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"It’s making pictures, not taking pictures."

Interview mit DoP Oliver Stapleton

Oliver Stapleton sprach in unserer Ausgabe 12/2017 im Interview mit Jens Prausnitz über die Arbeit am jüngst gestarteten “The Comedian” mit Robert De Niro – und dem Filmnachwuchs ins gestalterische Gewissen!

DoP Oliver Stapleton. (Bild: Foto: Jens Prausnitz)

Wer ihn selber einmal leibhaftig erlebt hat, weiß, warum seine Seminare voll besucht sind, nicht nur an der London Film School, wo er – unter anderem – unterrichtet, sondern auch auf dem Camerimage Festival. Kaum jemand kann so charmant, prägnant und gleichzeitig humorvoll vom Filmemachen erzählen, und das stundenlang. Man merkt ihm an, wie wohl er sich in dieser Rolle fühlt, und dass er dafür mindestens so viel Talent mitbringt, wie er hinter der Kamera hinreichend bewiesen hat. Zu unserem Interview-Termin verspätet er sich dann auch prompt, weil ihn seine Studenten und Zuhörer des „Talent Demo Q&As“ nicht haben gehen lassen, was man ihm gerne verzeiht.

Was ist für den Kamera-Nachwuchs heute das prägendste Problem, mit dem Sie sich herumschlagen müssen?

Das Problem geht auf den Umstand zurück, dass Produzenten vor dem Digitalen, die Arbeit eines Kameramanns als eine fremde, esoterische und unverständliche Welt wahrgenommen haben. Produzenten konnten weder die Chemie, noch das Entwickeln, Belichten und Abzüge herstellen verstehen. Die meisten Produzenten sind gut darin, Geld zu bekommen, Quellen zu erschließen und Geschäftstreffen abzuhalten. Aber wenn es um die Bildgestaltung ging, hatten sie dazu keinen Draht, weil es keine Sofortbilder jenseits einer Polaroidkamera gab. Damit mussten sie sich begnügen, oder mit ihren eigenen Familien losziehen, sie filmen, und den entwickelten Film bekamen sie dann im Umschlag zugeschickt.

Im Gegensatz dazu waren wir Kamerapersonen beim Filmemachen wie eine Art Schamane oder Zauberer aus unserem eigenen Universum. Einem Universum, zu dem die Mitarbeiter der anderen Disziplinen außerhalb des Kamerateams keinen Zugang hatten. Es gab eine Wertschätzung wie “Ja, das ist eine sehr talentierte Person, die ein Handwerk erlernt hat, das sie versteht und jetzt hier die Bilder macht.” Es gab eine klare Unterscheidung zwischen den Abteilungen.

Jetzt glaubt jeder aufgrund der Erfindung digitaler Fotografie, ein Kameramann zu sein, weil er ein iPhone hat, mit dem er Videos dreht. Der Produzent hat einen Neffen, der eine RED-Kamera besitzt, alle sind wir Kameramänner. Wenn man so will, dann hat eine Art Demokratisierung der Bildgestaltung stattgefunden, und manche werden sagen: “Ist das nicht großartig? Keine Geheimnisse mehr!” und manche Regisseure sagten “Prima, jetzt brauche ich keinen Kameramann mehr!”, aber das ist ein Missverständnis des Prozesses.

Denn der hat nichts mit Technologie zu tun. Es geht um die Zusammenarbeit beim Filmemachen, mit der Betonung auf “machen”, statt sie nur aufzunehmen. Die Betonung liegt darauf, ob man akzeptiert, was man vorfindet, oder nicht, unter Gesichtspunkten der Beleuchtung, der Ausstattung, der Kostüme. Wenn man vor 20 Jahren eine Kamera aufgestellt hat, dann war niemand schlauer, ehe die Kameraperson die Einstellung nicht geleuchtet, gedreht, ins Labor geschickt und wiederbekommen hatte – und dann war es zu spät! (lacht)

