Wir stellen die Preisträger des 34. Deutschen Kamerapreises vor (7)
Gesamtkunstwerk in 4:3
von Sven Kubeile,
In unserer Serie über die Gewinner des 34. Deutschen Kamerapreises richten wir diesmal den Fokus auf die Nachwuchspreise. Markus Ott wurde mit dem Nachwuchspreis in der Kategorie Kamera geehrt. Wir interviewten den Preisträger für unsere Ausgabe 12.2024.
Leider noch mit Corona-Maske: DoP Markus Ott und Regisseurin Natascha Stogu (Foto: privat)
Markus Ott, geboren 1992 in Ludwigsburg, absolvierte zunächst ein Bachelorstudium im Bereich Zeitbasierte Medien an der Hochschule Mainz. Im Anschluss setzte er seine Ausbildung im Fach Kamera an der Filmakademie Baden-Württemberg fort und verbrachte zudem einen Studienabschnitt an der renommierten La Fémis in Paris. Im Jahr 2024 schloss er sein Diplom an der Filmakademie ab. Während seiner Studienzeit wurde er durch Stipendien der Nachwuchsmedienförderung Rheinland-Pfalz sowie der Baden-Württemberg-Stiftung unterstützt. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Kamerapreis in der Nachwuchs-Kategorie! Wie war das für dich, den Kamerapreis zu erhalten und die eigene Arbeit so wertgeschätzt zu bekommen? Danke, das ist natürlich schon etwas Besonderes und es kam genau zur richtigen Zeit, als ich gerade mein Studium an der Filmakademie abgeschlossen habe. Der Einstieg in den Beruf fordert manchmal einen langen Atem, besonders momentan, wo weniger gedreht wird. Da ist es natürlich umso schöner, eine solche Bestätigung und so viel Rückenwind zu bekommen. Für mich ist das viel wert und ich glaube auch, dass das in der Zukunft hilfreich sein kann.
Die Auszeichnung bedeutet für mich aber auch die Verantwortung, über Diversität und Chancengleichheit in unserer Branche zu sprechen. Die ausschließlich männliche Nominiertenliste im Bereich Kamera hat noch einmal erschreckend deutlich gemacht, dass es da noch viel zu tun gibt. Deshalb haben wir auch im Vorfeld mit den Nominierten und dem Cinematographinnen e.V.einen entsprechenden offenen Brief formuliert.
Du würdest also schon sagen, dass dich dein Preis bei allen Zweifeln bei deinem beruflichen Werdegang, dabei bestärkt hast, zu erkennen dass du das Richtige tust? Auf jeden Fall! So eine Bestätigung von außen gibt Zuversicht. Und ich kann mir vorstellen, dass das auch in der Zukunft mal hilfreich sein kann, zum Beispiel wenn ich für ein Projekt in die engere Auswahl komme. Ich sehe das ein bisschen wie ein Qualitätssiegel.
Gemälde und Gesichter im Fokus: Das Format 4:3 war von Anfang an gesetzt. (Foto: Markus Ott)
Inwieweit bewegt dich das Thema um Diversität und Chancengleichheit in unserer Branche? Es ist gesamtgesellschaftlich, aber auch speziell in unserer Branche ein drängendes Thema. Ich habe mich erst einmal gefreut, dass es bei der Verleihung thematisiert wurde, inhaltlich war ich aber dennoch enttäuscht. Ich hätte mir konkrete Verbesserungsideen vom Kamerapreis erwartet, davon gab es aber keine. Stattdessen wurde die Verantwortung auf die Kamerafrauen verlagert. Sie seien mit ihrer Arbeit generell sehr kritisch und würden deshalb ihre Projekte nicht einreichen. Das hätte man ja auch umdrehen können: der Kamerapreis müsste sich verstärkt um Einreichungen weiblicher DoPs bemühen. Das wäre für mich ein besserer Ansatz.
