Interview mit der Regisseurin Maren Ade: Toni Erdmann 1/2
von Birgit Heidsiek, Artikel aus dem Archiv
Die Tragikomödie „Toni Erdmann“ von Regisseurin, Autorin und Produzentin Maren Ade ist zur Zeit in aller Munde. Erst die fünf Auszeichnungen bei den Europäischen Filmpreisen, dann die Nominierung bei den Golden Globes und jetzt soll der Film für Deutschland auch noch einen Oscar holen. Wir sprachen für unsere Ausgabe 7-8/2016 mit Maren Ade.
Bisher endete der deutsche Humor an den Landesgrenzen. Wieso funktioniert „Toni Erdmann“ international?
Maren Ade: Dieser Film ist nicht als Komödie angelegt, sondern das Lachen geschieht aus Erleichterung. Das ist ein Vorher-Nachher-Effekt, nachdem in dem 35-minütigen Vater-Tochter-Teil eine starke Identifikation erfolgt ist. Wir haben uns darauf konzentriert, dass die Verzweiflung so echt, so groß und so logisch wie möglich ist, damit sich der Zuschauer damit identifiziert. Deshalb haben wir nicht darüber nachgedacht, ob die Nacktparty lustig wird.
Ist eine Nacktparty nicht peinlich?
Wenn eine Unternehmensberaterin ihren Vater in diese Welt mitnimmt, ist das schon die erste Nacktparty, weil alle sehen können, wo sie herkommt. Denn unser Elternhaus lässt sich nicht ändern. Ich habe auch mit Unternehmensberatern darüber gesprochen. Jeder kennt das Gefühl, dass einem die Eltern peinlich sind.
In Ihrem Film sind die Maskierung und Demaskierung ein durchgängiges Thema. Wie sind Sie auf dieses ausgefallene Kostüm gekommen?
Ich habe nach einem Kostüm gesucht, in dem der Vater komplett verschwinden kann. Nach meinen Recherchen in Rumänien habe ich schließlich mit dem Kukeri in Bulgarien eine entsprechende Kostümierung gefunden. Das Fell dieser drei Meter großen Tiergestalt stammt von der Bulgarischen Langhaarziege, der dafür bestimmte Stücke aus dem Fell herausgeschnitten werden. Das Kostüm ist so angefertigt, dass der Kukeri-Turm auf dem Kiefer getragen wird, wodurch er sehr lebensecht wirkt.
Sind einige Ihrer persönlichen Erfahrungen in den Film eingeflossen?
Ich habe meinem Vater vor über 20 Jahren tatsächlich einmal ein Scherz-Gebiss geschenkt. Er hat dies im Restaurant einmal kurz eingesetzt, sich beim Kellner beschwert und es schnell wieder herausgenommen.
Wie intensiv sahen Ihre Recherchen aus?
Die Recherchen und das Drehbuchschreiben haben zwei Jahre gedauert. Ich habe das Skript lange überarbeitet, um die Dialoge auf den Punkt zu bringen. Nachdem die Besetzung und der Drehort feststanden, habe ich mich erneut an das Drehbuch gesetzt. Mein Vorteil ist, dass ich das als Produzentin selbst gestalten kann. Der Film hat davon profitiert, dass die Vorgänge so stark miteinander verzahnt waren.
Wie haben Sie Ihre Idealbesetzung gefunden?
Ich habe Sandra Hüller und Peter Simonischek erst beim Casten entdeckt. Auf die Kombination mit einem österreichischen Schauspieler wäre ich sonst nicht gekommen.
Gab es keine Bedenken, dass der Film zwei Stunden und 40 Minuten lang ist?
Ich hätte nie gedacht, dass der Film so lang wird und das trägt. Wir haben viel über die Länge diskutiert, denn es war nicht jeder damit glücklich. Ich habe noch einmal zwei weitere Monate mit dem Schnitt verbracht, denn ich wollte mir sicher sein, dass dies die richtige Länge ist. Ich mag es nicht, dass ein Film nicht zu Ende geschnitten ist, weil ein Festival vor der Tür steht. Es gab auch eine Version, die eine Viertelstunde kürzer war, aber länger wirkte. Wir haben uns den Film zu dritt im Schneideraum angeschaut, Den Effekt des ersten Sichtens gibt es immer nur einmal, und der wird bereits beim Rohschnitt verschleudert. Ich bin sehr froh darüber, dass die Länge des Films kein Thema ist.
Klopft die Produzentin Maren Ade ihrer Regisseurin gelegentlich auf die Finger?
Wir diskutieren immer alles aus. In diesem Fall habe ich zwei Drehtage komplett wiederholt. Das ist etwas, was sich eine Regisseurin nie erlauben kann, aber mitunter merke ich erst beim letzten Take, dass ich eine Szene besser auf eine andere Art inszeniert hätte. Die Szene, in der ihr Vater im Kleiderschrank steht, hatte ursprünglich einen wesentlich komplizierteren Aufbau, denn er ist durch die ganze Wohnung gegangen. Ich konnte diese Szene nicht kürzen, da ich das Material nicht hatte, deshalb haben wir sie komplett wiederholt.
Wie sind Sie mit den rund 100 Stunden Rohmaterial umgegangen?
Etwa 20 Stunden sind nur dadurch entstanden, dass wir die Kamera weiterlaufen ließen. Hinzu kommt, dass die ersten zwei, drei Takes jeder Einstellung Kameraproben sind, bei denen mitunter etwas Brauchbares dabei ist. Ich nehme immer ganz verschiedene Takes auf, weil ich gerne die Haltung der Charaktere im Subtext variiere. Ich habe mir das gesamte Material mit der Cutterin angeschaut und bestimmte Fixpunkte gesetzt. Nach einer Weile kannten wir uns genau mit dem Material aus und wussten, welche Takes gut sind. Es ist sehr hilfreich, wenn einem viel Material wie in einem Archiv zur Verfügung steht. Ich habe bis zum Schluss einige Unebenheiten geglättet.
Haben Sie auf einen Hauptpreis für „Toni Erdmann“ in Cannes gehofft?
Am Wettbewerb in Cannes teilzunehmen, war für mich der Hauptpreis. Ich bin sehr zufrieden damit und freue mich sehr, dass der Film trotz der Länge diese Chance bekommen hat und sich verkauft. „Toni Erdmann“ wird in über zwanzig Territorien auf der ganzen Welt herausgebracht, darunter in Frankreich, Großbritannien, den USA und Australien. Mir ist es wichtig, dass „Toni Erdmann“ auch ein Leben nach dem Festival hat, damit ihn das echte Publikum sehen kann.
…nach der eckligen Sexszene sind wir dann endlich raus aus dem Kino, Kameraführung, Dialoge usw. alles unerträglich, also eine unglaubliche Zumutung dieser Film und dann noch Überlänge!!!!
…nach der eckligen Sexszene sind wir dann endlich raus aus dem Kino, Kameraführung, Dialoge usw. alles unerträglich, also eine unglaubliche Zumutung dieser Film und dann noch Überlänge!!!!