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Ergebnisse heute veröffentlicht!

Interview: Große Umfrage zur Lage der Filmschaffenden (1/2)

In 2015 startete der Verband der Filmschaffenden e.V. eine umfassende Umfrage für Film- und Medienschaffende aus allen Gewerken. Abgefragt wurden Qualifikation, Berufszufriedenheit und auch die soziale Lage. Rund 3.800 Teilnehmer bescherten der Untersuchung erstmals eine signifikante Zahl an Teilnehmern. Heute wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Wir sprachen im Film und TV Kameramann Ausgabe 11/2016 schon mit Reinhold Dienes, Vorstand des Verbands. Er initiierte und betreute das Vorhaben.

Empfang der Filmschaffenden - 11.02.2012
Reinhold Dienes auf dem Berlinale-Empfang der Filmschaffenden am 11.02.2012 (Bild: Filmschaffende e.V./Juergen Rocholl/FACE)

Herr Dienes, was war der Auslöser, für Sie, die Studie zu veranstalten?

Ich bin von der Ausbildung her Volkswirt und habe mich dafür interessiert, was treibt die Leute bei uns in die Branche und was hält sie? Obwohl es da doch manchmal auch recht finster aussieht. Im Winter hat man oft nichts zu tun, im Sommer sehr viel, dazwischen immer die Angst, wann habe ich meinen nächsten Job? Kennen wir alle. Ich wollte mal wissen, warum machen wir das?

Wie war Ihre Herangehensweise? Wann zogen Sie Kooperationspartner hinzu?

Jörg Langer hatte schon für die AG DOK etwas eruiert, Umfragen gemacht zum Einkommen und der Wirtschaftlichkeit von Dokumentarfilmern. Wir haben zusammen die Fragen konzipiert, haben uns die hin- und hergeschickt. Es wurden dann fast 100 Fragen, und die müssen ja eine gewisse Dramaturgie haben. Einerseits darf es nicht zu lang werden, andererseits will man doch relativ genau sein. Und dann konnten wir die im Oktober 2015 online stellen. Crew-United hat mitgeholfen dafür zu werben, verschiedene Film Commissions haben auch darauf verlinkt. So dass wir nach einer längeren Online-Zeit bis zum 22. Dezember diese über 3.800 Leute hatten, die da mitgemacht haben. Das ist eine ganze Menge. Eigentlich ist das wahnsinnig viel.

Wie erklären Sie sich, dass es diesmal außerordentlich viele Teilnehmer gab?

Gute Frage. (lacht) Vielleicht haben wir etwas angestoßen, was die Leute berührt. 100 Fragen durchzustehen, das ist sehr viel Einsatz – das haben nicht alle geschafft, aber immerhin über 70 Prozent, was auch sehr gut ist. Warum betrachten Sie die Ergebnisse als so signifikant? Als Berechnungsgrundlage nahmen wir die Daten der Bundesagentur für Arbeit.

Welche Aspekte, welche Ergebnisse haben Sie am meisten beeindruckt?

Was auf den ersten Blick auffällt, ist natürlich die Ungleichheit der Geschlechter – wo ich erst mal ganz trocken rangehe. Ich wollte eigentlich nicht groß auf die Geschlechterungleichheit eingehen in der Studie. An dem Thema ist der BFFS schon dran, also die Schauspieler, die Filmförderungsanstalt FFA ebenfalls. Wir dachten, das wird bei uns in der Branche nicht ganz so furchtbar sein. Aber es ist viel schlimmer, als ich erwartet hatte. Unterschiede von bis zu 75 Prozent in der durchschnittlichen Bezahlung. Das haut einen wirklich vom Hocker.

Dann ist eine wichtige Sache die Ausbildung! Die vielen Quereinsteiger sind zwar schöpferisch ideenreich, aber es fehlt ihnen viel, was in anderen Branchen in Lehrberufen oder Ausbildungen gelehrt wird. Also Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit, Gesundheitsvorsorge, das ist in unserer Branche nahezu überhaupt kein Thema. Da bin ich beunruhigt. Vor allem die Techniker, die Kamerabühne, die Lichtleute, Produktions- und Aufnahmeleiter, die Abteilungsleiter überhaupt, die müssen viel mehr mit Arbeitsschutz befasst werden, als es bisher der Fall ist.