Jetzt stellen die Leute natürlich eine Alexa oder was auch immer auf, dann schalten sie den Monitor ein, von denen einer 20.000 Dollar kostet, und die Kamera ist fantastisch – da ist das Bild. Da ist zwar ein Bild, aber es ist nicht gestaltet. Es passiert, steht, ist einfach da. Heute  schaltet man irgendein Gerät ein, es nimmt Bilder von dem auf, was es vor sich hat, aber es komponiert sie nicht, kümmert sich nicht um deren Tiefe, und beleuchtet sie auch nicht – und das ist der wichtigste Punkt von allen: beleuchtet sie nicht.

Was da passiert, ist Faulheit. Die Leute werden faul, gehen raus in die Stadt für eine Außenaufnahme bei Nacht und brauchen nichts mehr. Sie schalten die Kamera ein, und es sieht großartig aus. Für eine bestimmte Art Film mag das reichen, wenn der Drehort weise gewählt ist, und sieht möglicherweise sogar gut aus. Aber man muss auch begreifen, dass es die Stadtverwaltung war, die einem die Einstellung ausgeleuchtet hat.

Vielleicht ist das ja in Ordnung zu sagen, die Stadtverwaltung war es, die das Licht gesetzt hat, und ich akzeptiere das, weil es echt ist (lacht), aber es könnte auch sein, dass man vielleicht gar nicht möchte, dass die Stadtverwaltung einem die Einstellung ausleuchtet, vielleicht möchte man das selbst machen. Wenn man das will, dann kostet es mehr und dauert länger, aber der Film wird einen einzigartigen Look haben, und Teil einer für den Film geschaffenen Welt sein.

Wir erreichen jetzt einen uns trennenden Dreh- und Wendepunkt, denn die Kameras beginnen jetzt empfindlicher zu sein als das menschliche Auge, so dass sie Dinge wahrnehmen können, die uns entgehen. Daher lautet die Frage: Akzeptieren wir, dass es uns reicht, die Kamera einzuschalten, auf etwas zu richten und zu sagen, es sieht toll aus? Das ist keine Bildgestaltung mehr, das ist ein Dokumentarfilm. Die Kamera spielt zwar eine Rolle, und da ist nichts Unmoralisches, Unethisches oder Merkwürdiges daran, wie eben Dokumentarfilme gemacht werden: Einschalten, auf die Welt richten, und die Kamera zeichnet es auf. Gut, Dokumentarfilm.

Wenn man einen Spielfilm macht, dann könntest du dich dafür oder dagegen entscheiden, ob du einen dokumentarischen Look darin verwenden möchtest, oder nicht. Aber vielleicht entscheidest du auch, dass das nicht der Look ist, den du für deinen Spielfilm haben willst. Dann musst du ihn gestalten, ihn beleuchten, du musst einige Straßenlaternen ausschalten oder mit anderen Birnen bestücken, Mondschein hinzufügen und was auch immer, du stellst das Bild her. Das ist der grundsätzliche Unterschied,  der sich herauskristallisiert hat, und gegen Ende 2016 haben wir die Schwelle überschritten, an dem wir Kameras haben, deren Bilder von so extrem hoher Qualität sind, dass man damit die große Leinwand füllen kann.

Markus Förderer erzählte mir letztes Jahr, dass er das Grading schon beinahe am Set fertig hatte.

Ich glaube, egal ob bei kleinen oder großen Filmen, dass das kreative Zentrum des Films, zwischen Autoren, Regisseuren, Bildgestaltern, Bauten, Kostüm, Make-up und so weiter, bis zur Besetzung, sich nicht von Drehplänen und Geschäftlichem überwältigen lassen darf. Wenn der Geschäftsteil vom Filmemachen die kreative Seite überwältigt, dann werden schlechte Entscheidungen getroffen, besonders wenn es dabei um das Werkzeug in den Händen der Bildgestalter geht. Man hört immer mehr Geschichten von Produzenten, die jemanden anrufen und sagen, wir besitzen eine RED-Kamera und Zeiss-Objektive, willst du meinen Film drehen?

