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Wir stellen die Preisträger des 32. Deutschen Kamerapreises vor (1)

Gelernte Würde

Auch in diesem Jahr stellen wir die Gewinnerinnen und Gewinner des Deutschen Kamerapreises in kurzen Interviews vor. Den Anfang machte in unserer Ausgabe 10.2022 Max Preiss, der für seine Kameraarbeit bei „Niemand ist bei den Kälbern“ in der Kategorie Spielfilm ausgezeichnet wurde.

Max Preiss
Foto: Laura Lehmus

Max Preiss ist Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) und war Stipendiat am California Institute of the Arts. Während des Studiums entstanden vorwiegend Kurzfilme wie etwa „Manolo“ (Deutscher Kurzfilmpreis, 2010) und „Komm und Spiel“ (Le Prix Découverte in Cannes, Kodak Student Cinematography Award, 2013). Nach seinem Abschluss übernahm er die Bildgestaltung bei zahlreichen internationalen Dokumentar- und Spiel- filmproduktionen, darunter fallen vier Premieren auf dem Sundance Film Festival und ein Emmy für „Outstanding Cinematography: Documentary“ („The Trade“, 2021). „Niemand ist bei den Kälbern“ ist die zweite Zusammenarbeit mit Regisseurin Sabrina Sarabi.

Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Kamerapreis in der Kategorie Spielfilm! Wie hat es sich denn angefühlt zu gewinnen?
Das war eine Überraschung! Ich habe beim besten Willen nicht daran geglaubt, dass der Film überhaupt eine Chance hat. Das war kein Pessimismus, aber ich habe noch nie selbst etwas beim Deutschen Kamerapreis eingereicht, und dann war ich zum einen überrascht, diesen Anruf zu bekommen und dann auch überrascht, dass es den Film getroffen hat. Ich hatte gedacht, der sei zu klein und zu eigenwillig, um da etwas reißen zu können.

Wie bist du dazu gekommen, die Kamera bei diesem Projekt zu machen?
„Niemand ist bei den Kälbern“ war das zweite Projekt, das ich mit Sabrina Sarabi realisiert habe. Mit ihr hatte ich davor schon ihren Debütfilm „Prélude“ gedreht, mit Louis Hofmann und Lisa Fries in den Hauptrollen, ganz ganz Low-Budget mit 300.000 Euro. Beim nächsten Projekt ging es dann relativ flott, auch mit der Finanzierung und das wollten wir auch wieder gemeinsam machen.

Wie ist das Konzept für die visuelle Umsetzung des Stoffes entstanden?
Wir haben das alle gemeinsam entwickelt – Sabrina hatte den Head of Departments, also etwa Szenenbild, Kostüm, Maske, sehr viel Freiraum gegeben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und selber daran zu gehen. Sie wollte vor allem vermeiden, dass wir uns zu früh irgendwelche Regeln auferlegen, zum Beispiel, was das Farbkonzept angeht. Sabrina ging damit relativ offen um, um möglichst ein dokumentarisches Gefühl zu bekommen. „Grün ist nicht erlaubt. Rot nur dann und dann“ – so etwas gab es nicht. Die Szenenbildnerin Susanna Haneder und ich sind sehr viel durch Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein getourt. Dadurch haben wir im Zusammenspiel mit Regie sehr gut unsere Ideen zirkulieren lassen können. Sabrina war es ungemein wichtig, den Dreh anders anzugehen als noch bei „Prélude“. Der Film war visuell klarer, dadurch aber auf eine gewisse Weise auch starrer. Weg vom Dolly, weg vom Stativ, weg von zu filmisch geschöntem Licht zu einer im Prinzip rohen Handkamera, um da wirklich das Gefühl anzuschieben, dass man dokumentarisch mit dabei ist und die Dinge zum ersten Mal sieht.

Filmstill aus "Niemand ist bei den Kälbern"
„Niemand ist bei den Kälbern“ (Foto: Max Preiss)

Wie bist du bei diesem dokumentarischen Ansatz mit dem Licht umgegangen?
Die Innenmotive wie das Gutshaus und die Wohnungen habe ich geleuchtet. Im Stall habe ich partiell dazugesetzt. „Licht zu machen“ – dem ging eine lange Diskussion mit Sabrina voraus. Im Endeffekt haben wir uns darauf geeinigt, dass wir Licht machen. Im Gegenzug habe ich ihr mehr Freiraum in der Inszenierung durch Kontinuität im Licht versprochen. Die Hauptsache war, dass Saskia immer toll natürlich ausschaut und nicht klassisch geleuchtet, wie man das zu oft gesehen hat. Ich habe mich darum bemüht, das Licht so natürlich wie möglich zu bauen. Danach habe ich immer die Sonnenkerne ein bis eineinhalb Meter rausgedreht, dass sie nicht mehr da treffen, wo man es eigentlich sonst aus einem ästhetischen Anspruch heraus machen würde. Dann bin ich da rein mit der Kamera! Immer 360 Grad. Allerdings habe ich manchmal etwas gelitten, wenn es an der ein oder anderen Position etwas heißer oder härter wurde. Aber das hat, glaube ich, diesen Charakter ausgemacht, dass es eben nicht geleuchtet aussieht, weil das Licht nicht immer da liegt, wo es „schön“ ist.