Müsste man dann nicht viel früher ansetzen und den Beruf für Frauen zugänglicher machen? Natürlich ist das ein ausgewachsenes strukturelles Problem und diese Nominiertenliste eben ein sehr deutliches Symptom dafür. In unserem offenen Brief haben wir uns bemüht, alle Akteure, wie Filmhochschulen oder Sender mit anzusprechen. Im Nachwuchsbereich spüre ich in den letzten Jahren schon einen Fortschritt. Umso wichtiger wäre es aber, diesen Fortschritt gerade auch in der Nachwuchs-Kategorie beim Kamerapreis abzubilden.
Wahrscheinlich hätte es ja auch geholfen, zunächst einfach die Vorgehensweise bei einer Jurysitzung zu erklären, wo es allein durch die Vorgehensweise irrelevant ist, ob bei einem Film eine Frau oder ein Mann die Kamera geführt hat. Ich habe das auch über Statements von einzelnen Jurymitgliedern mitbekommen, dass sie die Filme ohne Nennung der verantwortlichen Kamerapersonen sichten. Auch sie waren unzufrieden mit dem entstandenen Ergebnis. Ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, was nun zu tun ist, eine gemeinsame öffentliche Diskussion darüber wäre aber interessant gewesen.
Versuchen wir die Brücke zu schlagen zu „Guardians of Colors“ – beginnen wir mit den Eckdaten. Wie ist das Projekt zustande gekommen und was hat dich daran begeistert? Guardians of Colors ist ein Spec-Werbefilm für United Colors of Benetton, entstanden als Diplomprojekt an der Filmakademie. Die Regisseurin Natascha Stogu ist Russin und wollte ein typisches osteuropäisches Setting aufgreifen. Dort ist es üblich, dass ältere Frauen die Gemälde in Museen bewachen und sich fast heimisch einrichten. Sie haben gemütliche Sessel und stricken, manche haben sogar ihre Katzen dabei. In unserem Film beginnen die Museumswärterinnen, Ähnlichkeiten zwischen den Gemälden und den Besucher:innen zu erkennen. Daraus entwickelt sich dann eine Dynamik, in der alle Omas in einen Choralgesang einstimmen. Ich habe gespürt, dass sehr viel Herzblut von Natascha darin steckt und habe mich in der ästhetischen Richtung sofort wiedererkannt. Inspiriert ist die Grundidee von einer Fotoserie des Fotografen Stefan Draschan, der auch Menschen fotografiert hat, die zu Gemälden passen.
Wie bist du als DoP an die Geschichte herangegangen? Wie hast du die Ästhetik geschaffen und die Story erzählt? Wir wollten das Projekt nicht zu dogmatisch angehen. Vieles haben wir sehr intuitiv entschieden, es musste nicht immer alles begründet sein. Das war eine besondere Freiheit, die man sonst bei vielen Projekten nicht hat. Auf der anderen Seite war es aber auch eine Herausforderung, weil es zunächst schwer zu greifen war. Niemand konnte genau sagen, wie es am Ende wirklich werden soll. Also habe ich Schritt für Schritt mit Natascha die Ausgestaltung konkretisiert. Dazu haben wir Mood Filme und Fotos ausgetauscht und waren vor allem sehr viel scouten. Das war ein Prozess über mehrere Monate. Es war klar: Der Film steht und fällt mit der Location. Zum einen durch die Gemälde, die dort hängen, aber auch das Licht und die Architektur waren entscheidend. Es war großartig, so viele Museen zu besuchen, aber vor allem hat es uns geholfen, Klarheit zu bekommen. Der Song stand schon relativ früh und hat auch einen Rhythmus vorgegeben. Ich habe immer Fotos und Testvideos mit dem Handy gemacht. Das waren schon Auflösungsversuche, um dann mit Natascha zu besprechen, ob das ihrer Vision entspricht. Ein paar grundlegende Vorgaben haben wir uns trotz allem gegeben: die PoVs auf Besucher:innen sind langbrennweitig gedreht mit Zoom- oder Ranfahrten, um einen Sog zu erzeugen, den der ganze Song entfalten sollte. Die Omas sind im Gegenzug weitwinkliger gedreht. Wir sind also näher dran, weil es auch deren Perspektive ist.
