Wie zeitgemäß sind Filmfestivals heute noch? Spielt Journalismus dabei noch eine Rolle? Und wo treibt sich der Filmnachwuchs nach der Ausbildung herum? Wer das beantworten will, fragt ihn am besten selbst. Also hat Jens Prausnitz im Vorfeld des Camerimage die DoPs von zwei nominierten Studentenfilmen kontaktiert und sich ihre Eindrücke für unser Heft 4.2022 aus erster Hand erzählen lassen.
Muss man mehrmals auf dem Camerimage gewesen sein, um das Beste davon mitzunehmen? Geht das überhaupt in einer Industrie, die sich immer schneller massiv verändert? Wie erleben Studierende das heute? Seite frei für zwei von ihnen, deren Antworten, gemessen an weiteren Gesprächen, die ich dort führen durfte, sogar repräsentativ sind. Kadri Koop kommt zwar aus Estland, lebt und arbeitet inzwischen aber in den USA. Sie war mit „Spaceship“ im Studentenfilmwettbewerb und zum ersten Mal auf dem Festival. Sie erhofft sich von der Teilnahme Kontakte in die europäische Filmbranche, um dort später einmal Projekte angeboten zu bekommen. Philip Henze aus Deutschland, Nachwuchspreisträger beim 31. Deutschen Kamerapreis, war bei seinem dritten Besuch zum ersten Mal selbst mit dem Kurzfilm „Tala’vision“ im Wettbewerb. Auch bei ihm war die Vorfreude auf das Festival und die Leute dort groß. Von seinen ersten Besuchen hat er in Erinnerung behalten, dass es dort gute Filme zu sehen gab, sowie jede Menge tolle Gespräche und Einsichten, technischer wie inhaltlicher Art.
Wie sind eure ersten Eindrücke jetzt auf dem Festival? Kadri Koop: Sehr entspannt, auf eine Art und Weise, die ich nicht erwartet hätte. Es ist sehr gemütlich hier. Genau die richtige Art von Rhythmus. Wenn man normalerweise zu einem Filmfestival geht, vor allem in den USA, dann dreht sich dort fast alles sehr intensiv um die Vernetzung, was sehr ermüdend sein kann. Ich bin froh, dass hier nicht so viel los ist. Philip Henze: Die herbstliche Gemütlichkeit empfinde ich ähnlich, das neblige, weiche Licht von oben und die kurzen Tage. Da will man nicht lange draußen sein, also sitzt man meistens drinnen, redet und trifft sich mit Leuten, ohne dass es sich wie ein Networking-Festival anfühlt, wo es vor Produzenten und Regisseuren wimmelt, die über sich und ihre nächsten Projekte sprechen! Kadri Koop: Ich habe gar keinen Kopf für das nächste Projekt! Philip Henze: Hier ist es eher so „hast du diesen oder jenen Film gesehen“, und das finde ich wirklich toll. Dieses Mal ist es sogar noch gemütlicher, weil es so geschrumpft ist. Durch Covid sind hier weniger Leute, man bekommt sofort Karten für die Filme, sogar eine Minute vor dem Start. Mein erstes Mal war in Bydgoszcz und das zweite Mal in Toruń – da war es so voll, dass man eine Stunde anstehen musste, um in einen guten Film zu kommen. Kadri Koop: Es gibt hier so viele Gelegenheiten, anderen Filmemachern über den Weg zu laufen. Auch weil meine Eltern hier sind, bin ich mit ihnen meistens zu Filmvorführungen und Q&As gegangen. Wir waren oft im Restaurant im Hauptgebäude und haben dort den Gesprächen anderer Filmemacher gelauscht. Es ist einfach eine nette Atmosphäre, wenn sich Leute über Filme unterhalten. Ich genieße auch das Essen! Wenn man nach Europa kommt, ist das immer eins der ersten Dinge, die einem auffallen, und dann fühle ich mich sofort wie zu Hause.
Lasst uns über eure Filme sprechen, in denen in beiden ein alleinerziehendes Elternteil vorkommt, einmal aus der Perspektive des Kindes erzählt, einmal aus der Sicht des Erwachsenen.