Welche Technik hast du eingesetzt?
Wir hatten ein klassisches kleines Handkamera-Setup mit der ARRI ALEXA Mini und den Cooke S2/S3. Die Objektive hatte ich ausgesucht, weil sie im Zusammenspiel mit unserem Maskenkonzept wunderbar funktioniert haben, nämlich so wenig wie möglich, damit wir weniger auf die Anschlüsse schauen mussten. Auch gerade was Schweiß angeht – nicht, dass dann immer sofort das Make-up verwischt. Und da Sabrina auf einen relativ natürlichen Look aus war und ich nicht zu scharfe Optiken nehmen wollte – ich hatte das beispielhaft einmal getestet mit ganz viel Weichzeichnerfiltern –sind wir zum Schluss bei den Cooke S2/S3 gelandet, weil die das quasi schon mitbringen. Und dann noch die Randunschärfen und die kleinen feinen Unsauberkeiten, die die Leinwand leuchten lassen. Für mich war es essenziell, eine leichte Kamera und ein klei- nes Setup zu haben, weil wir komplett auf Hand gedreht haben. Es gab einen einzigen Stativschuss, für VFX – den haben wir letztlich gar nicht gebraucht.

Wie kam das?
Da sollte ein Hund tot sein. Das war als VFX-Shot geplant, weil nicht garantiert war, dass der Hund mitspielen würde! Aber dann hat sich der Hund hingelegt und fünf Minuten lang „toter Hund“ gespielt. Wir hatten gedacht, wir bekämen vielleicht einen, maximal eineinhalb Takes hin und dann konnten wir fünf Takes drehen, weil der Hund einfach nicht mehr aufgestanden ist – und gefühlt auch nicht mehr geatmet hat. Man konnte nicht sehen, dass sich der Bauch bewegt! Wir haben dann trotzdem zur Sicherheit noch den VFX- Schuss gedreht, also gelockt, dass man das zur Not noch austauschen konnte. Aber der ist nicht im Schnitt gelandet. Das war der einzige Stativschuss, der Rest war komplett aus der Hand, nichts stabilisiert, keine Steadicam, nichts.

Die Jury beim Deutschen Kamerapreis hat dein kluges Konzept gelobt und eine respektvolle und uneitle Kamera.
Ja, was das Konzept angeht: Wenn man alles über Bord wirft, um frei zu sein, ist das wahrscheinlich ein kluges Konzept! Bei dem man sich aber einfach mit relativ wenigen Regeln im Vorfeld wenig beschneidet. Damit geht man natürlich auch hier und da ein paar Risiken und Kompromisse ein. Aber wenn man bereit ist, die in Kauf zu nehmen, ist es eine wahnsinnig spannende Reise.

Nachts war es manchmal etwas herausfordernd, da wir nicht die großen Einheiten dabei hatten und viel im Obergeschoss spielte. Das war nicht immer ganz einfach. Das Tolle aber an unseren Nächten war: Sabrina wollte die Nächte so dunkel haben, wie es nur geht! Ich musste dann immer gucken, was kann sie auf ihrem hellen Monitor gerade noch sehen und was ist technisch irgendwie noch in Ordnung, so dass es nachher auf der Leinwand auch noch etwas zu sehen gibt. Ich wollte nie funktionales Licht machen wie in ein, zwei Referenzfilmen, die uns inhaltlich gut gefallen haben. Also nicht irgendwo flaches Licht aufbauen, das die Schauspieler grell ausleuchtet, dass man sieht, was die da spielen, aber das Licht bleibt komplett ohne Logik. Bei mir dreht sich alles um die Atmosphäre. Da bin ich dann auch tatsächlich eher auf der dunkleren Seite, wo man über die Augen das Wesentliche zum Vorschein bringt.

Zum Thema „respektvoll“ – ich habe sehr viele Dokumentarfilme drehen dürfen, unter anderem mit Matthew Heinemann, der „Cartel Land“ und „City of Ghosts“gemacht hat. Für ihn habe ich lange zwei Dokuserien in Mexiko und den USA gedreht – und da hast du schwierige Subjekte, auch, was die Moral angeht und was die so treiben. Trotzdem musst du immer versuchen, einen würdevollen Blick auf die Menschen zu werfen, ohne sie im Vorfeld zu diffamieren, auch gerade, weil die Kamera das kann!

Bei der Saskia – gleichwohl sehr viel sympathischer – war das immer auf Augenhöhe oder leicht drunter. Ich bin viel in der Hocke gegangen, einfach um nicht aus Gemütlichkeit oder Komfort aufrecht zu gehen, um dann aber herunterzuschauen auf eine Schauspielerin, die vielleicht ein kleines bisschen kleiner ist als ich. Im Film geht es ja um sie, aber es geht eben auch um die Landschaft drumherum, ohne dass es die fetten Landschaftstotalen gibt. Die werden en passant miterzählt. Aber den würdevollen Blick habe ich beim Dokumentarfilm drehen gelernt. [15259]

 

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