Wir stellen die Preisträger des 32. Deutschen Kamerapreises vor (3)
Bilder, die standhalten
von Uwe Agnes,
Unsere Serie mit den Gewinnerinnen und Gewinnern des 32. Deutschen Kamerapreises geht weiter mit Jan Mammey, der für die beste Kamera bei aktuellen Kurzformaten ausgezeichnet wurde.
Jan Mammey wurde 1972 in Frankfurt am Main geboren. Nach seinem Abschluss an der Staatlichen Fachakademie für Fotodesign München studierte er Bildende Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig mit Schwerpunkt Fotografie. 2012 machte er seinen Meisterschülerabschluss. Jan Mammey nahm mehrfach an Artist-in-Residence-Programmen in den USA teil und war Stipendiat der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Seit 1999 arbeitet er als Kameramann und konzentriert sich auf die Bereiche Dokumentation und Reportage.
Ihr habt „Lieber verstrahlt als im Krieg?“ im Spätsommer 2021 in der Ukraine gedreht. Damals habt ihr sicher nicht ahnen können, was sich jetzt dort abspielt.
Absolut. Ich hatte ja schon im Mai bei der Preisverleihung des Deutschen Kamerapreises gesagt, dass es für uns wirklich unfassbar ist, wie sich da die Ereignisse überschlagen haben. Wadym, einer unserer Protagonisten, hat uns beim Dreh seinen Bunker gezeigt. Er hatte dieses Haus bei Tschernobyl gekauft und gesehen: Es hat keinen Bunker. Ich meine, welches Haus hat schon einen? Für ihn war aber ganz klar, das Haus braucht einen Bunker. Also hat er den Keller ausgeschachtet und mit Beton verschalt und gesagt, so, jetzt bin ich vor russischen Raketenangriffen einigermaßen sicher. Wir als Team dachten uns, klar, der ist traumatisiert! Ein paar Monate später hatten die Russen Tschernobyl besetzt und es war genau das passiert, wovor er Angst hatte und geflüchtet war.
Er war wohl nicht nur traumatisiert, sondern wahrscheinlich auch weitsichtig.
Er hatte einfach mehr Erfahrung und hat die Lage realistischer eingeschätzt, als wir uns das zu dem Zeitpunkt vorstellen konnten. Leider sind wir ja alle am 24. Februar sehr unsanft aus unserer Illusion geweckt worden – obwohl es den Krieg ja schon viel früher gab.
Aber dieser Krieg fand eben meist nicht in der Öffentlichkeit statt – außer, wenn vielleicht die Separatisten über der Ukraine Verkehrsflugzeuge abschießen.
Aber deswegen ist es ja auch gut, dass es solche dokumentarischen Formate gibt. Ich bin ein absoluter Verfechter des Dokumentarischen. Ich finde es ganz wichtig, dass wir diese Filme machen, und ich mache solche Reportagen wahnsinnig gern.
Ich habe mich ja in meiner Karriere entscheiden müssen, ob ich dokumentarisch oder szenisch arbeiten möchte. Irgendwann teilen sich diese Wege, meistens sehr früh und man realisiert gar nicht, dass die Würfel längst gefallen sind. Aber ich fühle mich sehr wohl im dokumentarischen Bereich. Ich finde, nichts ist spannender als das echte Leben. Da wird aber auch noch viel Potenzial liegen gelassen, allein bei den Längen. Ich hatte die 30 Minuten schon angesprochen: Das ist natürlich viel zu wenig, um ein komplexes Thema wirklich zu würdigen. Aber das ist ja alles bekannt und ich bin auch nicht der Erste, der das sagt.
Ich habe dieses Jahr ein Making-of bei einer Serienproduktion, also bei einer szenischen Produktion gedreht. Da prallten diese beiden Welten aufeinander und ich dachte, ist schon toll, wie die hier arbeiten können mit einem Riesenstab und Beleuchtern. Aber ich fand es ebenso toll, mit meiner kleinen Sony Alpha zwischen denen herumzuhuschen und meine Bilder zu sammeln. Ich dachte, ich bin genau an der richtigen Stelle! Ich bin da, wo ich hin will, mache die Arbeit, die ich machen möchte und will gar nicht tauschen. Aber ich würde gerne einmal diese beiden Bereiche verbinden und szenisch arbeiten – im dokumentarischen Stil, so ein bisschen mit free flow. Nicht „Kamera läuft – und bitte“ und dann danke noch mal alles auf Anfang. Das ist nicht mein Ding.
Du hast die Sony Alpha angesprochen. Hast du die auch in der Ukraine eingesetzt?
Dort habe ich mit der Sony Alpha 7S III gedreht. Mit dem besten Codec schaffst du ja 10 bit 4:2:2 und damit ist auch ein ordentliches Grading möglich. Zum ersten Mal habe ich vor vier Jahren mit einer Alpha gedreht, das war ein Film für Arte über polnische Obdachlose in Berlin. Da wünschte sich die Redaktion eine kleine, leichte Kamera, mit der wir sehr beweglich sein konnten, auch mal nachts und zu Fuß und in der S-Bahn. Ich hatte schon immer einen ganzen Film mit einer Vollformat-Fotokamera mit guten Videofeatures drehen wollen, das musste gar keine Sony Alpha sein. Aber wir hatten halt die Alpha zur Hand.