Kadri Koop: Ich denke, beide haben sich in gewisser Weise für einen weniger glatten Look entschieden. Es gibt ein gewisses Maß an Natürlichkeit, sowohl was die Kameraführung als auch was die Beleuchtung angeht. Vielleicht hat „Spaceship“ im Grading eine stärkere Körnung bekommen. Der Hauptgrund dafür war, Textur hinzuzufügen. Wenn ich darüber nachdenke, wie ich Bilder einfange, denke ich vor allem darüber nach, was Textur erzeugt. Denn eine der schwierigsten Aufgaben in der Bildgestaltung ist es, etwas einzufangen, das unsichtbar ist: Emotionen. Die Art und Weise, wie ich damit umgehe ist, über die Texturen dieser Emotionen nachzudenken. Und Körnung ist an sich schon eine interessante Textur. Das wird auch oft klischeehaft verwendet, zum Beispiel wenn man jemanden aus den unteren sozialen Schichten porträtiert. Aber ich glaube, auf einer eher unbewussten Ebene verleiht es dem Bild eine fast schon greifbare Textur. Denn man nimmt es wahr. Selbst wenn ein ungeschultes Auge es nicht benennen kann, nimmt es dennoch Einfluss auf die Psyche. Es war großartig, mit Alastor Arnold bei FotoKem daran zu arbeiten und wir haben seitdem bei jedem Projekt zusammengearbeitet. Seinen Freunden rät er jetzt immer: „Du solltest mit Kadri arbeiten.“ Ich habe durch ihn schon Jobs bekommen, und so hat sich für mich der Umweg über die Farbkorrektur irgendwie als sehr lukrativ erwiesen! Philip Henze: Der Film hat eine wirklich einzigartige Farbpalette, wirklich schön gemacht. Ein ganz eigener Look, was die Farben angeht. Kadri Koop: Oh, danke! Wir hatten eine fantastische Production-Designerin, sie ist wirklich phänomenal: Esmé Cruz Jackson. Sie arbeitet an der Serie „For All Mankind“ und ist von dort zu unserem Set hin und her gependelt. Aber ihr hattet sicher ganz andere logistische Probleme in Jordanien.
Philip Henze: Es wurde zwar in Jordanien gedreht, aber im Film soll es ja Syrien sein. Es sah dort aus wie in einer gewöhnlichen arabischen Stadt, also hat unser Team dort eine Lastwagenladung Schutt verteilt, um die Straße zu dekorieren. Unser Art Director Julian Knaack ist fantastisch. In der Wohnung hat er eine zusätzliche Wand eingezogen, damit die Toilettenszene an einem anderen Ort stattfindet. Das ist komplett gebaut. Ich hoffe, man sieht das im Schnitt nicht. Kadri Koop: Es sah makellos aus, aber als Filmemacher dachte ich mir, dass es bestimmt woanders gewesen sein muss. Philip Henze: Die Straße liegt auf der einen Seite der Wohnung, und auf der anderen Seite ist die Tür, die das Mädchen nicht öffnen darf. Dahinter ist dann eine andere Welt – das ist übrigens eine digitale Set-Erweiterung. Die Aufnahme mit der offenen Wand war eine von drei FX-Einstellungen. Die Gebäude dahinter waren nicht kaputt.
In beiden Filmen seid ihr nah an euren Protagonisten und habt euch die Totale für besondere Momente aufgehoben. Hier für die Welt hinter der verbotenen Tür, und in „Spaceship“ für den Raketenstart auf dem leeren Parkplatz. Stark fand ich auch die Abwesenheit von Ton in der Klimax von „Tala’vision“. Philip Henze: Unser Sounddesigner Johann Meis hatte eine etwas verrückte Idee: Der ganze Film ist in Mono, außer in besonderen Momenten, etwa wenn sie den Ball gegen den Kronleuchter kickt, dann öffnet sich der Ton in Dolby Atmos. Das sollte das Gefühl vermitteln, dass sich da eine ganze Welt für sie auftut. Zuerst klang es verrückt, aber jetzt gefällt es mir wirklich gut. [15099]