Für unsere Ausgabe 10/2017 sprach Jens Prausnitz mit dem Gründer des Camerimage Festivals in Bydgoszcz, Marek Żydowicz.
Das Camerimage feiert dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen, und wenn es in der Galaxie ein helles Zentrum für die Liebe zum Filmemachen gibt, ist man ihm dort am nächsten.
Die Rede ist nicht von Tatooine, sondern von dessen polnischem Pendant Bydgoszcz, wo sich jeden November mehr als ein Stern des Kinohimmels zeigt. Allerdings begegnet man ihnen hier auf Augenhöhe, wie es für Kameraleute ja die Norm ist. Irgendwann hört man auf zu erschrecken neben wem man da plötzlich schon wieder steht, sitzt oder sich die Hände wäscht, und eher früher als später plaudert man mit ihnen ungezwungen über das, was dort alle miteinander verbindet: die Leidenschaft und Liebe zum Film. Kein anderes Festival würdigt das handwerkliche am Filmemachen so sehr, wie dieses, nirgendwo sonst geht es so familiär zu wie hier, seit inzwischen 25 Jahren.
In dieser Zeit ist das Festival kontinuierlich gewachsen, hat Trends begleitet, kommen (3D/VR) und gehen (3D) sehen, ist zweimal umgezogen und hat doch nie seinen Charme eingebüßt, was zwar einem Wunder gleichkommt, aber alles andere als ein Zufall sein kann. Darauf angesprochen meint Festivalgründer Marek Żydowicz nach kurzem Zögern nur lapidar, dass er das im Grunde so von seinem Elternhaus mitbekommen habe. Die berühmte polnische Gastfreundschaft also.
Marek Żydowicz: Es gibt ein polnisches Sprichwort, das heißt “Gast im Haus, Gott im Haus.” Wenn jemand kam, der Hilfe brauchte, dann hat man wie selbstverständlich alles mit ihm geteilt. Man war nicht nur gastfreundlich, sondern wurde dabei kreativ, man musste den anderen auch verstehen wollen.
Wir Kinder kamen beim Spiel auf dem Hof zwar aus unterschiedlichen Familien, aber dort haben wir auch zusammen eine gemeinsame Familie erschaffen. Gemeinsam haben wir uns Spiele ausgedacht, gemeinsam haben wir Wettkämpfe organisiert, und so etwas wie Hass hatte darin keinen Platz. Natürlich gab es Rivalitäten, aber es gab Regeln, wir fühlen uns an einen Kodex gebunden, den man heute selten finden, besonders nicht in politischen Kreisen. Dieses Kanon an Regeln, das man einen Freund nicht betrügt, sein Wort hält, dass man keine Frauen beleidigt, dass man sich nicht an Schwächeren vergreift, sondern ihnen hilft und so weiter.
Dann natürlich die Neugier auf die Welt und Andere. Das kommt vielleicht daher, dass ich sehr darunter gelitten habe, dass wir nicht Europa und die Welt bereisen konnten, dass wir in einem Land lebten, in dem die Ausreise vom politischen Willen abhing; wer nicht aus dem richtigen Hause kam oder die entsprechenden Kontakte hatte, der konnte nicht verreisen. Mit 25 bin ich zum ersten Mal über die Grenzen Polens hinaus gekommen, und auch das nur unter großen Schwierigkeiten.
Der Impuls ein besonderes Festival zu gründen sollte dann auch von außen kommen. Als er als junger Kunsthistoriker eine Ausstellung organisierte, die erste europäische Filmkoproduktionen präsentierte, zu der er unter anderem Volker Schlöndorff (dessen “Homo Faber” dort gezeigt wurde) einlud, war er davon überrascht, dass dieser dann tatsächlich kam. Inzwischen kommen sie alle, aber es war Schlöndorff, der ihn ermutigte etwas weniger akademisches auf die Beine zu stellen, etwas einzigartiges, das noch niemand macht, und nach beinahe einem Jahr Grübelei war das Thema gefunden: die auch kunsthistorischen Gesichtspunkten standhaltende Kameraarbeit zu besprechen, die Sprache und Grammatik des bewegten Bildes, und zwar mit denen, die sie beherrschen. Mit dieser Idee für ein Kamera-Festival stieß er nicht nur auf Zustimmung, sondern auch Ablehnung – und nicht nur eine gespielte wie von Vittorio Storaro, der diese Idee lieber selbst gehabt hätte, und seit den Anfängen zu den Stammgästen gehört (1993 als erster Jury-Präsident, im Folgejahr als Preisträger für sein Lebenswerk).
