Wir stellen die Preisträger des 30. Deutschen Kamerapreises vor (5)
Handgestrickte Ästhetik
von Sven Kubeile,
Unsere Reihe mit den Preisträgerinnen und Preisträgern des 30. Deutschen Kamerapreises geht weiter. Benny Jaberg wurde für seine Arbeit bei „NOT ME – A Journey With Not Vital“mit dem Preis für die beste Kamera bei einem Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Benny Jaberg, 1981 in Baden im Aargau geboren, hat sowohl die schweizerische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Er studierte bis 2009 Filmregie an der Zürcher Hochschule der Künste. Sein Abschlussfilm „Daniel Schmid – Le chat qui pense“ feierte seine Premiere auf der Berlinale 2010. Für „The Green Serpent of Vodka, Men and Distilled Dreams” gewann er 2014 den Schweizer Filmpreis für den besten Kurzfilm. Benny Jaberg hat sich dem Autorenfilm verschrieben, arbeitet zeitweise auch als DoP und im Rahmen einzelner Projekte an der Schnittstelle zur bildenden Kunst.
Was bedeutet es für dich, mit dem Deutschen Kamerapreis in der Kategorie Kamera Dokumentarfilm ausgezeichnet zu sein?
Erst einmal ist es mir eine große, unverhoffte Ehre. Dieser Preis bedeutet für mich, dass nicht alle meine Selbstzweifel berechtigt waren. Grundsätzlich ist mir mein Hadern eine Triebfeder. Das Streben nach einem nicht zu erreichenden Ideal befeuert mich. Das Bessere ist der Feind des Guten, heißt es doch so trefflich. Aber es ist eine andauernde Aufgabe zwischen Selbstkritik und Selbstvertrauen eine Balance zu finden, die nicht lähmt. Diese Auszeichnung ist vielleicht ein Fingerzeig dafür, dass ich dieses Äquilibrium diesmal gefunden habe.
Als Kameraperson stellt man sich in den Dienst einer Vision eines Films. Für ein persönliches Ego gibt es keinen Platz, selbst wenn man eine eigene Handschrift, einen eigenen Blick beizutragen hat. Es darf nie um Uneigentliches gehen, das sich der kollektiven Filmarbeit in den Weg stellen könnte. Sobald man einen Film nicht alleine macht, macht man „gemeinsame Sache“ und damit kommt Verantwortung. Und so verstehe ich diese Auszeichnung gewissermaßen auch als eine geteilte, was die Bedeutung dieses Preises für mich nicht schwächt, sondern stärkt. In diesem Sinne bin ich Regie und Crew dankbar dafür, dass es stets um die Sache ging.
Was war für dich das Besondere an diesem Projekt?
Zum einen war es die Arbeitskonstellation: „NOT ME“ führte mich zurück zu meinem langjährigen Kollaborationspartner Pascal Hofmann, den ich seit der Aufnahmeprüfung für die Filmschule kenne und mit dem ich bereits zwei Projekte in Co-Regie sowie in gemeinsamer Kamera- und Montagearbeit realisierte. Bei „NOT ME“ entschieden wir für eine andere Aufgabenteilung: Pascal würde Regie führen, ich entgegen meiner hauptberuflichen Tätigkeit als Autoren-Regisseur „lediglich“ die Kameraarbeit übernehmen. Zum anderen war Pascals „verspulter Ansatz“ besonders. Ihm
schwebte ein Film mit und nicht
über Not Vital vor, eine filmische Reise, die Werk und Persona als Ausgangspunkt verstand und nicht als Endpunkt. Indem er Not Vital ein kindliches Alter Ego gegenüberstellte, transzendierte er das klassische Künstlerporträt. Diese Begegnung mit dem Kind in sich, das einen selbst weitgehend formierte, fand ich eine schlagende Idee – und ein Risiko. Für meine Kameraarbeit und die Findung eines visuellen Konzepts war es hilfreich, dass ich als minoritärer Co-Autor mit Pascal und dem Stoff bereits auf dem Papier in einen Dialog stieg. Als wir dann mit Not Vital drehten und er ohnehin oft die Rolle seines eigenen Lebens spielte und meist perfekt verkörperte, meinte ich zu spüren, dass der spielerische Ansatz aufgeht. Denn was nützt ein pseudo-objektiver Film-Blick und eine ebensolche Haltung, wenn das Gegenüber sich gerade dadurch hinter einer Maske verschanzt? Abschließend war das Besondere an diesem Job paradoxerweise das Gewöhnliche: Filmemachen erscheint mir immer auch als ein Vehikel, um mit Menschen vor und hinter der Kamera in Verbindung zu treten. Manche von uns sind scheuer als es vielleicht auf den ersten Blick wirkt. So mutieren Eigenbrötler auf dem Set mitunter für kurze Zeit zu Herdentieren. Dieses Gemeinschaftsgefühl setzt viel frei.