Wir hatten damals auch den richtigen Assistenten im Team, der nämlich gerne bastelt und experimentiert und der dann ein Rig gebaut hat. Die ersten beiden Tage liefen extrem holprig, aber danach hatten wir die Technik einigermaßen im Griff – und seitdem ich diesen ersten Film mit dieser Kamera gedreht habe, bleibe ich ihr treu. Ich habe mich total verliebt in den Look, aber auch in die Leichtigkeit und Beweglichkeit dieser Kamera – und trotzdem kann man ja damit cineastische Bilder machen, auch fast ausschließlich mit vorhandenem Licht, weil der Sensor sehr lichtempfindlich ist. Ich habe ja Fotografie studiert und war viele Jahre mehr im Gegenteil von Bewegtbild unterwegs. Deswegen ist mir auch die Komposition von Bildern unheimlich wichtig und ich finde, auch beim Bewegtbild müssen die Bilder genauso standhalten wie in der Fotografie. Ich versuche immer, ein Bild so zu bauen, dass man es sich eigentlich auch an die Wand hängen könnte und das auch in der langen Betrachtung standhält. Das gelingt natürlich im Reportagebereich nicht mit jedem Bild. Da muss es auch mal schnell gehen – aber das ist der Anspruch und weil ich die Gestaltungsmöglichkeiten eines großen Sensors und von lichtstarken Objektiven mag, war die Alpha zu dem Zeitpunkt genau das richtige Werkzeug für mich. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, so etwas mit einer EB-Kamera zu drehen.
Die Bewegungen der Kamera wirken trotz des geringen Gewichts sehr ruhig. Hast du sie stabilisiert?
Dafür hatten wir eine spezielle Vorrichtung gebaut. Ich bin kein großer Freund von Easyrigs, weil ich mir damit nicht beweglich genug vorkomme. Stattdessen habe ich mir einen Cinesaddle umgehängt und die Kamera daraufgelegt. Dadurch ist sie einigermaßen stabilisiert und man hat zusätzlich eine schöne, leichte Untersicht. Wenn die Kamera auf der Schulter ist, schaut man immer so ein wenig von oben herab, aber mit dem Cinesaddle blickt man von unten nach oben, das finde ich sehr schön. Es ist kein Gestaltungsmittel, das sich in den Vordergrund schiebt, sondern eher unterschwellig.
Wenn du den Film anschaust, dann siehst du, dass sich in den meisten Einstellungen die Kamera gar nicht bewegt. Die paar Schwenks, die ich gemacht habe, haben sie im Schnitt natürlich fast alle genommen! Aber eigentlich mag ich eine statische Kamera und versuche, unmotivierte Kamerabewegungen zu vermeiden. Nur in Situationen, in denen es dann wirklich passt, die eine gewisse Dynamik haben, bewege ich dann die Kamera mit, aber dann immer geführt am Protagonisten oder an dem Objekt, das bewegt.
Aber ansonsten gibt es schon den Gestaltungsanspruch, aus jeder Einstellung etwas Besonderes zu machen, wenn es irgendwie geht. Das kann über die Kadrage geschehen oder über das Licht. Du hast sicher gemerkt, dass der Film fast ausschließlich im Gegenlicht gedreht ist.
Zum Thema Gegenlicht: Die Jury hat in ihrem Statement von unsichtbaren Linien gesprochen und der Film hat ja auch etwas zum Thema, was wir Menschen visuell gar nicht wahrnehmen können, nämlich die radioaktive Strahlung rings um Tschernobyl. Inwiefern war es für dich eine Herausforderung, etwas Unsichtbares zu zeigen? Wir hatten wirklich Respekt, gerade weil man die Strahlung nicht sehen kann und weil die radioaktive Verseuchung auch nicht gleichmäßig verteilt ist oder mit der Entfernung zum Reaktor abnimmt. Das Ding ist damals explodiert, dann hat es gebrannt und es wurde Material herausgeschleudert, was dann irgendwo zufällig wieder heruntergefallen ist. Direkt am Reaktor kann man mittlerweile so gut wie keine Strahlung mehr messen und dann gibt es wiederum Hotspots, die aber teilweise viele Kilometer entfernt sind.
Bis wir das gelernt und mental im Griff hatten, gab es beim Dreh eine etwas paranoide Stimmung, die wiederum die Lichtgestaltung beeinflusst hat. Gegenlicht lässt Teile des Motivs im Verborgenen, Gegenlicht klärt nicht auf, sondern lässt bestimmte Elemente auch mal bewusst im Dunkeln, in den Silhouetten und Schattenbereichen – und das war für mich sinnbildlich für das, was wir nicht wissen und sehen können. Andererseits kann das Gegenlicht unsere Erkenntnis durch zum Beispiel die Kontraste verstärken. Die Learnings, die wir gemacht haben während dieser Reise, wann welche Isotopen zerfallen und dass man die Kartoffeln aus der Region deswegen ohne Bedenken essen kann, stecken für mich sinnbildlich in diesem Lichtkonzept. Es gibt die Tatsachen, die wir wissen und es gibt Fakten, die wir nicht wissen, es gibt Objekte, die wir sehen können, und es gibt wiederum auch die Dinge, die wir nicht sehen können und die im Verborgenen bleiben. [15269]