Kameramänner haben diese Wahl, ob sie – ja, haben sie sie? Oder wollen sie diesen Film gar nicht drehen, aber sie müssen es, weil sie den Job brauchen? Im Endeffekt ist es dann so, als würde man Hamilton (Anm. d. Autors: Lewis Hamilton, der Formel-1-Rennfahrer) einen Ford zum Fahren geben (lacht). Warum würde man das tun? Der Kerl bevorzugt Mercedes, und er gewinnt in einem Mercedes, also würde und sollte man ihn fragen, mit welchem Auto er denn gerne fahren möchte. Jetzt sollten die Kameramänner gefragt werden, und in diesem Beispiel sind die Kameramänner die Grand-Prix-Fahrer. Es ist ihre Entscheidung.

Die Geschichte schlingert voran und für den Augenblick haben wir diese kleine merkwürdige Sache, wo wir Film verloren und das Digitale bekommen haben. Aber bald werden die Produzenten begreifen, dass das alles ziemlich langweilig ist, und sie gar nichts davon wissen wollen. Sie werden in ihrem Beruf weitermachen, dem Filmeproduzieren, und überlassen das Filmemachen wieder den Leuten, die Kameras lieben, die Zahlen und die … Digibits zitieren können (lacht). Es ist wie mit allem, nach einer Weile beruhigt es sich von selbst wieder.

Kein "King of Comedy 2": Taylor Hackfords „The Comedian“ mit Robert De Niro.
Kein “King of Comedy 2”: Taylor Hackfords „The Comedian“ mit Robert De Niro. (Bild: Foto: Warner Bros. / Alison Cohen Rosa)

Hoffentlich.

Das tut es immer! Ich meine geschichtlich, so wie das Telefon sehr wichtig war, als es in den Haushalt Einzug gehalten hat. 1925 oder wann auch immer das war, da war es einfach nur ein Telefon. Diese Dinger, an denen wir heute kleben – irgendwann werden die Leute erwachsen (lacht). Wenn sie feststellen, dass sie die ganze Venedig- Erfahrung verpasst haben, weil sie auf ihr Telefon geguckt haben. Dann ist alles, was ihnen bleibt, das Bild auf ihrem Telefon, aber Venedig haben sie sich nicht angesehen. Menschen tappen in die Falle, werden abhängig, wir sind jetzt ein bisschen süchtig danach, aber in 20 Jahren wird es sein wie Kleidung. Einfach nur etwas, das man hat, die Sucht wird nachlassen, glaube ich.

Da bin ich weniger zuversichtlich, der Neuheiten- Stream über das Telefon-App-Drumherum sorgt ja für eine zuverlässige Dopamin-Ausschüttung im Gehirn … aber reden wir lieber über ihren aktuellen Film, „The Comedian“ von Taylor Hackford, mit Robert De Niro.

Bob De Niro wollte “The Comedian” wirklich machen, er hatte verschiedene Regisseure und durchlief einen langen Entwicklungsprozess. Schließlich kam Taylor Hackford an Bord, mit dem zusammen ich 1986 “Chuck Berry Hail! Hail! Rock ’n’ Roll” gedreht habe. Seitdem hatten wir uns nicht mehr gesehen, aber über die Jahre hat er immer wieder bei mir angefragt, wenn er einen Film vorbereitet hat, und es hat nie geklappt, ich war nie frei. Dann stand dieser an, ich las das Drehbuch und war daran interessiert. Das war allerdings ein anderer Film, keine Komödie, mehr ein Drama, das im New Yorker Winter angesiedelt war, was immer interessant ist, mit all dem starken Schneefall und Regen.