Andrzej Wajda zweifelte anfangs an dieser Idee, die Bildgestaltung beim Film sei etwas zu flüchtiges, und ihm war nicht klar woran sich eine Jury abarbeiten solle, daher lehnte er die Pläne zunächst ab. Ein Schock für Żydowicz, das ausgerechnet vom größtem Maler des polnischen Kinos zu hören, doch alles andere als ungewöhnlich – also Regisseuren zu begegnen, die keinen Hintergrund in der Malerei haben. Er überzeugte den berühmten Regisseur schließlich doch, mit einem Gedankenexperiment: Wenn man einen Film von Andrzej Wajda, sowie einen von Krzysztof Zanussi ansäe, allerdings beide ohne Ton, nur das Bild, dann könnte man dem von Wajda dennoch einigermaßen folgen, während in dem von Zanussi hauptsächlich Leute beim Gespräch miteinander zu sehen seien, die sich durch eine Wohnung bewegen. Drehe man dann den Spieß um und hätte nur die Tonspuren der Filme vorliegen, könnte man nur noch problemlos dem Hörspiel von Zanussi folgen – was Wajda zum Lachen brachte. Diesen Geistesblitz hatte Żydowicz Wajda an dessem Set von “Der Ring mit dem gekrönten Adler” (1992), in einer Drehpause unterbreitet, und seiner Überzeugungskraft folgen seitdem jedes Jahr aufs Neue hunderte berühmte Gäste aus aller Welt nach Polen, und haben dieses Festival weltweit zum wichtigsten und schönsten Termin im Kalender für Bildgestalter gemacht.
Neben Schlöndorff, der ebenfalls immer wieder mit seinen Filmen (und auch mal ohne) zum Camerimage kommt, gibt es noch einen “geistigen Ziehvater”, der Żydowicz einen entscheidenden Gedanken mit auf den Weg gab: Krzysztof Kieślowski. Während des ersten Festivals 1993 sagte er ihm “Ich gratuliere ihnen und leide mit ihnen, weil sie sich riesige Probleme eingehandelt haben.” Auf die Frage warum denn antwortete er: “Das Umfeld wird ihnen nicht verzeihen, dass sie sich etwas ausgedacht haben, das überall auf der Welt stattfinden könnte – sie sollten schon jetzt darüber nachdenken, das Festival nach der olympischen Methode zu organisieren. Denken sie darüber nach, das Festival auch einmal in München, Paris oder London stattfinden zu lassen.” – “Aber wir haben das Festival nahezu privat auf die Beine gestellt, es gab keine großen Sponsoren oder staatliche Hilfe.” – “Eben darum, das wird man ihnen niemals verzeihen, weil sie nicht Teil jener Kreise sind, aber etwas gemacht haben, das denen nicht selbst eingefallen ist, und sie werden ihnen nicht erlauben sich weiter zu entwickeln, weil sie dazu viel Unterstützung benötigen würden.” – Was sich leider bis zum heutigen Tag bewahrheitet hat.
Für Marek Żydowicz ist die politische Unabhängigkeit des Festivals aber ein Preis, den er zu zahlen gewillt ist, selbst wenn das bedeutet weniger Geld zur Verfügung zu haben, als andere Festivals – die Qualität des Programms und der Gäste leidet jedenfalls nicht darunter. Den Gästen werden keine Honorare für ihr Erscheinen gezahlt (aber selbstverständlich Reise- und Hotelkosten getragen), sie müssen schon selbst herkommen und über ihre Filme sprechen wollen, was vielleicht einer der entscheidenden Gründe und Voraussetzung für die fantastische Atmosphäre ist.