Wir stellen die Preisträger des 30. Deutschen Kamerapreises vor
von Redaktion,
In unserer Ausgabe 9.2020 begannen wir mit einer kleinen Serie, in der wir die Preisträgerinnen und Preisträger des 30. Deutschen Kamerapreises vorstellen. Als erstes sprachen wir mit Claire Jahn, die für die Beste Kamera im Kurzfilm für „Die Schützin“ prämiert wurde.
Claire Jahn wurde 1986 geboren und wuchs in München und Augsburg auf. 2014 schloss sie das Kamerastudium an der FH Dortmund mit Diplom ab. Jahn drehte seitdem viele Kurzfilme, Werbung sowie Dokumentationen und TV-Reihen. Sie erhielt den 30. Deutschen Kamerapreis in der Kategorie „Beste Kamera / Kurzfilm“ für „Die Schützin“ über eine Scharfschützin, der langsam die Kontrolle über ihre Welt entgleitet.
Was bedeutet es für dich, den Deutschen Kamerapreis für „Die Schützin“ zu bekommen?
Für mich persönlich ist es eine wahnsinnig tolle Auszeichnung! Man arbeitet ja sonst so vor sich hin und weiß nicht so richtig, wie das ankommt. Die Leute rufen immer wieder an und wollen weiter mit mir arbeiten – es scheint also grundsätzlich richtig zu sein, was ich da mache. Aber so ein Preis ist eine Auszeichnung von außen! Es finden die eigenen Konzepte auch andere Leute interessant und preiswürdig. Es ist schön, dass man bestärkt wird in seinem Weg, auch verrücktere Konzepte auszuprobieren. Dass der Film einen Preis gewonnen hat, kann auch anderen Leuten Mut machen. Dieser Film ist mit einem unfassbar kleinen Budget gedreht, viele Sachen waren einfach nicht möglich. Der Film zeigt also auch, Einschränkungen müssen nicht immer negativ sein.
Bringen Limitationen für dich eine künstlerische Befreiung?
Ja, klar! Das Konzept hat jetzt zum Film gepasst. Es war eine glückliche Fügung, dass auch die Geschichte schon so gebaut war und auch die Vision des Regisseurs schon dementsprechend aussah. Wir haben eine distanzierte Perspektive, beobachtend, ähnlich wie die Schützin selbst. Das Kamerakonzept ist eigentlich auch das Konzept der Hauptfigur, beobachtend, distanziert.
Das heißt, du konntest schon auf einer visuellen Idee des Regisseurs Simon Baucks aufbauen? Simon hat beim Drehbuchschreiben schon ein kleines Manifest mitgeschrieben zur Gestaltung. Klar, wir sind von manchen Dingen abgewichen. „Der Mensch befindet sich in einem Kosmos, der seinen Geist und sein Wirken überschreitet / transzendiert.“ Das war etwas, worüber wir auch oft gesprochen haben. Es geht darum, dass diese Figuren alle Teil eines größeren Kosmos sind, der sich eigentlich nicht für sie interessiert. Deswegen war uns immer total wichtig, diese Drohnenaufnahmen zu haben, da diese die anderen Aufnahmen noch mal einordnen in einen noch größeren Kosmos, in dem die Geschichte gar keine Rolle spielt.
Wie hast du dich vorbereitet? Machst du eine Shotlist?
