaut! Aber sobald wir die Interstate verlassen haben, hat sich einiges zufällig ergeben und das war einfach genial.
Wir haben uns dann viel auf den Zufall verlassen und geschaut, was passiert. Aber selbst in den zweieinhalb Monaten, die wir unterwegs waren, hatte ich trotzdem das Gefühl, nicht so viel Zeit zu haben, wie man gern hätte. Wir haben im Prozess festgestellt, dass man an einem Ort schon zwei oder drei Tage braucht, bis man jemanden kennenlernt und sich etwas aufbaut, dass eine kleine Geschichte entsteht und das war uns wichtig. Es gibt viele Reisefilme, in denen die Reisenden sehr auf sich bezogen sind und bei denen ich immer den Wunsch vermisst habe, auf Augenhöhe etwas vom Land und den Leuten kennenzulernen.
Welche Technik hast du eingesetzt? Auf dem Roadtrip, also in den USA, hatten wir uns dazu entschieden, das Ganze mit einem Touristenvisum zu machen. Das war ein Grund, warum wir nicht so viel Ausrüstung mitnehmen wollten oder konnten. Deswegen haben wir auf der Blackmagic Design URSA Mini Pro gedreht, mit verschiedensten Fotoobjektiven. Am Anfang habe ich mich stark auf eine Reihe von Canon-Fotozooms konzentriert und habe ab ungefähr der Mitte des Drehs, weil wir da auch für den Ton einen Adapter brauchten, Leica-R-Objektive eingesetzt, die ich eigentlich nur zum Fotografieren dabeihatte. Ab da habe ich nur noch mit denen gedreht! Das merkt man auch im Film, man sieht, dass sich bildlich etwas verändert, sowohl von der Landschaft her als auch optisch. Um den szenischen Part in Deutschland abzusetzen, haben wir dort mit einer ARRI ALEXA Mini mit Hawk-Anamorphoten, Schiene und Dolly gedreht.
Welche Funktion hatten die szenischen Anteile im Film? Am Ende der Reise hatten wir um die 500 Stunden Material, an das sich dann der Editor Kilian Wiedemann gesetzt hat. Der hat dann so 20 oder 25 10-minütige Snippets geschnitten, was uns dann im Rohschnitt die Möglichkeit gegeben hat, herauszufinden, wie genau wir das Stück erzählen wollten. Es war natürlich klar, dass sich „Von A nach B“ anbietet, aber es war noch offen, wie genau das funktionieren könnte. Nach einem Jahr gab es dann so etwas wie einen Rohschnitt, wo wir festgestellt haben, an welchen Stellen die Erzählung Lücken hat, die man noch füllen muss oder wo es vom Rhythmus einfach schön wäre, die Reise zu verlassen und so verschiedene Kapitel zu bilden.
Ich bin dann mit dem Julian, der die Regie übernommen hat, an den Gardasee gefahren und wir haben eine Geschichte geschrie- ben, die den ganzen Film klammert und die in einem bayrischen Wirtshaus beginnt: Die Jungs sind von ihrer Reise wieder zurück, aber niemand aus dem Dorf hat wirklich daran geglaubt. Jetzt kommen sie mit dem Film, den sie auf einem alten Projektor zeigen wollen, doch der läuft nicht. Sie laufen davon und erzählen ihre Story der Toilettenfrau, gespielt von der wunderbaren Monika Gruber. Oben im Saal hören alle über das Mikrofon mit, der Projektor springt doch noch an und dann beginnt der Film. Im Lauf der Reise schneiden wir immer dann immer wieder zurück in die Wirtschaft, die sich immer mehr füllt.
Das gibt uns auch die Chance, die Charaktere in Bayern mit denen in Amerika zu verknüpfen, zu Personen, die sie zufällig auf der Reise getroffen haben, wie jemanden, der noch nie sei Dorf in Oklahoma verlassen hat. So jemanden gibt es dann auch im Wirtshaus, der auch nie aus dem Dorf herausgekommen ist, aber davon träumt. So haben wir das dann bis zum Ende gestaltet und das hat ganz gut funktioniert. Wir fanden es auch extrem schön, diese Freiheit zu haben, eine Dramaturgie wagen zu kön- nen, die für einen Dokumentarfilm eher ungewöhnlich ist. [15124]