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Dem Schnitt ein Gesicht geben

Die Editorin Carlotta Kittel hat im Januar das 41. Filmfestival Max Ophüls Preis genutzt, um für die Ausgabe 3.2020 von Film & TV Kamera auf ihr eigenes Gewerk zu schauen.

Filmstill aus “Live”

Im Zug nach Saarbrücken denke ich zurück an meinen ersten Besuch des Festivals vor drei Jahren. Ich erinnere mich vor allem an die warmherzige Atmosphäre zwischen Filmteams und Publikum sowie an den kollegialen und sehr interessierten Austausch zwischen den Filmemacher*innen. Damals war ich als Regisseurin von „ER SIE ICH“ beim FFMOP. Diesmal fahre ich zur Premiere des von mir montierten Films „Glitzer & Staub“. Ich frage mich, inwiefern ich in der Rolle der Editorin eines Filmes anders wahrgenommen werde als seinerzeit als Regisseurin. Viele meiner Montage-Kolleg*innen reisen ebenfalls zum Festival nach Saarbrücken und ich möchte in den kommenden Tagen mit ihnen darüber sprechen, wie und wo unser Gewerk auf dem Festival Beachtung findet.

Direkt nach der Premiere des Spielfilms „Nur ein Augenblick“ (Regie: Randa Chahoud) treffe ich auf die Editorin des Films Adrienne Hudson. In dem Film geht es um die Beziehung eines Paares, Lilly und Karim. Als Karims Bruder Yassir in Syrien in ein Foltergefängnis verschleppt wird, bricht Karim auf, um ihn zu befreien. Während die schwangere Lilly in Hamburg bleibt, findet sich Karim plötzlich in einer Gruppe syrischer Widerstandskämpfer wieder. Die Montage des Films entscheidet sich, den Fokus der Erzählung auf die Parallelität der zwei Welten zu legen und räumt beiden Hauptfiguren in etwa gleich viel Raum ein. Hudson erzählt: „Die Regisseurin hatte ein sehr gutes Verständnis für den Montageprozess. Sie war offen für neue Ideen und pragmatisch, wenn etwas nicht ging. Das war eine schöne Erfahrung, denn das habe ich oft anders erlebt.“

Hudson findet es nachvollziehbar, wenn das Sprechen über die Montage eines Films für das Saarbrücker Publikum keine große Bedeutung hat. Bei diesem Film seien die Fragen zum politischen Hintergrund die brennenderen. Trotzdem sei sie über das Verhalten der Moderatorin sehr irritiert gewesen: „Nachdem ich mich namentlich und als Editorin vorgestellt hatte, fragte sich mich trotzdem, ob ich nach dem Film mit auf die Bühne wolle! Aber das ist nichts Neues, das passiert einem als Editorin ständig. Ein bisschen habe ich mich damit abgefunden. Ich möchte auch nicht so gerne vor dem großen Publikum reden, weil ich sehr schüchtern bin und mir dann immer die Worte fehlen. Andererseits: Wenn ich es öfter mache, fällt es mir natürlich mit der Zeit auch leichter.“

Igmorierte Gewerke

Nicht nur Editor*innen werden in Filmgesprächen ignoriert. Das betrifft die meisten Gewerke. Der Fokus liegt oft ausschließlich bei der Regie, und zwar nicht nur in Saarbrücken, sondern auf den meisten Filmfestivals. Beim FFMOP gibt es grundsätzlich nach jedem Film ein Gespräch. Das ist natürlich toll, sowohl für die Filmteams als auch für das Publikum. Dass dann bei der großen Anzahl an Moderator*innen nicht jedes Q&A die gleiche Qualität haben kann, versteht sich von selbst. Ein sehr bereicherndes Q&A findet nach einem Screening des Dokumentarfilms „Standing in Front of Many Houses“ (Regie und Montage: Ekaterina Reinbold, Montageberatung: Michel Wagenschütz) statt. Der Moderator Mark Stöhr leitet das Gespräch angenehm sanft und die vier angereisten Teammitglieder sind inhaltlich gut abgestimmt. Sie ergänzen sich im Gespräch, ohne spürbare Hierarchien und in einem respektvollen Umgang miteinander. Der Film handelt von einer jungen Frau, die nach 20 Jahren in ihren Heimatort in Sibirien zurückkehrt. Dort begegnet sie nicht nur den Dorfbewohner*innen, sondern auch ihren eigenen Kindheitserinnerungen und Ängsten. Der Film zeugt von einer tiefen Auseinandersetzung mit dem Thema Heimat und Identität, die auch im Q&A spürbar wird.