Ja, das mache ich immer! Wir haben uns intensiv vorbereitet, haben Filmbeispiele angeguckt. Wenn man so einen Film wie „Die Schützin“ macht, muss man noch mal in „Léon der Profi“ reingucken. (lacht) Man sollte wissen: Was ist da schon entstanden? Was gibt es schon für Konzepte? Darüber rede ich am Anfang mit den Regisseuren, dass wir uns annähern auf eine Einstellungen oder ein Gefühl oder eine Farbigkeit. Etwas sammeln: Wo sehe ich den Film? Was sind Einstellungen, die ich mit dem Film verbinde? Und dann mache ich eine Auflösung mit der Regie und wir sprechen jede Szene durch. Welche Einstellung könnte das sein? Was sind die Blickrichtungen? Ganz wichtig war uns, dass die Auflösung so reduziert wie möglich sein sollte, ganz konzentriert. Wie viele Shots braucht man wirklich, um diese Szene zu erzählen? Bei manchen Szene waren wir uns nicht sicher. Zum Beispiel die Montagesequenz mit den Leichen in den Totalen. Wir hatten zwei Konzepte: Entweder total statisch und ein Ding kommt nach dem anderen oder wir machen leichte Fahrten in den Standbildern. Dann haben wir bei der Auflösung drüber nachgedacht und sagten: Eigentlich klingt das mit den statischen Totalen mehr nach unserem Konzept. Aber vielleicht ist es langweilig. Dann haben wir das einfach ausprobiert, die Einstellungen abfotografiert und mit Fotos aneinander geschnitten. Dann hatten wir ein Gefühl, das funktioniert schon.
Hast du das hier zum ersten Mal so gemacht?
Ich mache das häufig, dass ich eine Schlüsselszene einfach ausprobiere, mit Fotos oder mit dem Handy gefilmt und grob mit Standins durchgespielt. Das ist ja heutzutage möglich mit dem Smartphone. Man ruft zwei Freunde an, die spielen das kurz durch, klar muss man abstrahieren, aber man kann es ausprobieren.
Was war dir im visuellen Konzept wichtig? Wir haben viel darüber gesprochen, welche Perspektiven wir einnehmen. Im ganzen Film ist die Kamera so aufgebaut wie die Arbeit der Schützin. Sie ist eine Beobachterin, die aus der Distanz beobachtet. Die Perspektiven sind immer distanziert, selbst wenn wir uns heran bewegen, spürt man immer, dass wir auf Distanz sind. Und wenn wir die Schützin erzählerisch verlassen, im Kindergarten zum Beispiel, wirkt die Kamera immer beobachtend, ist nie mitten im Geschehen, steht an der Tür, lugt herein. Manchmal sitzen wir jemandem gegenüber, auch manchmal sehr direkt auf der Achse und beobachten die Menschen. Man hat im Film die Möglichkeit, Leute sehr nah zu beobachten, hat trotzdem nicht das Gefühl, ihnen zu nah zu kommen.
Hast du danach auch deine Objektive ausgesucht? Genau, der Film ist nur auf zwei Optiken gedreht! Hauptsächlich sogar nur auf einer! Auf einem 100er KOWA, anamorphotisch! Wir haben auf einer alten ARRI ALEXA mit 4:3-Sensor gedreht. Das war einerseits eine Budgetentscheidung. Die steht halt auch bei ARRI im Regal, weil keiner die mehr ausleiht. Andererseits hatten wir dadurch ein breiteres Bild mit der KOWA. Nur wenn es diese beobachtenden POVs der Schützin durch das Zielfernrohr ihres Gewehrs gibt oder die POVs auf die Leichen, das ist mit einem starken Tele gedreht, dem Canon 600er, ist aber eine sphärische Optik. Der Look durfte sich unterscheiden, weil das ein ganz anderer Blick ist!
Was war die größte Herausforderung?
Das ist schwierig. Ich würde schon sagen, dass das geringe Budget die größte Herausforderung war. In einem Nachtmotiv, in der ersten Szene mit der Bank und der Raffinerie – da war kein Strom vor Ort. Bei einem normalen Dreh würde ich da einen Generator hinstellen und ein paar Lampen aufbauen. Aber bei einem Studentenfilm geht das halt nicht. Wir haben uns trotzdem getraut, haben Lampen genommen, die auf Akku laufen. Dann haben wir gesagt, wir nehmen einen Hintergrund, der leuchtet und haben in Wesseling bei den Raffinerien gedreht. Andere Leute würden sagen, das ist unmöglich. Heutzutage geht es auch mit weniger Mitteln. Wir haben nur acht, neun Tage gedreht, mir war es wichtig, die Tage nicht zu voll zu packen. Ein Team, das umsonst arbeitet, muss dann nicht auch noch 15-Stunden-Tage schieben. [13260]