Markus Ott verließ sich bei der Bildgestaltung auf sein Bauchgefühl. (Foto: Markus Ott)
Spannend, dass du viel mit Bauchgefühl arbeitest. Würdest du aber schon sagen, dass das Wichtigste erst einmal, die richtige Location zu finden, indem du an entsprechenden Orten Fotos machst, die dir helfen, alles in eine Auflösung und eine Story zu packen? Bei anderen Projekten beginnen wir mit einem Drehbuch und sprechen darüber. Auf dieser Basis entwickeln wir oft schon eine erste Shotlist noch vor dem Scouting. Für „Guardians of Colors“ gab es kein Drehbuch, deshalb ist vieles einfach beim Scouting entstanden. Es ist manchmal erstaunlich, wie gut man mit der iPhone-Kamera stabilisierte Kamerafahrten simulieren kann. Ich nehme aber auch gerne eine professionelle Fotokamera mit, um ein besseres Gefühl für das Licht und die Kontraste an der Location zu bekommen. Als das Museum dann festgelegt war, sind wir noch öfter dort hingegangen, haben weitere Gemälde und Einstellungen gesucht und Ideen getestet. Beim Dreh stand dann alles schon sehr genau fest.
Was fasziniert dich an dem 4:3-Format und wie bekommst du da eine solche Ästhetik zustande? Hat das Projekt danach gerufen? Ja, ich würde sagen, das Projekt hat auf jeden Fall danach gerufen. Ich mag das Format sehr gerne und Natascha hatte von Anfang an 4:3 mit gelben Untertiteln im Kopf. Ohne die Untertitel gibt es den Film nicht, die gehören zum Gesamtkunstwerk. 4:3 ist ein tolles Porträt-Format und es erlaubt viel Headroom, was zu den hohen Räumen und den großen Gemälden super gepasst hat. Das Format half uns auch, einzelne Gemälde in den Fokus zu rücken. Wir wollten ja immer den Bezug zwischen einem Menschen und einem bestimmten Gemälde herstellen. Das enge Seitenverhältnis hat verhindert, dass andere Gemälde mit ins Bild hineinragen.
Wie hast du das technisch gelöst? Die große Herausforderung beim Dreh war, dass fast jeder Shot in einem anderen Raum gedreht wurde. Wir mussten also permanent umziehen und hatten sehr viele Shots. Um das möglich zu machen, war die Vorplanung sehr wichtig, die 1. AD Gregor Stitzl sehr präzise mit uns gemacht hat. Außerdem habe ich das Lichtsetup relativ klein gehalten, damit wir uns schnell von Raum zu Raum bewegen können. Die Haupt-Lichtquelle ist natürlich das weiche Tageslicht, was durch die großen, gefrosteten Deckenfenster kommt. Dazu haben wir innen ein SkyPanel S360 mit einer 6×6 Softbox ergänzt, um dem Licht eine weiche, seitliche Richtung geben zu können und dabei aber mobil zu bleiben. Ansonsten haben wir hauptsächlich Licht weggenommen mit einem 12×12 Rahmen und Moltonlatten. Als Kamera habe ich eine ARRI ALEXA Mini LF mit ZEISS Compact Zooms verwendet. Wir hatten zwei Funkschärfen für die Kamera: mit einer hat der 1. AC den Fokus bedient, mit der anderen habe ich den Zoom bedient.
Was war für dich besonders an dem Film? Wir hatten ein außergewöhnliches Vertrauensverhältnis zwischen Regie und Kamera, wofür ich Natascha sehr dankbar bin. Wir haben in der Vorbereitung sehr viel aus- probieren können und am Set dann ganz koordiniert nach Plan gearbeitet. Die Freude, die wir an dem Projekt hatten, hat sich auch auf das ganze Team übertragen und zu einem tollen Ergebnis geführt. Der Film war auch auf Werbefestivals sehr erfolgreich, ich glaube gerade weil er keine WerbeÄsthetik bedient. [15507]