Im Vergleich der verschiedenen Filmgespräche fällt auf, dass einige Moderator*innen besonderen Wert darauf legen, das ganze Team zu Wort kommen zu lassen. Anderen fehlt es an dieser Sensibilität oder sie kennen sich vielleicht nicht gut genug in den einzelnen Gewerken aus, um kompetente Fragen zu stellen. Das wäre ein Stück weit verständlich. Es ist kompliziert, über Montage zu sprechen. Montage ist Prozessarbeit und der Prozess führt zum finalen Werk, ist darin allerdings kaum erkennbar. Es braucht nach meiner Erfahrung aber gar nicht viel, um mit Editor*innen ins Gespräch über ihre Arbeit zu kommen. Fragen zum Prozess können ebenso interessant sein, wie spezifische Fragen zu einzelnen Szenen. Letztlich werden alle Elemente eines Filmes in der Montage zusammengefügt oder angelegt und können somit Gegenstand eines Gesprächs werden.

So erlebt es auch Florentine Bruck, Editorin des Spielfilms „Live“ (Regie: Lisa Charlotte Friedrich): „Nach dem Screening wurden natürlich alle Schauspieler*innen und alle Teammitglieder nach vorne geholt“, erzählt sie. „Aus dem Publikum kam ein Lob zu den tollen Bildern und die Moderatorin sagte dann: ‚Ach wie schön, wir haben hier auch die Editorin, dann fragen wir sie doch gleich mal, wie sie mit den Bildern umgegangen ist!‘ Das fand ich super. In Bezug auf Dramaturgie ist es natürlich schön, wenn man schöne Bilder hat, aber Schnitt geht ja über schöne Bilder hinaus. Ich habe diese Frage dann sehr gerne beantwortet und dabei auch ein bisschen weiter ausgeholt.“

Selbstbewusstsein trainieren

Florentine Bruck gehört zu den Kolleg*innen, die gerne Präsenz zeigen und sich politisch engagieren. Wenn sie in einem Q&A über die Montage eines Filmes spricht, so gehe es nicht nur um sie selbst, sondern immer auch darum, den Beruf zu repräsentieren. Sie habe sich das Selbstbewusstsein, vor Publikum zu sprechen, jedoch erst im Laufe ihrer 30-jährigen Berufserfahrung antrainiert. Bruck erinnert sich an ihr erstes Q&A 1994: „Das waren so absurde Fragen wie: ‚Wie viel Material gab es denn?‘, also nicht inhaltlich, sondern eher so: ‚Na, fragen wir die Kleine auch mal was‘. Aber die Frage nach der Materialmenge gibt es auch jetzt noch manchmal. Für Leute, die nicht so in der Materie drin sind, geht es meist darum, wie eng man mit der Regie zusammengearbeitet hat. Es gibt teilweise großes Erstaunen im Publikum, wenn man sagt, dass man ja eh erst mal sechs Wochen alleine am Rohschnitt gearbeitet hat. Alle denken, es säße permanent jemand hinter uns und würde ‚Cut, cut, cut‘ sagen. Dann erkläre ich oft, dass wir absolut inhaltlich Vorgaben machen, dass wir mit dem Rohschnitt unsere eigene Sicht und Interpretation des Materials präsentieren, dass wir diese Freiheit haben und dass diese Freiheit auch gewünscht wird und sein muss. Wenn wir diese Freiheit nicht hätten, würde kein Film je fertig werden. Es findet immer noch zu wenig statt, dass die Öffentlichkeit wirklich weiß, was Schnitt bedeutet.“

Die Filmauswahl beim FFMOP zeigt eine Diversität in erzählerischen Formen und filmischen Mitteln. So findet man beispielsweise im Dokumentarfilmwettbewerb auf der einen Seite Filme, die sich einer eher klassischen Dramaturgie bedienen, auf der anderen Seite aber auch einen Film wie „Lost in Face“ (Regie: Valentin Riedl, Montage: Ivan Morales jr.), der den Publikumspreis Dokumentarfilm und den Preis für die Beste Musik in einem Dokumentarfilm erhielt. Im Film geht es um eine Frau geht, die keine Gesichter erkennen kann.

Collageartige Montage: „Lost in Face“

In einer collageartigen Montage bringt uns der Film seiner Protagonistin und ihrer Wahrnehmung der Welt Stück für Stück näher. Es gibt beobachtende Szenen, Interviews, animierte Szenen sowie Bilder, Filme und Texte der Protagonistin. So lernen wir einen besonderen Menschen kennen, der vor Lebensfreude und Kreativität sprüht und in diesem Film ebenso sensibel wie poetisch porträtiert wird.