Die Atmosphäre des Films war interessant, aber es war auch eine schwierige Produktion, weil es mit 15 Millionen Dollar nur ein sehr kleiner Low-Budget-Film ist. Aber wir hatten diese High-End-Besetzung, allerdings nur 27 Drehtage. Das ist nicht viel, für so einen Film mit so einer Besetzung, wir mussten also schnell arbeiten. Ursprünglich waren drei Wochen Vorbereitung geplant, aber der Dreh wurde mehrfach verschoben, so dass daraus sieben Wochen wurden.

Letzten Endes hatte ich also sieben Wochen Vorbereitung für einen 27-tägigen Dreh (lacht). Das war sehr merkwürdig, bedeutete aber, dass ich bestens vorbereitet war, als wir endlich mit dem Drehen anfingen. In der überschüssigen Zeit habe ich einige Sachen gedreht, als Ein-Mann-Kapelle dokumentarisches Material von New York, weil es einen Schneesturm und Regen gab, und uns untersagt worden war, im Drehplan Zeit dafür einzuräumen; es gab kein Geld für Regen oder Schnee.

Sie waren also ihre eigene “Second Unit”?

Ja, ich drehte das während der Vorproduktion, auf einer kleinen A7s und einer AX100 von Sony, in 4K. Tatsächlich wurde einiges davon für die Titelsequenz verwendet, und es taucht immer wieder über den ganzen Film verteilt auf, als Szenentrenner, um im Film einen echten Eindruck vom Winter in New York zu vermitteln.

Der Film allerdings … die Kritiker mögen ihn nicht besonders, und ich kann verstehen, warum. Das Drehbuch war meiner Meinung nach nie ganz zufriedenstellend, und ich glaube, dass Taylor unter den gegebenen Umständen das Beste daraus gemacht hat. Die Wahrheit ist aber, dass es schwer ist, einen Film in nur 27 Tagen abzudrehen. Besonders ein Film mit jemandem wie Robert De Niro, der einer unser am höchsten geschätzten, wichtigsten  Darsteller ist, die noch unter uns weilen. Einen Film mit jemandem wie ihm für nur 15 Millionen Dollar zu drehen, ist nicht nur ihm gegenüber unfair, sondern auch unfair gegenüber uns.

Das ist die Welt des Marketings, die ausgerechnet hat, dass wir nicht mehr ausgeben können, weil wir das nie wieder einnehmen. Das muss man respektieren und sagt dann entweder, wir probieren es, oder man lässt es bleiben. Wir haben es eben versucht, und ich bin der Überzeugung, dass der Zeitmangel dem Film geschadet hat, ganz sicher. Abgesehen davon finde ich den Film … in Ordnung. Aber ich würde nicht so weit gehen und behaupten, er sei großartig.

Um zum Anfang zurück zu kehren: Haben Sie den Dokumentarfilm weiterverfolgt, den Sie hier vor ein paar Jahren vorgestellt haben, über den Priester in dem Dorf auf der Pazifikinsel?

Ja, ich habe etwa noch ein Jahr daran gearbeitet, ihn gekürzt … und entschieden, dass ich noch einmal dorthin möchte, der Schule auf dem Berg wegen. Der Film sollte sich wirklich darum drehen, nicht um das Boot, sondern die Schule und Bildung, die Kinder. Darauf sollte er sich konzentrieren. Ich würde sehr gerne weitermachen, weil ich ich diese Schule liebe, die Erziehung, und ich liebe seine Ideen, die ich ganz erstaunlich finde und für interessant halte – wir brauchen solche Ideen für die Welt, in der wir jetzt leben. Es ist sehr wichtig, besonders für die Kinder, denn in England wird das Erziehungssystem wahnsinnig.

Nicht nur dort, überall.

(lacht) Sie fangen jetzt schon an, Dreijährige zu testen, Kinder haben Stresssymptome im Alter von acht, es gibt keine Kindheit mehr. Jedenfalls möchte ich wieder dort hinfahren, hatte aber noch keine Zeit dazu.

Wir drücken Ihnen die Daumen, und vielen Dank für das Interview!

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Hier geht’s zu Oliver Stapletons Homepage

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