Welche Schwierigkeiten ergaben sich beim Dreh? Die Frage ist eher: Welche Schwierigkeiten ergaben sich nicht? Unser Protagonist Not Vital ist ein im Unterengadin verwurzelter und doch mondäner rastloser Reisender, ein flüchtiger Tausendsassa. Manchmal ein selbstbewusster, getriebener Künstler, ja eine Kunstfigur, manchmal ein sich selbst schützender, versteckter Zweifler, ein scheues Reh gar. Ihm geografisch auf den Fersen zu bleiben, stellte bereits eine Herausforderung dar. Unser Drehplan war ambitioniert, die Drehorte vielfältig und die Bedingungen teilweise harsch, ja extrem. Ob bei deutlich zweistelligen Minustemperaturen in Schnee und Eis im Engadin, die Mensch und Technik über die Grenzen hinaus strapazierten oder der vernichtenden Hitze der Wüste, ob ohne Drehbewilligung in verwinkelten Gassen Pekings oder auf der abgelegenen Insel Not Ona im Lago General Carrera in Patagonien: Wir machten es uns nicht einfach. Und wir wurden immer wieder daran erinnert, dass mehr Erfahrung wie immer hätte helfen können. Dass die einzige Konstante bei solchen Drehs jedoch jene ist, dass alles immer anders und neu ist und man sich somit auf einen Tanz mit der sogenannten Wirklichkeit einlassen muss. Mir persönlich half bei alledem sicherlich nicht, dass eine Krankheit meine Energieressourcen limitierte. Doch es geht wohl bei künstlerischer Arbeit ohnehin auch darum, Widerstände zu überwinden, Probleme zu Lösungen zu drehen, Grenzen auszuloten und durch Leidenschaft Berge zu versetzen.
Wie waren die Rahmenbedingungen des Drehs? Die Rahmenbedingungen waren gemessen an unserer Ambition und verursacht durch das stetige Anwachsen des Projekts dürftig. Der Film, der uns vorschwebte, war teurer als das Budget, das zur Verfügung stand. Ungeachtet dessen waren wir uns bewusst, dass wir es mit Luxusproblemen zu tun hatten. Aber dann: Filmarbeit bedeutet bekanntlich Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung. Um dem abschließend gerecht zu werden, fehlte uns Geld und somit Zeit. Und so wagten wir die Quadratur des Kreises. Manchmal vielleicht so, als wären wir noch immer Filmstudenten und brennten an beiden Enden für das, was dereinst über eine Leinwand flimmern würde.
Wir machten uns die Not zur Tugend: Pascal baute mit einem Sachverständigen das zentrale Set des fiktionalisierten Strangs, eine Baumhütte, gleich selbst. Darüber hinaus zeichnete Pascal als Ausstatter verantwortlich. Wir drehten im Grunde im Modus des cinéma copain: Auf unserem Mikro-Set war kaum Personal auszumachen. Unser Tonmann wurde einmal zum Darsteller, wir alle fuhren Motorschlitten durch die eisigen Nächte, rannten mit Rauchschalen durch den Wald. Unser notgedrungenes filmisches Vabanquespiel wurde im Falle der Mehrzahl der inszenierten Sequenzen lediglich von einer Produktionsassistentin, einem angehenden Filmstudenten als Kamera- und Lichtassistent in Personalunion, unserem langjährig verbundenen Direkttonmann, einem alten Beleuchter-Hasen, der mit Mitte 70 noch immer auf einem sechs Meter hohen, vereisten Hüttendach umherstieg, und Pascal und mir bestritten. Die Rumpfcrew gab uns mitunter die Freiheit, im Moment agiler zu arbeiten. Denn Konzept- und Vorbereitungsarbeit geben einem im besten Fall das solide Fundament, um dann während des Drehs seinen Instinkten zu folgen, um „happy accidents“ zuzulassen. Auch sonst versuchten wir inhaltlich-ästhetische Absicht mit Kosteneinsparungen zu verbinden: Wir entschieden uns als Reminiszenz an die Filmgeschichte für eine günstige Rückprojektion anstelle von Greenscreen, für eine handgestrickte Ästhetik und gegen Discount-Hochglanz. Einem eigenständigen Autorenkino verschrieben, ließen wir filmästhetische Experimente und eine dekonstruierte Genre-Handhabung zu. Wir setzten gezwungenermaßen auf DIY-Strategien, um jene ästhetischen Spleens auszuleben, die sich bereits durch unsere bisherigen Filme ziehen. Wir projizierten beispielsweise mit Consumer-Beamern on location in der Natur, anstatt das Problem auf die Postproduktion zu verlagern. Wir nutzen Not Vitals Tiefgarage und den Arbeitsraum eines befreundeten Fotografen als Mikro-Studios. Auch sonst erfanden wir oft unmöglich anmutende Lösungen für unlösbar scheinende Probleme. Unsere beflügelte Imagination konnte noch so sehr nach Ideallösungen lechzen, am Ende mussten wir mit dem arbeiten, was uns zur Verfügung stand. Gestaltungsabsicht und Technik sollten ja in einem produktiven Verhältnis stehen. Und letztlich ist die Technik freilich nur Mittel zum Zweck, nur Medium der Gestaltung. [13666]