Selbstverständlich auch ein Thema ist die soziale Absicherung. Je länger man in der Branche ist, desto älter ist man – klar – und je älter man wird, desto mehr stellt man fest, dass kein Geld fürs Alter da war, keine Absicherung da ist. Da müssen wir was machen.

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(Bild: Quelle: Langer Media Consulting)

Ein wichtiger Punkt ist zudem die Statusfeststellung: Bin ich abhängig beschäftigt oder bin ich selbstständig? Und da verweigert uns die Politik bisher eine stringente Festlegung. Es kann sich zum Beispiel kein freier TV-Kameramann festlegen. Denn beim nächsten Vertrag könnte in der Prüfung herauskommen: „Nein, du bist nicht selbstständig, du bist abhängig beschäftigt, der Arbeitgeber muss die Sozialbeiträge nachzahlen.“ Beim nächsten Job ist er wieder selbstständig. Wie soll man darauf eine Existenz gründen?

Vor allem, wenn jeder einzelne Vertrag geprüft wird.

Manche Leute haben 50 Verträge im Jahr, davon sind 20 so und 30 so. Und unsere Anfragen bei der Politik – ob das nun die Sozialausschüsse waren oder ob das direkt im Arbeitsministerium war – liefen immer darauf hinaus: „Das macht die Rentenversicherung!“ Und die nimmt jeden einzelnen Vertrag unter die Lupe und stellt fest, ob abhängig oder selbstständig. Damit haben wir ein Problem.

Gibt es dafür Lösungsansätze, vielleicht einen Kompromiss?

Mein Vorschlag war seinerzeit: Dann gebt doch den Leuten wenigstens einen Freischein für ein Jahr! Das heißt einmal im Jahr muss bestätigt werden, dass das ein verantwortungsvoller Mensch ist. Wenn man die Voraussetzungen erfüllt (Renten- und Unfallversicherung etc.), könnte man für ein oder zwei Jahre die Bestätigung kriegen, selbstständig arbeiten zu dürfen. Ich selbst bin Anhänger dessen, dass die Leute möglichst auf Lohnsteuer arbeiten. Dann sind sie versichert, kriegen Sozialanteile, es gelten Tarifverträge. Aber viele sagen, sie sind gerne selbstständig und wollen das auch so. Das muss man einfach respektieren.

Die Erstauswertung der Umfrage können Sie hier einsehen: www.langermediaconsulting.de

Den zweiten Teil unseres Interviews lesen Sie morgen hier, darin auch die Ideen von Reinhold Dienes, wie die Daten ab sofort weiter ausgewertet werden können.

 

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Seit wann gelten bei Arbeiten auf Lohnsteuerkarte die Tarifverträge?

    Auf diesen Kommentar antworten
  2. Im Prinzip: Seit eh und je, wenn auf Lohnsteuerkarte gearbeitet wird.
    Genauer: Sie gelten für die Masse der lohnsteuerpflichtig Beschäftigten nicht unmittelbar, da nur eine ganz geringe Zahl von Filmschaffenden gewerkschaftlich organisiert ist (dann gilt der Tarifvertrag ggf. unmittelbar). Die Tarifverträge gelten “mittelbar” – bzw. sie MÜSSEN als Mindestbedingung hinterlegt werden, denn solche Arbeitszeiten, wie sie im Bereich des “freien” Film- und Fernsehschaffens üblich sind, können nur unter Anwendung der tariflichen Regelungen statthaft sein (also bei Einbeziehung ALLER Regelungen des TV als MINDESTregelung – denn MEHR geht immer, und auch dieses MEHR ist dann keineswegs übertariflich, sondern nur über-mindesttariflich!!). Wenn ohne die Zugrundelegung der tariflichen Regelungen gearbeitet wird (die dann alle als MINDEST-Niveau Geltung haben!!), dann macht sich der Produzent strafbar, da er gegen das deutsche Arbeitszeitgesetz verstößt, was im Wiederholungsfall sogar haftbewehrt ist. Insoweit ist eine Arbeit “bei Film und Fernsehen” unterhalb des tariflichen Mindestniveaus in Deutschland i.d.R. rechtlich (!!) ausgeschlossen. Daß viele Medienschaffende das nicht auf dem Schirm haben, oder sich auf Dumpinglöhne einlassen, steht auf einem anderen Blatt – und gehört zu den wirklichen “Dramen” in unserem Bereich…

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