Oliver Baumgarten, der künstlerische Leiter des FFMOP, sieht es als eine Aufgabe des Festivals, eine Bandbreite in der Filmauswahl darzustellen. „Wir wollen schauen, wie divers der Nachwuchs das Erzählen interpretiert“, sagt er. „Die Unterschiedlichkeit der Filme hat sicherlich sehr viel mit ihrer Montage zu tun.“ Baumgarten ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass auch dieses Jahr wieder zwei Editor*innen in die Jurys eingeladen wurden, Heike Parplies (Spielfilm) und Joana Scrinzi (Dokumentarfilm). Er war Mitgründer des Montage-Filmfestivals in Köln, das seit 2019 Edimotion heißt. Die Erfahrungen aus der Zeit bei diesem Festival beeinflussen seine Arbeit beim FFMOP. Er erklärt: „Damals habe ich es immer wahnsinnig geschätzt, wie Editor*innen Filme sehen und versuchen, Filme zu verstehen oder zu lesen. Diese Perspektive finde ich sehr wichtig für die Jurygespräche. Als Veranstalter will ich ja nicht lenken und bestimmen, welcher Film gewinnt. Aber ich möchte doch, dass eine bestimmte Art von Diskussion über die Filme gepflegt wird.“

Während des Festivals erfahre ich prompt von einer aktuellen Online-Petition, die sich für mehr Montagepreise auf Filmfestivals einsetzt. Beim FFMOP werden insgesamt 16 Preise im Wert von 118.500 Euro vergeben, doch wie auf vielen Filmfestivals gibt es auch hier keinen Preis für Montage. Die Festivalleiterin und Geschäftsführerin Svenja Böttger erklärt mir ihr Dilemma: Es sei sehr schwierig, Preisstifter*innen für dotierte Preise zu finden. Ihr sei es wichtig, keine Sachpreise zu vergeben, denn als Nachwuchsfilmemacher*in könne man mit Geld einfach mehr anfangen, als mit einem Gutschein für irgendeine Software.

Zwei wichtige Preise des Festivals gehen an den Film „Neubau“: der Preis für den Besten Spielfilm sowie für den Gesellschaftlich Relevanten Film. Bei seiner Dankesrede auf der Bühne nennt der Regisseur Johannes Maria Schmit als Erstes die Kamerafrau Smina Bluth und die Editorin Antonella Sarubbi als wichtige Mitarbeiterinnen. „Neubau“ erzählt die Geschichte von Markus, der hin- und hergerissen ist zwischen seinem Alltag in der Brandenburger Provinz und der Sehnsucht nach einem anderen Leben in Berlin. Die Laudatio für den Preis für den Besten Spielfilm würdigt indirekt auch die Montage des Films, beschreibt diesen als leise, aber lange nachwirkend. Sarubbi erzählt: „Der Film wurde von Anfang an als queerer Heimatfilm bezeichnet. Es geht um Transmenschen und Rollenbilder jenseits der Klischees. Das fand ich spannend und neu und wichtig. Ich arbeitete anfangs viel alleine und hatte viel Freiheit. Im Laufe des Prozesses gab es neben mir drei Stimmen: natürlich den Regisseur und dann gegen Ende der Schnittzeit auch die Produktionsfirma und den Drehbuchautor Tucké Royale, der auch der Hauptdarsteller ist. Wir hatten sehr wenig Zeit für die Montage, weil es nur ein kleines Budget gab. Normalerweise würde ich sagen: ‚Krass, vier Menschen, die reinquatschen, das ist kompliziert und macht alle wahnsinnig‘. Aber in dem Prozess war es genau richtig: Alle hatten eine klare Vorstellung vom Material. Wir sprachen offen darüber, was die Probleme und die Stärken sind, was wir erreichen und was wir vermeiden wollen. Und durch diesen Austausch war der Prozess dann auch schneller. Ich war echt überrascht, dass das so gut funktioniert hat. Es gab zwar eine Hierarchie, aber es hat sich niemand als Chef*in gefühlt. Am Ende haben wir ein Ergebnis bekommen, hinter dem wir alle stehen.“

Der von Adrienne Hudson montierte Film „Nur ein Augenblick“ gewinnt den Preis der Jugendjury und den Preis für den Besten Schauspielnachwuchs für den Hauptdarsteller Mehdi Meskar. Wie in jedem Spielfilm wurde letztlich auch hier das Schauspiel erst in der Montage spezifisch modelliert und final gestaltet. Somit ist dieser Preis, wenn auch nicht explizit erwähnt, ebenfalls eine Anerkennung der Montageleistung. Vieles ist also beim FFMOP schon auf einem guten Weg. Aber für die Zukunft wünsche ich mir mehr ausdrückliche Würdigung des Gewerks Montage. [12012]

 

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