Fast sechs Jahrzehnte währt inzwischen die Karriere des 78jährigen griechischen DoP Yorgos Arvanitis (GSC/AFC). Als kongenialer Kameramann des großen europäischen Autorenfilmers Theo Angelopoulos hat er Bilder von einzigartiger poetischer Schönheit und erzählerischen Tiefe geschaffen. Auf dem 40. Manaki-Brüder-Kamera-Filmfest in Bitola wurde er mit der Goldenen Kamera 300 für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Am Rande des Festivals traf ihn Theo Votsos zum Gespräch.
(Bild: Paul Katzenberger)
Herr Arvanitis, 1966 wurden Sie von der legendären griechischen Produktionsgesellschaft Finos Film als Haus-DoP angeheuert, wo Sie bis 1973 zumeist kommerzielle Komödien drehten. Sie waren noch bei Finos Film angestellt, als Ihre 30jährige Zusammenarbeit mit Theo Angelopoulos ihren Anfang nahm. Wie kam es dazu?
Parallel zu meinem “Erwerbsberuf” wirkte ich in der damaligen Zeit, unter anderem an der Seite des Regisseurs Pantelis Voulgaris, bei einer politisch engagierten Kurzfilmgruppe mit, die nicht zuletzt vom italienischen Neorealismus beeinflusst der Überzeugung war, sie könne die Welt verändern. Zu dieser Gruppe gesellte sich nach seiner Rückkehr aus Paris auch Theo Angelopoulos. Dort lernten wir einander kennen und schätzen. Unser erstes gemeinsames Projekt war 1968 der Kurzfilm “Die Sendung”. Danach weihte er mich in seine Idee zum Spielfilm “Anaparastasi” ein, von der ich sofort überzeugt war. Ich nahm umgehend unbezahlten Urlaub bei Finos Film und wir reisten zu viert, ich, mein Kameraassistent, Angelopoulos und dessen Assistent, in das epirotische Bergdorf, wo die Dreharbeiten, fast ausschließlich mit Laienschauspielern, stattfinden sollten. Die Arbeit an diesem Film war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Ich hatte das Gefühl, als wäre das Licht, das in mir seit meiner frühesten Kindheit gefangen war, während der 33tägigen Dreharbeiten Stück für Stück aus mir entwichen, als hätte es sich endlich einen Ausgang verschafft. Die karge Steinlandschaft, die primitiven Steinhäuser, aber auch die Menschen des Dorfes, deren Gesichter ebenfalls wirkten, als wären sie in Stein gemeißelt, übten eine große Faszination auf mich aus. Nie zuvor habe ich den Himmel so nah an der Erde gesehen wie an meinem ersten Morgen in diesem Bergdorf. Die feuchtigkeitsgetränkten Wolken schienen sich geradezu über den Boden zu wälzen. Alle diese Begleitumstände trugen zu dem Gefühl bei, dass wir gerade dabei waren, etwas Wahres zu vollbringen. Und ich sagte mir, ich muss für diesen Film alles geben, was in mir steckt. Zum Glück fiel die Resonanz, auf die der Film stieß, sehr positiv aus.
Wie ging es dann weiter? Sie waren ja noch bei Finos Film angestellt?
Richtig, erst dachte ich noch, das ließe sich vereinbaren. Als ich aber 1972 nach dem Abschluss der Dreharbeiten zu “Die Tage von ’36”, dem zweiten Film, den ich für Angelopoulos drehte, wieder zu FINOS zurückkehrte und eine Komödie drehen sollte, merkte ich, dass es mir inzwischen nicht mehr möglich, ja, dass ich sogar nicht mehr dazu fähig war. Ich konnte das, was wir dort machten, einfach nicht mehr sehen. Folgerichtig stieg ich 1973 bei Finos aus.
Wie würden Sie denn im Rückblick Ihr Verhältnis zu Angelopoulos beschreiben? Sind Sie sich, ausgelöst durch die Zusammenarbeit an “Rekonstruktion”, womöglich bewusst geworden, dass ihre filmischen Visionen übereinstimmen?
Ich würde es vielleicht so beschreiben: Angelopoulos war der Sender und ich der Empfänger. Vergleichbar vielleicht mit dem Verhältnis, das Ingmar Bergmann mit seinem DoP Sven Nykvist ausgebildet hat. Als wir dann noch “Die Wanderschauspieler” machten, ein Film, in dem sich nicht nur die Geschichte Griechenlands widerspiegelt, sondern auch meine persönliche Lebensgeschichte [Arvanitis‘ Vater kämpfte während des griechischen Bürgerkrieges auf der Seite der linken Partisanen und kam dabei ums Leben. Seine Mutter saß aus politischen Gründen acht Jahre im Gefängnis. d. V.], gab es kein Zurück mehr, waren wir zu einem unzertrennlichen Tandem zusammengewachsen. [10663]